Natascha Wey, Ihr Parteikollege, Regierungsrat Mario Fehr, stellt sich hinter das Burka-Verbot. Was sagen Sie dazu?
Das ist Symbolpolitik, ich möchte über Realitäten sprechen. Ein Burkaverbot ist ein Nebenschauplatz, es gibt in der Schweiz praktisch keine Burkaträgerinnen. Als liberale Person habe ich Mühe mit solchen Verboten.
Aber wäre ein Burka-Verbot nicht gerade aus Frauensicht zu begrüssen?
Wird eine Frau gegen ihren Willen zum Tragen der Burka gezwungen, ist dies bereits heute zu Recht strafbar. Wird hingegen das Burka-Tragen als solches unter Strafe gestellt, werden Frauen noch stärker in die Isolation gedrängt, da sie ihr Zuhause kaum noch verlassen können. Wenn Mario Fehr sich für Frauen einsetzen möchte, die in Abhängigkeitsverhältnissen sind, so hat er als Sozialvorsteher Handlungsspielraum. Er kann genügend Geld für Beratungsstellen sprechen, was ich sehr begrüssen würde. Zugang zu Beratung und Unterstützung ist für Frauen – gerade im migrantischen Kontext – am absolut wichtigsten, denn sich aus Gewalt und Abhängigkeit zu befreien sind lange und komplexe Prozesse.
Das ist doch seltsam: Schon nach der Silvesternacht in Köln forderten rechte Männer der SVP und nicht linke Frauen die Frauenrechte ein.
Die SVP bekämpft im Parlament alle gleichstellungspolitischen Forderungen. Ich schliesse daraus, dass solche Vorfälle von den Rechten gezielt instrumentalisiert werden – weil viele Täter Ausländer und Muslime waren. Die Rechten wollen daraus politischen Profit schlagen. Natürlich ist das Strategie. Eigentlich müssten wir sagen, wir finden es wunderbar, wenn die SVP die Frauenrechte entdeckt. Gerade Migrantinnen, die ohne Aufenthaltsbewilligung hier leben, werden Opfer von Ausbeutungen. Wenn die SVP solchen Frauen, die hier seit Jahren arbeiten, durch einen legalen Aufenthalt helfen möchte, bin ich die erste, die «Gut gemacht» sagt.
Die einen hoffen, dass unterschiedliche Kulturen nebeneinander existieren können. Andere sagen: Werte wie die Gleichberechtigung der Geschlechter sind nicht verhandelbar. Wo ziehen Sie die Grenze?
Frauenrechte sind nicht verhandelbar. Ich finde es aber ein Problem, dass das vor allem am Beispiel von Ausländern und Muslimen diskutiert wird. Sexuelle Übergriffe werden auch von Schweizer Männern begangen. Von jeder politischen Couleur.
Sie sind die neue Co-Präsidentin der SP-Frauen. Wofür brauchts die eigentlich, wenn die Gleichberechtigung doch schon im SP-Programm steht?
Es braucht die SP-Frauen ganz sicher. In den letzten Jahren erfährt die feministische Bewegung wieder Zulauf, immer mehr auch jüngere Frauen interessieren sich für das Thema. Ich sehe die Rolle der Frauenpartei darin, diese Debatte in die Politik zu tragen. Und das dürfte durchaus auch zu Konflikten mit der Mutterpartei führen.
Auch an der Spitze der SP stehen mit Christian Levrat und Roger Nordmann zwei Männer. Wer von beiden muss abtreten?
Keiner. Natürlich würde ich mir eine Präsidentin wünschen, wenn sich die Frage eines Tages stellt. Doch die SP macht es sicher besser als andere: Unsere Parteimitglieder sind zu 40 Prozent Frauen, wir haben mehr Nationalrätinnen als Nationalräte. Aber es geht ja nicht um Repräsentation, sondern um feministische Politik, die Frauen in ihrem Alltag merken. Es gibt viele Themen, wie etwa häusliche Gewalt, die in Bern nicht genügend auf der Agenda sind.
