Die Dschihad-Teenager von Winterthur
Ihre Radikalisierung, Ihre Reise, Ihre Rettung

Vor mehr als einem Jahr reisten Visar (17) und Edita (16) nach Syrien. Inzwischen sind sie wieder zurück in Winterthur und wurden verhört. Nun erzählt M*, ein Freund der Familie, wie es zur Radikalisierung der Geschwister kam und wie sie schliesslich gerettet wurden.
Publiziert: 16.01.2016 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 11.09.2018 um 00:40 Uhr
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Edita und Visar verschwanden am 21. Dezember 2014 aus Winterthur. In Syrien schlossen sie sich der Terrormiliz Islamischer Staat an.
Foto: IHA
Von Lea Gnos

Vier Tage lang sind Edita (16) und Visar (17) nach ihrer Rückkehr in die Schweiz verhört worden. Seit dem 29. Dezember sind die Geschwister zurück aus dem Dschihad.

Ein Jahr zuvor, am 21. Dezember 2014, lassen die Teenies mit kosovarischen Wurzeln ihr ­Leben und ihre Freunde in der Schweiz zurück. Der KV-Lehrling bei der Stadtverwaltung Winterthur ZH und die Sekschülerin schliessen sich der Terrormiliz IS an.

Der Vater der Teenager, Haljit L.*, ist schockiert und besorgt. Er reist nach Adana, in den Südosten der Türkei, um im Grenzgebiet zu Syrien nach seinen Kindern zu suchen. Mit dabei ist auch M*., ein enger Freund der Familie.

In Hotels, in Restaurants, am Zoll hängen sie Bilder auf. «Wir kontaktierten auch Dorfchefs, IS-Aussteiger und Geheimdienstler», sagt M.

Von einem Schweizer Handyshop aus hatte er das letzte Telefonsignal von Visar orten können, es kam aus der Türkei. «Einen Monat nach dem Verschwinden schickte mein Sohn eine Whatsapp-Mitteilung. Er schrieb, ihm und seiner Schwester ginge es gut», so M.

Es folgen weitere Mitteilungen aus Syrien. Visar besucht eine Koranschule mit anderen Auswanderern, auch der Leiter seiner Einheit stammt aus dem Westen. Edita lebt in einem Haus mit Frauen aus Deutschland und Österreich. Sie sieht den Bruder regelmässig. Unter bestimmten Bedingungen hätte auch ihre Mutter sie besuchen dürfen. Was Edita beim IS genau machen musste, darüber schweigt M.

Die Geschwister seien in Winterthur radikalisiert worden, sagt M. Eine Rolle spielte das Kampfsportcenter von Valdet Gashi. Er gehörte dem IS an und soll in Syrien gestorben sein. Die Islamisten versprechen Wohlstand und ein Haus in Syrien. «Sie sagten ihnen, nur in einem muslimischen Land könnten sie frei sein», so M.

Bald drängt die Zeit. Die Eltern befürchten, dass Visar in  den Krieg ziehen muss, um zu kämpfen. Schliesslich gelingt die Befreiung. An einen geheimen Ort in der Türkei entsteht ein Bild, auf dem Visar mit zwei Männern zu sehen ist – seinen Rettern. Der Teenager scheint glücklich, wieder frei zu sein.

Mehrere Zehntausend Franken mussten die Eltern für die Befreiung ihrer Kinder zahlen, ist aus einer Quelle zu erfahren. Als Visar und Edita am Flughafen Zürich-Kloten landen, werden sie in Polizeigewahrsam genommen. Die Jugendstaatsanwaltschaft hat gegen die beiden Teenager ein Strafverfahren eröffnet.

Jetzt sollen die Geschwister laut M. zu ihrem eigenen Schutz fremdplatziert werden. Und nächste Woche gehe für Visar und Edita der Alltag wieder los: mit Lehre und Schule.

* Namen der Redaktion bekannt

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