Darum gehts
Eminenz, kennen Sie den Film «Konklave»?
Kardinal Walter Kasper: Nein, ich habe bloss ein paar Artikel darüber gelesen. Der Film erzählt offenbar eine gute Geschichte, hat aber mit der gegenwärtigen Realität wenig zu tun. Im Konklave geht es viel ernster, mitbrüderlicher und ausgewogener zu als im Kino. Auch wenn Kardinäle unterschiedliche Meinungen haben, müssen wir uns nicht täglich bekämpfen.
Lammfromm geht es bei der Papstwahl wohl trotzdem nicht zu …
Die Zeitungen spekulieren viel, aber die Regie hat der Heilige Geist. Der erreicht die Herzen der Kardinäle im Gebet. Die Wahl in der Sixtinischen Kapelle läuft im liturgischen Rahmen ab: Wir beten gemeinsam und geben dann einzeln unsere Stimme ab.
Das Konklave findet in der Sixtinischen Kapelle statt. Wie ist es, im Anblick von Michelangelos «Jüngstem Gericht» zu wählen?
Das Gemälde erinnert jeden an seine persönliche Verantwortung: Alle stimmberechtigten Kardinäle tragen Verantwortung für die Richtung der Kirche in den nächsten 10 oder 15 Jahren. Diese Verantwortung nimmt niemand auf die leichte Schulter. Allen ist klar: Dafür müssen wir später einmal Rechenschaft ablegen.
Was hat es mit der «invidia clericalis» auf sich, dem Neid unter Klerikern? Wie äussern sich persönliche Eitelkeiten bei dieser Wahl?
Es gibt manche, die sich gerne präsentieren. Andere sind bescheiden und halten sich zurück. Wenn man sieht, wie schwierig die Aufgaben eines Papstes sind, muss man dumm oder naiv sein, dieses Amt für sich selbst anzustreben.
Das Konklave lebt von Abgeschiedenheit: kein Fernsehen, kein Handy. Ist Ihnen das schwergefallen?
Nein. Es ist eine ganz besondere Atmosphäre – da kann man schon mal drei Tage aufs Handy verzichten. Langweilig wird es sowieso nicht. Morgens gibt es zwei Abstimmungen, dann Mittagessen, ein Schläfchen, wieder zwei Abstimmungen, und dann kommt schon das Abendessen. Bei schönem Wetter kann man auch etwas in den Vatikanischen Gärten herumspazieren.
Wie politisch geht es bei den gemeinsamen Mahlzeiten zu?
Ich habe die beiden Konklaven 2005 und 2013 als sehr ernst, ruhig und gewissenhaft wahrgenommen. Natürlich gab es Gespräche beim Essen oder auf dem Flur. Politische Diskussionen spielten dabei keine Rolle. Die Diskussionen über die Situation und Zukunft der Kirche finden im Vorkonklave statt. Das gegenwärtige hat direkt nach Papst Franziskus’ Tod begonnen und geht noch bis Mittwoch.
2013 hielt Jorge Mario Bergoglio, der spätere Papst Franziskus, eine Ruck-Rede: Die Kirche dürfe keinem «theologischen Narzissmus» verfallen, sondern müsse an die Ränder gehen. Haben Sie in den letzten Tagen eine vergleichbare Ansprache gehört?
Bislang gab es keine revolutionäre Rede, sondern differenzierte Stellungnahmen. Sie gingen in die eine oder andere Richtung.
Der deutsche Kardinal Walter Kasper (92) war Theologie-Professor in Tübingen und später Bischof von Rottenburg-Stuttgart. Papst Johannes Paul II. ernannte ihn zum Kurienkardinal, bis 2010 war er für Ökumene-Fragen und für die religiösen Beziehungen zum Judentum zuständig. Sein Nachfolger wurde der frühere Bischof von Basel, Kurt Koch (75). Kasper hat an zwei Konklaven teilgenommen: 2005 und 2013.
Der deutsche Kardinal Walter Kasper (92) war Theologie-Professor in Tübingen und später Bischof von Rottenburg-Stuttgart. Papst Johannes Paul II. ernannte ihn zum Kurienkardinal, bis 2010 war er für Ökumene-Fragen und für die religiösen Beziehungen zum Judentum zuständig. Sein Nachfolger wurde der frühere Bischof von Basel, Kurt Koch (75). Kasper hat an zwei Konklaven teilgenommen: 2005 und 2013.
