Das grosse Interview mit Bischof Gmür
«Energiestrategie bewahrt die Schöpfung»

Der Ordinarius des Bistums Basel erklärt seine Beweggründe für ein Ja zur Ökovor-lage. Und er führt aus, weshalb Ostern noch immer die Hoffnung der Gläubigen nährt.
Publiziert: 16.04.2017 um 22:47 Uhr
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Aktualisiert: 12.09.2018 um 00:25 Uhr
Bischof Felix Gmür am Mittwoch in seiner Kapelle St. Johannes der Täufer in Solothurn.
Foto: Sabine Wunderlin
interview: Marcel Odermatt und Simon Marti; Foto: Sabine Wunderlin

SonntagsBlick: Herr Bischof, Sie glauben, dass am Ostersonntag Jesus von den Toten auferstanden sei. Warum sollen wir Ihnen diese Geschichte glauben?
Felix Gmür: Sie müssen nicht mir diese Geschichte glauben. Glauben Sie den ersten Zeuginnen! Es waren nämlich Frauen, die als Erste von der Auferstehung berichteten. Diesen Zeuginnen glaube ich. Und ich erlebe diese Wahrheit in meinem Leben.

Wie erleben Sie die Wahrheit, wie Sie es nennen?
In meinem Alltag. Jesus lebt, er gibt mir Kraft.

Das sagt der katholische Würdenträger. Aber immer weniger Menschen wissen überhaupt, was sich an Ostern zugetragen haben soll. Dieser Glaube, auf den Sie sich berufen, hat sich längst aus dem Alltag verabschiedet.
In unserem Bistum leben über eine Million Gläubige. Ich bin mir sicher, dass die meisten von ihnen wissen, dass Ostern nicht das Produkt einer Schoggifirma ist, sondern dass aus dem Schmutz des Karfreitags, der Kreuzigung, die Hoffnung entsteht, dass der Tod nicht das letzte Wort hat, und wir wieder aufstehen und leben.

Nur hören Ihnen immer weniger Menschen zu.
Es hören viele Leute zu. Das ist doch super. Das Glas ist halb voll, nicht halb leer.

Dennoch, warum glauben immer weniger Leute, gerade im Westen?
Keine Untersuchung zeigt genau, warum dies so ist. Die Leute glauben allerlei abstruse Sachen. Eher zu viel, als zu wenig. Aber der christliche Glauben hat sich bewährt, in guten und in schlechten Zeiten.

Was ist denn Ihrer Meinung nach abstrus?
Wenn Leute an Geister glauben oder an irgendwelche kruden Mächte.

Korrigieren Sie uns, aber den Heiligen Geist verbreitet primär Ihre Kirche.
Geist, nicht Geister! Christen suchen. Wir möchten unseren Glauben verstehen. Glauben ist etwas anderes als Wissen. Glauben hat mit Erfahrung zu tun. Nicht abstrakt, sondern existenziell. Dann merke ich, ich bin nicht allein, mir wird Trost gespendet.

Können Sie uns ein Beispiel nennen?
Ich las einen Bericht einer Frau aus dem Norden von Ägypten. Terroristen ermordeten ihren Mann und ihren Sohn. Im Gebet fand sie die Kraft, ihre Rachegefühle zu überwinden. Damit unterbricht sie die Spirale der Gewalt.

Bei allem Respekt, es sind doch genau solche Taten, die den Glauben an einen gütigen Gott in Frage stellen!
Ja, das sind Prüfungen des Glaubens. Ich vergleiche den Glauben gerne mit der Liebe: Eine Liebesbeziehung ist auch nicht nur schön. Da gibt es auch mal Krach. Dann kommt man wieder zusammen, mit einer neuen Tiefe.

In seiner zweiten Enzyklika von 2015 prangert Papst Franziskus «Verschmutzung, Abfall und Wegwerfkultur» an. Am 21. Mai stimmen wir über die Energiestrategie 2050 ab. Eigentlich müssten Sie ein glühender Anhänger der Vorlage sein.
Unser Papst hat dazu aufgerufen, die Schöpfung zu wahren. Die Verschlechterung der Umweltbedingungen und die Verschlechterungen im menschlichen und ethischen Bereich seien eng miteinander verbunden, sagt der Heilige Vater. Ich glaube, dass er damit einen sehr wichtigen Punkt anspricht. Es geht da-rum, die Schöpfung zu erhalten. Das setzt voraus, dass wir mit ihr schonend umgehen. Sie haben deshalb recht: Hier gibt es durchaus einen Zusammenhang mit der Abstimmung.