Wie wollen Sie das ändern?
Wenn man sich die Politik in Bern anschaut, dann geht es in den nächsten Jahren leider vor allem um Besitzstandswahrung. Doch eigentlich möchte ich darüber hinausgehen und diskutieren, wer welche Arbeit macht und zu welchem Lohn. Frauen müssen vor allem über zwei Themen sprechen: Geld und Zeit.
Ist das nicht ein bisschen überholt? Frauen sind heute nicht einfach mehr die teilzeitbeschäftigten Geringverdiener.
Zum Glück nicht. Aber zum einen sind die Löhne in den klassischen Frauenbranchen immer noch zu tief. Und zweitens sind es Frauen, die Alte und Demente pflegen, Kinder betreuen und den Haushalt schmeissen. Und zwar gratis. Mein Ziel ist klar: Diese Care-Arbeit muss entlöhnt werden und sich gleichmässig auf beide Geschlechter verteilen. Studien aus anderen Ländern zeigen, dass Investitionen in diesen Bereich Arbeitsplätze schaffen. Feministische Politik ist also immer auch Wirtschaftspolitik und beschäftigt sich nicht nur mit Soft-Themen.
Heute reduzieren Väter ihr Pensum, Frauen haben gute Jobs. Werden sich die Frauenfragen nicht von selbst erledigen?
Wie kommen Sie denn darauf? Wenn etwa die Unternehmenssteuerreform durchkommt, fehlen dem Staat mindestens 2.5 Milliarden Franken im Jahr. Wo wird wohl abgebaut? In den Gesundheits- und Sozialbranchen, in denen zu 85 Prozent Frauen arbeiten. Von selbst erledigen wird sich gar nichts.
Sie arbeiten als Gewerkschafterin für den VPOD im Bereich Reinigung. Was nützt den Putzfrauen der Feminismus-Diskurs?
Feminismus bedeutet, Frauen in ihren Selbstbestimmungsrechten zu stärken. Und das ist vor allem für Migrantinnen wichtig, denn diese werden oft ausgebeutet, weil sie ihre Rechte oft nicht kennen. Feministische Arbeit heisst, Frauen zu befähigen, sich selbst zu entwickeln. Die SP-Frauen können viel machen, um diese Themen auf die Agenda zu heben.
Beispiele wie Angela Merkel zeigen, dass Frauen ihr Leben selbst in die Hand nehmen. Ist Feminismus, der vor allem etwas von anderen erwartet, noch zeitgemäss?
Frauen kommen heute weiter als in der Vergangenheit. Und sie fühlen sich länger gleichberechtigt. Aber spätestens wenn eine Frau Mutter wird, fangen die Diskrepanzen an. Genau dann stecken die meisten Frauen zurück. Fast 60 Prozent der Frauen arbeiten Teilzeit, aber nur 16 Prozent der Männer. Klar kann man sagen, sie könnten mehr. Aber wenn alle Frauen und Männer arbeiten: Wer putzt und wäscht dann, schaut zu den Kindern? Diese Probleme lösen sich nicht von selber – anders als das in Bern zurzeit dargestellt wird.
Sie stehen auf Hardrock, hören Guns 'n Roses, gehen an Konzerte von Mötley Crue: Die stehen eher für Sexismus als für Feminismus.
Ich bin im Aargau aufgewachsen, ich komme nicht aus einer bildungsbürgerlichen Familie. Das war die Musik, mit der ich gross wurde. Heute sind meine Vorlieben breiter. Trotz allem gehört Hardrock zu meiner Vergangenheit. Ich gehe noch immer gern an die Konzerte. Zuletzt zu AC/DC. Klar distanziere ich mich als Feministin vom Sexismus dieser Szene. Aber Widersprüche gehören zum Leben, ich kann sie nicht alle lösen. Und Sexismus kommt überall vor. Dann dürfte ich auch keine Filme und Bücher mehr konsumieren.