Ist sonst noch etwas anders als vor zwölf Jahren?
Papst Franziskus hat viele Kardinäle aus den Peripherien ernannt. Das führt dazu, dass sie sich gegenseitig oft nicht gut genug kennen. Wir müssen uns erst richtig kennenlernen.
Nehmen Sie unter den Kardinälen ein «Team Franziskus» wahr und ein «Team Benedikt», das den Zeiten von Benedikt XVI. nachtrauert?
Eher unterschiedliche Bewertungen im Stil, weniger im Inhalt. Nach meinem Eindruck wollen die meisten Kardinäle Franziskus’ Weg weitergehen. Er hat Gott sei Dank sehr viel angestossen, konnte das aber nicht zu Ende führen. In zwölf Jahren können Sie eine Kirche mit 1,4 Milliarden Menschen nicht umkrempeln. Das braucht Zeit und Geduld.
Franziskus hatte scharfe Kritiker unter konservativen Kardinälen.
Aber auch die haben wohl wahrgenommen, wie begeistert die Menschen von seinem Stil waren – das zeigte sich anlässlich der Beerdigung. Franziskus hat eine neue Art des Papstseins vorgelebt. Er wollte mitten unter den Menschen sein, er hat ihre Sprache gesprochen, besass nichts Abgehobenes, sondern stellte die Armen ins Zentrum und zeigte: Die Kirche hat den Menschen auch heute etwas zu sagen.
Nur Kardinäle unter 80 dürfen seinen Nachfolger wählen. Wirken Sie nun als graue Eminenz im Hintergrund?
Nein, für die emeritierten Kardinäle ist Zurückhaltung angebracht. Ich führe keine Werbekampagne, selbstverständlich spricht man aber vertraulich miteinander und sagt seine Meinung. Das hat nichts mit Koalitionsbildung zu tun. Jeder Kardinal ist in seinem Gewissen völlig frei. Ich hielte es auch für übergriffig, andere zu fragen, wie sie abgestimmt haben.
Sie gelten als Teil der «Mafia von St. Gallen», die Jorge Mario Bergoglio zum Papst gemacht haben soll.
Die «St. Galler Mafia» ist eine Erfindung von Journalisten aufgrund einer launigen Bemerkung von Kardinal Godfried Danneels von Mecheln-Brüssel. Richtig ist: Es gab auf Anregung von Kardinal Carlo Martini aus Mailand einen Gesprächskreis von befreundeten europäischen Bischöfen und Kardinälen, die sich einmal im Jahr nach Weihnachten in St. Gallen trafen. Wir haben uns über unsere pastoralen Erfahrungen und Probleme und die Situation der Kirche ausgetauscht – nie aber darüber, wer der künftige Papst sein soll.
Welche Rolle spielte diese Gruppierung bei der Papstwahl 2013?
Der Kreis hat sich nach der Wahl von Papst Benedikt 2005 aufgelöst und als solcher bei der Wahl von Papst Franziskus 2013 gar nicht mehr existiert. Einzelne ehemalige Mitglieder trafen sich nach der eindrucksvollen Ruck-Rede von Kardinal Bergoglio mit anderen Kardinälen und erörterten dessen Wahl. Dass es dann im Konklave zur notwendigen Zweidrittelmehrheit für ihn kam, war nicht das Werk einer relativ kleinen «Mafia», sondern das Werk des Heiligen Geistes.
Papst Franziskus wollte das Pflichtzölibat lockern, auch über das Frauendiakonat dachte er nach. Doch am Ende hat er gebremst. Weshalb?
Ich weiss nur, dass über diese Fragen bei der Amazonien-Synode diskutiert wurde und viele in Amazonien wirkenden Bischöfe eine solche Entscheidung befürworteten. Unter römischen Kardinälen und Bischöfen gab es dagegen Bremser, denen der Papst Rechnung tragen wollte. Von Amts wegen ist er der Einheit der gesamten Kirche verpflichtet. Um eine Zerreissprobe zu vermeiden, beantwortete er beide Fragen nicht negativ, sondern liess sie vielmehr unbeantwortet. Das langsame Tempo der katholischen Kirche mag für viele unbefriedigend sein, aber die Einheit der 1,4 Milliarden Katholiken aus den unterschiedlichsten Kulturen hat ihren Preis: Die Geduld ist die kleine Schwester der Hoffnung.