Wie genau?
Indem ich frage, ob die Energiestrategie dem Erhalt der Schöpfung dient oder eher nicht. Langfristig finde ich es gut, keine AKW mehr zu betreiben, erneuerbare statt fossile Energie zu nutzen, die Energieeffizienz zu steigern und dadurch Strom zu sparen. Der Mensch ist mitverantwortlich für die stetige Erwärmung des Klimas. Das ist keine Glaubensfrage, das sind wissenschaftliche Erkenntnisse. Hier sollten wir ansetzen. Wissenschaft, Politik, Wirtschaft, Religionen diskutieren miteinander über die Art und Weise, wie wir die Zukunft unseres Planeten gestalten.

«Die Wissenschaft ist ein Partner der Kirche» – Bischof Gmür.
Foto: Sabine Wunderlin

Warum?
Es ist schlecht, wenn wir weiter mit der Möglichkeit einer Katastrophe eines Atomkraftwerks leben müssen. Oder dass wir Erdöl verbrauchen und so die Klimaerwärmung begünstigen. Das kann niemand, der die Schöpfung Gottes für die nächsten Generationen sichern will, wollen.

Sie können gut reden: Sie leben hier in Solothurn in einer riesigen Residenz. Auch nicht gerade umweltfreundlich.
Das ist unser Verwaltungsgebäude, ein historisches Haus. Das Gebäude wurde teilweise saniert – auch um Energie zu sparen. Bei den Fenstern konnten wir nicht alle Verbesserungen umsetzen, weil auch der Denkmalschutz Auflagen macht.

Was machen Sie persönlich für Ihre Ökobilanz?
Ich fahre zum Beispiel so oft wie möglich mit dem Velo und Zug, trinke Wein aus Europa, esse Gemüse möglichst saisonal und das Fleisch soll auch von hiesigen Bauern kommen. Meistens kann ich es aber gar nicht beeinflussen, weil ich unterwegs und auswärts essen muss. Dabei nehme ich, was auf den Tisch kommt.

Sie haben im Zusammenhang mit dem Klimawandel die Bedeutung der Wissenschaft betont. Die katholische Kirche scheint uns als Bannerträgerin des Fortschritts etwas unglaubwürdig.
Das ist etwas gar einfach gesagt. Der Vatikan hat zum Beispiel schon immer Astronomie betrieben ...

... und den Astronomen mit dem Scheiterhaufen gedroht.
Wegen der theologischen Folgerungen, die aus ihren Entdeckungen folgten. Aber schon die Vorgänger von Papst Franziskus riefen die Wissenschaft auf, sich für den Fortschritt der Menschheit einzusetzen.

Auch für den Fortschritt der Kirche?
Die Aufgabe der Kirche ist es, das Wort Gottes wachzuhalten. Ein Partner der Kirche ist auch die Wissenschaft. Die Kirche braucht diesen Dialog, und auch die Wissenschaft.

Wann wendet die Kirche diesen Fortschritt, den Sie ansprechen, auf sich selbst an? Werden wir die erste ordinierte katholische Priesterin noch erleben?
Dialog heisst Austausch. Die Kirche wandelt sich immer. Vor 50 Jahren wären wir sicher nicht so zusammengesessen. Ob ich die Ordination einer Frau erleben werde, weiss ich nicht.

Würden Sie es begrüssen?
Es braucht neue Perspektiven für die Frauen in der Ämterstruktur der Kirche. Aber die Einheit der grossen weltweiten Kirche ist essenziell. Wir dürfen niemanden abhängen. Es gibt viele Ämter, die Frauen schon heute wahrnehmen können. Dieses wertvolle Potenzial gilt es auszubauen.

Unkonventionelle Ideee

Seit 2010 ist Felix Gmür (50) Bischof des Bistums Basel. Der Luzerner ist der Nachfolger von Kurt Koch (67), der Kardinal in Rom wurde. Vor seiner Wahl arbeitete er als Generalsekretär der Schweizer Bischofskonferenz. Gmür überrascht immer wieder mit unkonventionellen Ideen. Die neuste von dieser Woche: Seelsorger sollen in einen Predigtkurs. Damit sollen die kirchlichen Ansprachen spannender werden. l

Seit 2010 ist Felix Gmür (50) Bischof des Bistums Basel. Der Luzerner ist der Nachfolger von Kurt Koch (67), der Kardinal in Rom wurde. Vor seiner Wahl arbeitete er als Generalsekretär der Schweizer Bischofskonferenz. Gmür überrascht immer wieder mit unkonventionellen Ideen. Die neuste von dieser Woche: Seelsorger sollen in einen Predigtkurs. Damit sollen die kirchlichen Ansprachen spannender werden. l

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