Kantonspolizeien vernetzen ihre Register
Private horten 791’719 Waffen

Erstmals zeigt sich, wie viele Pistolen und Gewehre in Schweizer Haushalten lagern. Es sind deutlich mehr als bisher angenommen.
Publiziert: 15.01.2017 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 05.10.2018 um 19:08 Uhr
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Schusswaffen sind in der Schweiz heiss begehrt, das Geschäft mit ihnen läuft blendend.
Foto: Michael Probst
Roland Gamp

Zwölf Menschenleben hat Anis Amri (†24) auf dem Gewissen. Der Attentäter fuhr mit einem LKW in einen Berliner Weihnachtsmarkt. Zuvor erschoss er den Chauffeur mit einer Pistole – sie stammt laut ZDF aus der Schweiz.

Um dies zu überprüfen, waren bisher aufwendige Ermittlungen nötig. «Jede Kantonspolizei hätte in ihrem eigenen Register überprüfen müssen, ob die Waffe dort registriert ist», sagt Markus Röösli (51), Programmleiter der «Harmonisierung der Schweizer Polizeiinformatik». Diese hat in den letzten Jahren alle kantonalen Waffenregister miteinander vernetzt. «Nun braucht es nur noch eine Abfrage. Und man erhält sofort alle Ergebnisse aus den Kantonen.»

Schätzung nach oben korrigiert

Seit Oktober ist das neue System in Betrieb. SonntagsBlick erhielt diese Woche Einblick. Dank der Harmonisierung der Daten ist erstmals ersichtlich, wie viele private Feuerwaffen in der Schweiz registriert sind. Aktuell sind es 502'538, verteilt auf 171'446 Besitzer. Fünf Kantone haben ihre Daten noch nicht in das neue System eingespeist. Rechnet man ihre aktuellen Bestände hinzu, so haben Private im Januar 2017 schweizweit 791'719 Waffen registriert. Deutlich mehr, als das eidgenössische Justizdepartement (EJPD) vor fünf Jahren auswies – in einer Schätzung war die Rede von rund 600'000.

«Tatsächlich gibt es noch viel mehr Waffen in legalem Privatbesitz», sagt Hans-Peter Wieland (60), Gruppenchef Waffen und Sprengstoffe der Zürcher Kantonspolizei. «Eine lückenlose Registrierungspflicht beim Erwerb von Feuerwaffen besteht erst seit 2008.» Das EJPD ging in seiner Schätzung von 240'000 nichtregistrierten Exemplaren aus.

Ehemalige Militärwaffen nicht erfasst

Zudem werden ehemalige Militärwaffen, die vor 2010 in Privateigentum abgegeben wurden, nicht im System erfasst. 900'000 von ihnen gibt es laut jener EJPD-Schätzung. Bei einer Wohnbevölkerung von 8,3 Millionen sind somit rund zwei Millionen legale Schusswaffen in Umlauf. Hinzu kommen alle illegalen, die aber in keiner Statistik auftauchen.

Dass neu die Informationen aus allen Kantonen verfügbar sind, kann den Ermittlern entscheidende Vorteile bringen. «Früher sah man nur, ob jemand im eigenen Kanton Waffen registriert hat», so Wieland. «Es war möglich, dass unsere Beamten bei einer Hausdurchsuchung unerwartet auf ein ganzes Arsenal trafen.» Heute würde man das bei legal erworbenen und registrierten Waffen wissen. «Und vor einem Einsatz entsprechende Sicherheitsmassnahmen treffen.»

Informationen immer auf neustem Stand

Zudem können die Ermittler schneller reagieren. «Früher dauerte es mehrere Tage, bis alle Kantone abgeklärt hatten, ob eine gewisse Waffe bei ihnen registriert ist und auf wen», so Wieland. Genug Zeit für Täter, unerkannt das Land zu verlassen. Diese lange Wartezeit entfällt nun – die Beamten können sich etliche Telefonate und E-Mails an andere Korps sparen. Zudem sind die Informationen immer auf dem neusten Stand, sie werden alle 24 Stunden aktualisiert.

Waffengesetz auf Bundesebene angepasst

Die Schaffung eines zentralen Waffenregisters war lange umstritten. 2011 lehnte das Stimmvolk ein solches deutlich ab – trotzdem sind nun alle Daten miteinander vernetzt. Programmleiter Röösli betont: «Um die notwendige Rechtsgrundlage für das Abfragesystem zu haben, musste auf Bundesebene das Waffengesetz angepasst werden.» Dieses schreibt vor, dass nur wenige Informationen wie etwa die Waffenart und -nummer, das Kaliber und die Personalien des Besitzers abgefragt werden können. Die Informationen werden zudem nicht in einem zentralen Register geführt – die Datenhoheit bleibt bei den kantonalen Waffenregistern. «Die Zürcher Polizei hat zum Beispiel Einsicht in die Daten der St. Galler – sie kann deren Einträge aber nicht verändern.» Die Vorschriften von Waffengesetz und Datenschutz würden somit eingehalten.

Alle Polizisten haben Zugriff

In den nächsten Monaten werden die restlichen Kantone an das System angeschlossen. Zugang haben grundsätzlich alle Polizisten. «Es ist aber den einzelnen Korps überlassen, wem sie den Zugriff ermöglichen», sagt Roger Schneeberger (60), Generalsekretär der Konferenz der kantonalen Justiz und Polizeidirektoren (KKJPD). Staatsanwälte oder Richter hätten hingegen keinen Zugriff – dazu fehle die Gesetzesgrundlage. «Sie können aber im Rahmen der Amts- und Rechtshilfe über die Polizei Auskünfte einholen.»

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