Christoph Blocher über Mythen und Historiker
«Sie wollen die Schweiz auflösen!»

Rütlischwur, Tell, Morgarten: Alles falsche Helden-Geschichten? «Nein», sagt Christoph Blocher. Wer dies sagt, will das Land in die EU treiben.
Publiziert: 17.03.2015 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 15.10.2018 um 01:17 Uhr
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«Wir wollen das Gegenteil von Thomas Maissen»: Christoph Blocher.
Foto: RDB
Interview: René Lüchinger

Die Schweizer Heldengeschichten – Rütlischwur, Tell, Morgarten, Réduit – seien Fiktion und hielten einer kritischen wissenschaftlichen Überprüfung nicht stand. Dieses Urteil fällt der Schweizer Historiker Thomas Maissen in seinem soeben erschienenen Werk «Schweizer Heldengeschichten – und was dahintersteckt».

Mehr noch: Die nationalkonservative Rechte rund um Christoph Blocher missbrauche die Schweizer Mythen der Frühzeit der Eidgenossenschaft bis in die unmittelbare Gegenwart hinein für ihre politischen Zwecke (BLICK berichtete). Nun nimmt Christoph Blocher Stellung.

BLICK: Missbrauchen Sie die Heldengeschichten für Ihre Politik?
Christoph Blocher: Zunächst: Thomas Maissen sagte einmal, man könne die Geschichtsschreibung nicht kampflos «den Nationalkonservativen von SVP und Auns überlassen», sondern müsse selber Geschichte schreiben. Das ist verdienstvoll. Mein Motiv ist aber nicht Missbrauch, sondern die Schweiz.

Und seines?
Sein Motiv ist Europa. Er mindert die Schweiz herab, weil er sie in die EU führen möchte.

Glauben Sie das wirklich?
Wenn man die Schweiz nicht ernst nimmt, sie entmystifiziert, ihre Geschichte entstellt und sagt, die Schweiz ist eigentlich gar nichts Rechtes gewesen, will man die Nation wegputzen. So kann man die Schweiz schneller Richtung EU auflösen.

Falsch ist es aber nicht, die mittelalterlichen Überlieferungen als historische Mythen zu bezeichnen.
Vieles ist geschichtliche Tatsache. Aber viel aus dem Frühmittelalter Überliefertes kann gar nichts anderes sein als Mythos. Wesentlich ist etwas anderes, und darum will Maissen den Mythos vom Rütli zerstören.

Nämlich?
Ich halte mich an Gottfried Keller: «Ob sie geschehen? Das ist hier nicht zu fragen. Die Perle jeder Fabel ist der Sinn. Das Mark der Wahrheit ruht hier frisch darin. Der reife Kern von allen Völkersagen.» Mythen, Sagen und Märchen haben eine besondere Wahrheit, alle Länder haben solche Mythen, und wenn man die zerstören will, muss man viel fundierter dahinter, als das Herr Maissen macht.

Sie werfen ihm Oberflächlichkeit vor?
Nehmen Sie Marignano. Mari­gnano hat 1515 stattgefunden, als die Eidgenossen zwei Jahre lang die Lombardei besetzt hielten. Das war eidgenössische Grossmachtpolitik. Dort wurden die Eidgenossen geschlagen von Frankreich, fürchterlich. Die Schweizer mussten sich zurückziehen. Ich bin sicher, die geistigen Wurzeln der schweizerischen Neutralität gehen zurück auf dieses Marignano. Das steht nicht auf einem Papier. Das kann man nicht beweisen, auch nicht widerlegen. Man kann nur deuten: Dort wurden die Schweizer zurückgedrängt, das hatte tiefgreifende Folgen. Sie haben wenigstens intelligent verhandelt, bekamen das Veltlin und das Tessin, mussten sich aber auf ihre Gebiete zurückziehen.

Maissen sagt, die Eidgenossen waren auch danach nicht neutral.
Aus Marignano sprossen die ersten Wurzeln, da kann noch kein Baum blühen. Die Neutralität kam nach und nach, zwischen Marignano und Bundesverfassung 1848. Bis zu den europhilen Historikern der letzten Jahre sahen das alle Fachleute so.

Wir haben einen Historikerstreit?
Es ist eher politisch. Ich bin für die Souveränität der Schweiz, direkte Demokratie, Neutralität. Maissen ist für einen EU-Beitritt. Er merkt, dass all dies dem im Wege steht.

Warum?
Wenn man die Staatssäulen aufrechterhalten will, kann man nicht in die EU. Ich fordere Maissen auf, dies mit uns öffentlich zu diskutieren. Es ist ein Leichtes, ein Buch zu schreiben, ohne sich der Gegenseite stellen zu müssen.

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