Statt abgelaufenes Fleisch zu entsorgen, datierten sie es neu. Und verkauften «Bio-Produkte», die keine waren. Über mehrere Jahre hinweg. In fast 4000 Fällen. Dies wirft die Aargauer Staatsanwaltschaft fünf ehemaligen Manor-Mitarbeitern vor.
Diese Woche machte die «Aargauer Zeitung» den Skandal publik. Betroffen war die Manor-Filiale in Baden AG. Bei weitem nicht der einzige Ort, an dem Fleisch falsch deklariert über die Ladentheke ging. Das zeigen die Berichte der kantonalen Lebensmittelinspektorate aus dem letzten Jahr.
Schweizweit falsch deklariertes Fleisch
«Von einem Fleischskandal blieb auch der Kanton St. Gallen nicht verschont», berichtete das entsprechende Amt in St. Gallen. «Gegen einen Metzger mussten wir Strafanzeige erstatten, weil er Fleisch systematisch falsch deklariert hatte.»
Das Zürcher Amt schrieb: «Die Befunde zeigten ungenügende Rindfleischanteile im Vergleich zum deklarierten Gehalt, in der Zutatenliste aufgeführtes Rindfleisch, welches im Produkt aber nicht enthalten war, sowie Fleischanteile, welche nicht in der Zutatenliste aufgeführt waren.»
In Solothurn wurden Fleischerzeugnisse mit der Bezeichnung «Kalb» untersucht – 38 Prozent der Proben fielen durch.
Die Aargauer Kontrolleure beschlagnahmten in einem Laden «63 französische Poulets, die als Schweizer Poulets verkauft werden sollten».
Der Verband der Kantonschemiker testete zudem «Walliser Trockenfleisch». Bei jedem dritten Produkt wurde diese Bezeichnung zu Unrecht verwendet.
Die Skandale der letzten Jahre: Von Carna Grischa bis Pferde-Lasagne
Behörden unterstehen der Schweigepflicht
Wer die fehlbaren Betriebe sind, bleibt geheim. Denn die Behörden unterstehen der Schweigepflicht. Das ärgert den Schweizer Fleisch-Fachverband (SFF) besonders bei Betrugsfällen. «Solche verunsichern die Kunden enorm», sagt Direktor Ruedi Hadorn (52). «Wenn diese nicht erfahren, wer der Sünder ist, misstrauen sie allen Metzgern.» So leide die gesamte Branche wegen weniger schwarzer Schafe. «Das kann nicht sein», so Hadorn. «Denn wer vorsätzlich betrügt, gehört öffentlich benannt – auch zur Abschreckung.»
Die Stiftung für Konsumentenschutz reagiert positiv auf diesen Vorschlag. «Wir fordern schon seit Jahren, dass Betrüger beim Namen genannt werden», sagt Geschäftsleiterin Sara Stalder (50). «Leider fehlte uns bisher die Unterstützung – auch vom Fleisch-Fachverband.»
Tatsächlich wehrte sich dieser in der Vergangenheit gegen den öffentlichen Pranger. Das sei eine «mittelalterliche» Methode, welche in «die Mottenkiste der Geschichte» gehöre, hiess es 2011 in einer Medienmitteilung mit anderen Verbänden. Damals wurde das neue Lebensmittelgesetz ausgearbeitet. Es tritt in den nächsten Monaten in Kraft – ohne Pranger.
Das wäre laut dem Verband der Kantonschemiker auch nicht sinnvoll. «Die öffentliche Nennung hilft nicht», sagt Präsident Otmar Deflorin (49). «Weil nicht alle Fälle aufgedeckt werden können. Und weil das Verschulden und das Ausmass nicht gewichtet werden.»
Für Namensnennung braucht es rechtskräftiges Urteil
Ruedi Hadorn betont: «Ein Verdacht reicht für eine Namensnennung nicht aus, es braucht ein rechtskräftiges Urteil.» Denn in den allermeisten Fällen würden Fehlangaben nicht in betrügerischer Absicht passieren. «Sondern einfach aus Unbedarftheit, weil die Etikettiervorschriften allzu oft zu komplex sind.»
Gerade deshalb habe der SFF schon vor Jahren einen eigenen Leitfaden zur Deklaration erstellt. Zudem schuf er eine Verhaltenscharta für Metzger und die «Ombudsstelle Fleisch». Dies, obwohl weder Manor noch der Bündner Betrieb Carna Grischa dem Verband angehörten.
«Bisher haben sich fünf Whistleblower gemeldet, um auf Missstände in Firmen hinzuweisen», sagt Ombudsmann Balz Horber (71). Er beurteilt die Ehrlichkeit und Sauberkeit in der Branche grundsätzlich als gut. «Systematischer Betrug ist selten. Der extrem harte Wettbewerb kann ihn erklären, aber nicht entschuldigen.»
Es soll Druck von oben gegeben haben
Was die Angestellten in Baden antrieb, wird nun ermittelt. Konsumentenschützerin Stalder ist überzeugt: «Es gab Druck von oben, gewisse Ziele zu erreichen. Warum sonst sollten Angestellte versuchen, mit illegalen Methoden mehr zu verkaufen?»
Manor-Sprecherin Elle Steinbrecher sagt: «Die Motive der Mitarbeiter können wir nicht nachvollziehen, da für sie daraus kein Vorteil entsteht. Sie gefährden mit einem solchen Verhalten das Vertrauen der Kunden und ihren eigenen Arbeitsplatz.» Neben personellen Konsequenzen habe man weitere Massnahmen getroffen. «Dazu gehören noch strengere Überprüfungen der Qualitätsprozesse und Arbeitsanweisungen, weitere intensivierte Schulungen zu Hygienevorschriften, verstärkte Eigenkontrollen sowie die noch aktivere Einbindung der Mitarbeitenden.»