Schmuck leuchtet die Kleinstadt in der Sommersonne. Dabei befindet sich Baden in Schockstarre. In der Weiten Gasse, beim Stadttor, im Cafe Himmel ist nur Stadtammann Geri Müller (53) Thema. Eine Sonntagszeitung hatte publik gemacht, was viele längst wussten: dass der Grüne Nationalrat aus dem Stadthaus Nacktfotos von sich an eine Frau verschickt hatte.
Der Ammann ist abgetaucht, hält sich «irgendwo in der Schweiz» auf, sagt sein Anwalt Andreas Meili. Gut geht es ihm wohl nicht: «Herr Geri Müller ist zurzeit krank geschrieben», so Meili zu BLICK.
Politisch rumort es in Baden. Man schiebt sich gegenseitig die Schuld am «politischen Betriebsunfall Müller» zu, wie viele in Baden dessen Wahl beschreiben. Politische Haudegen reden, aber nur unter vorgehaltener Hand. «Ich leide und schweige», sagt ein einstiger Ammannn. Niemand steht namentlich hin. Der Doyen der Badener Linken, einst Nationalrat, sagt, er hätte die SP gewarnt, Müller im Januar 2013 als Kandidat für das höchste Amt der Stadt zu portieren. «Geri Müller wird mit seiner Schmuddeligkeit eine Katastrophe für Baden», habe er an der Parteiversammlung gesagt. Die Genossen ignorierten ihn – und kürten Kandidat Müller. Der SP hätte «leider geeignetes Personal gefehlt».
Scharf kritisiert der angesehene Linke den linken Ammann – fachlich, nicht persönlich. «Müller ist vor allem Manager der eigenen Aufmerksamkeit», sagt er. «Der politische Leistungsausweis? Kurz.» Seit 2003 sitzt er im Nationalrat – «ohne in Bern echte Spuren hinterlassen zu haben».
Dafür finde er jede laufende Kamera, jedes Mikrofon sofort. Und sei deshalb national bekannt. «Er ist der ewige Kandidat», sagt der Doyen. Auf jedes mögliche Amt bewerbe er sich. «Müller steht für die Entpolitisierung der Politik.» Nicht seine Inhalte seien von Interesse, sondern nur die Auftritte.
Nicht alle glücken. Wie «ein ungemachtes Bett» wirke der Nationalrat, kommentierte PR-Berater Klaus J. Stöhlker die jüngste Pressekonferenz Müllers. Unaufgeräumt wirke er nicht nur äusserlich, meint der Badener Doyen. «Er ist ein Grenzgänger, vermischt Privates und Öffentliches – was nicht geht in solchen Ämtern.»
Für die SP sei er 2013 ein Notnagel gewesen. «Nachdem wir ihn nominierten, sagte ich, jetzt lassen wir ihn laufen, bis er an die Wand fährt», so der Doyen. Dass dies peinlich geschah, überraschte ihn nicht. «Nur, dass es so früh kam.»
Baden ist eine bürgerliche Stadt, katholisch und wirtschaftsfreundlich. Das Amt des Ammanns teilen sich CVP und FDP seit Jahrzehnten: Von 1973 bis 1985 regierte Victor Rickenbach (FDP), gefolgt von Josef Bürge (CVP), der von 1985 bis 2005 Ammann war. Nachfolger Stephan Attiger (FDP) trat 2013 zurück, um Regierungsrat zu werden.
Nötig waren Neuwahlen. Aussichtsreiche Bürgerliche verzichteten. FDP und CVP zankten sich – und schickten Roger Huber (FDP) und Markus Schneider (CVP) ins Rennen. Per Handschlag vereinbarten sie: wer beim ersten Wahlgang weniger Stimmen erhält, hilft dem anderen.
Auf Müller entfielen 1629 Stimmen, auf Huber 1495. Schneider bekam 1409 – und zog sich zurück. «Was aus heutiger Sicht ein Fehler ist», sagt ein Bürgerlicher. «Huber ist in Baden nicht sonderlich beliebt.» Zwar verfügt er über die richtigen Beziehungen, etwa zu Verleger Peter Wanner. Beim Volk gilt er als Napoleon – klein, ehrgeizig, machtversessen, was in einer Kleinstadt wie Baden nicht gut ankommt.
Schneider aber sei beliebt. «Im Normalfall hätte ein bürgerlicher Kandidat Geri Müller mindestens 60 zu 40 geschlagen», sagt ein Politiker. Viele Bürgerliche gingen mit der Faust im Sack zur Urne – und wählten Müller gegen Huber. Zumal, sagt ein Pensionär, «Müller ein lustiger Kerl» sei.
Ob er das noch immer sagen würde, kann Müller selbst herausfinden. Es liegt an ihm, Baden aus der Schockstarre zu befreien. Tritt er zurück, käme es zu rasch Neuwahlen. Er selbst dürfte wieder antreten. Das Volk würde entscheiden, ob es Geri Müller noch vertraut.