Für jeden Demokraten ist das Ergebnis der türkischen Abstimmung zum Erschaudern. Eine knappe Mehrheit hat mit den Mitteln der Demokratie – wenn auch unter zweifelhaften Umständen und falls es denn tatsächlich eine Mehrheit ist – die Demokratie abgeschafft.
«Wenn Abstimmungen das System ändern könnten, wären sie verboten»: Mit diesem Spruch begründeten die Anarchisten einst die aus ihrer Sicht naturgegebene Verlogenheit des demokratischen Staats, den sie radikal ablehnten. Erdogan straft sie auf höhnische Art Lügen: Er liess tatsächlich an der Urne das System ändern. Sein autokratisches Gebilde, das er jetzt fast unkontrolliert ausbauen kann, ist hübsch mit Stimmzetteln tapeziert.
Immerhin gibt es aus Schweizer Sicht einen Lichtblick. Die Türken, die bei uns leben, haben deutlich Hayir gesagt, Nein. Dies in wohltuendem Gegensatz zu den Auslandstürken in den umliegenden Ländern, die zum Teil erschreckend deutlich Erdogans Alle-Macht-für-mich-Verfassung unterstützten.
Schweiz muss Demokraten schützen
Die Ablehnung in der Schweiz entspricht mit rund 62 Prozent ungefähr der hiesigen Parteienstärke der Erdogan-Gegner, darunter viele Kurden, die unter der nationalistisch-islamischen Herrschaft leiden. So gesehen ist das Nein keine grosse Überraschung. Es ist dennoch eine Erleichterung und eine Freude. Ein Grund, den Türkinnen und Türken in der Schweiz Danke zu sagen: Es ist gut zu wissen, dass wir gemeinsame Werte teilen! Die Schweiz hat die Verpflichtung, diese türkischen Demokraten vor Erdogans Ausspitzelungen, Diffamierungen und Repressionen zu schützen.
Ja-Sager sollten Konsequenzen ziehen
Die etwas mehr als 19'000 Türken aber, die von hier aus mit ihrem Ja diktatorische Verhältnisse in ihrer Heimat ermöglichen: Überlegt euch, was ihr in der Schweiz verloren habt. Wer die Türkei auf den Weg in die Diktatur schickt, sollte diesen Weg auch selber mitgehen. Bloss zuschauen aus der wohligen Ferne ist inkonsequent und feige.