Am Samstag demonstrierten in Bern 20'000 Menschen für stabile Renten. Die Gewerkschaften machten kräftig Stimmung für ihre AHV-plus-Initiative. Ein durchsichtiges Manöver vor der Abstimmung in zwei Wochen, aber verübeln kann man es ihnen nicht. Denn die Renten stehen massiv unter Druck.
Seit 2010 haben Pensionskassen von SBB, Post oder Novartis die Umwandlungssätze um zwölf bis 20 Prozent gekürzt. Der Umwandlungssatz bestimmt, in wie grossen Portionen das angesparte Kapital in die monatlichen Renten umgewandelt wird.
Sinkt der Satz, sinken die Renten. Im Schnitt beträgt er heute 5,8 Prozent.
Doch der nächste Rentenschock bahnt sich bereits an. Die PK-Expertenkammer bereitet den Boden für die nächste Rentensenkung. Das kaum bekannte Gremium setzt jeweils auf Ende September den Referenzzinssatz fest. Er legt fest, wie viel das angesparte Kapital abwirft, und bestimmt damit die Höhe der Renten.
Der Satz ist in den letzten zehn Jahren von 4,5 auf 2,75 Prozent gefallen. Wie Daten der Pensionskassenberatungsfirma PPCmetrics zeigen, dürfte er 2017 auf 2,25 Prozent fallen.
Die Senkung des Referenzzinses schlägt nicht sofort und eins zu eins auf die Renten durch. Der Entscheid liegt bei den Kassen. Über höhere Beiträge können sie Gegensteuer geben. Doch auch das kostet. Und auf Dauer können sie sich nicht gegen den Kapitalmarkt sperren.
Dies hat zur Folge, dass der Umwandlungssatz unter 5,5 Prozent sinkt. Für die Renten heisst das: Sie schmelzen um sechs weitere Prozent! Betroffen sind alle, die ab 2017 pensioniert werden. Im Obligatorium gilt zwar der Satz von 6,8 Prozent. Ein grosser Teil der Arbeitnehmer liegt aber im Überobligatorium. Dort schlägt die Rentensenkung direkt durch.
Und der Tiefpunkt ist noch nicht erreicht. PPCmetrics rechnet in den nächsten zehn Jahren mit einem Absinken des Referenzzinses auf ein Prozent. So würden die monatlichen Renten um weitere 16 Prozent fallen.
Das ist dramatisch. Und bietet den Gewerkschaften Munition für ihre AHV-plus-Initiative, welche die AHV-Renten um zehn Prozent anheben will: «Die erste Säule muss die Verluste in der zweiten Säule ausgleichen», sagt Daniel Lampart (47), Chefökonom des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes (SGB). «Die Alternative sind Rentensenkungen – und das wollen die wenigsten im Land.»
AHV plus kostet laut den Gewerkschaften 0,8 Lohnprozente. Um die Renten der Babyboomer aufzufangen, reichen laut Lampart ein zusätzliches Mehrwertsteuerprozent heute und eines ab 2030. «Das ist finanziell verkraftbar.»
Ganz anders sieht dies der Arbeitgeberverband. «Seit zwei Jahren schreibt die AHV rote Zahlen und zehrt von ihren Vorräten», sagt Vorsorgespezialist Martin Kaiser (49). Ohne Gegenmassnahmen sei die AHV gemäss Berechnungen des Bundesrates 2030 pleite. Mit AHV plus sei dies 2025 der Fall. «Die Initianten machen nichts als leere Versprechen.»