Journalistin Güner Yasemin Balci (40)
«Der Islam ist eine geladene Waffe»

In Libyen köpfen IS-Terroristen Menschen vor laufender Kamera, in Paris und Kopenhagen richten islamistische Terroristen Blutbäder an. Die türkischstämmige Journalistin Güner Yasemin Balci (40) fordert von Muslimen eine klare Abgrenzung gegen den Terror im Namen Allahs.
Publiziert: 23.02.2015 um 14:22 Uhr
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Aktualisiert: 01.10.2018 um 01:50 Uhr
Journalistin, Schriftstellerin, Vorkämpferin für einen modernen Islam: Güner Yasemin Balci.
Foto: ddp Images

Liebe Mitbürgerinnen, liebe Mitbürger, liebe Geschwister im, mit und ohne Glauben, im Namen Allahs des Barmherzigen rufe ich alle zur Vernunft, zum kritischen Denken auf!

Seit es unsere Religion gibt, werden im Namen des Islam Menschen getötet.

Viele Muslime, ich hoffe die meisten, distanzieren sich nicht nur von diesen Taten, sondern verurteilen und verachten die Menschen, die sie begehen. Muslime stehen heute mehr denn je in der Pflicht, nicht nur den Islamisten, sondern auch allen Traditionalisten den Kampf anzusagen. Es reicht nicht aus, sich zu distanzieren, es müssen Taten folgen. Die Ursachen des Übels, des Kampfes gegen alle Nicht-Muslime, liegen in unserem Umgang mit dem Islam. Wenn ich «unserem» sage, meine ich alle Menschen, aber in erster Linie uns Muslime. Zu leise sind die Stimmen, die ihn reformieren wollen.

Muslime wie Nicht-Muslime haben Angst vor dem Islam, weil es noch immer zu viele Islam-Vertreter gibt, die diesen kritischen Blick verbieten. Ich kann mit Bestimmtheit sagen, dass ein Grossteil meiner Geschwister im Glauben, besonders jene, die ihn predigen, schon immer die Abgrenzung zu all den anderen, den sogenannten Ungläubigen gesucht und propagiert und bei jeder Kritik am Islam sofort die Rolle des Opfers eingenommen hat. Wo sind die Imame, die sagen: Dieser und jener Vers ist in einer bestimmten Zeit entstanden, und den müsst ihr nach heutiger Sicht der Dinge so und so verstehen und deshalb dürft ihr euch nicht so verhalten, wie ihr es gerade tut? Wo sind die Geistlichen, die es wagen, sich gegen die Verschleierung der Frau auszusprechen und für das Recht auf ein selbstbestimmtes Leben für jeden Menschen?

Die Realität der islamischen Welt ist anders: Gerade die Gewalt hervorhebenden Verse werden genutzt, um Menschen Gewalt anzutun. Die Angst vieler Muslime, die es wagen, einen analytischen Blick auf den Koran und die Hadithen zu werfen, ist verständlich, denn sie werden von den meisten Vertretern des Islam in Deutschland und auf der ganzen Welt diffamiert – gar mit dem Tode bedroht.

Unser Glaube ist nicht für alle Menschen die einzig wahre Religion und darf sich nicht mit Verachtung über alles andere stellen. Wenn das die Botschaft ist, die heute bei einem jugendlichen Moscheebesucher als erste im Kopf hängen bleibt, wozu sprechen wir dann noch von einem barmherzigen Allah? Viele Muslime sagen: «Ich bin kein Islamist, warum sollte ich mich von den Taten der Islamisten distanzieren? Als die NSU-Mörder zehn Menschen hinrichteten, haben sich auch nicht alle Deutschen öffentlich von diesen Nazis distanziert.»

Dieses Denken ist falsch. Wir liefern allen Rassisten dieser Welt, egal ob Moslems oder nicht, das nötige Futter, wenn wir unsere Religion zu einem unberührbaren Regelwerk erklären. Die NSU-Zelle kann ihre Morde nicht mit dem Grundgesetz legitimieren, Islamisten aber legitimieren die Verfolgung und Ermordung von Menschen mit der heiligen Schrift.

Religion kann eine Waffe sein – der Islam, so wie er heute von vielen interpretiert wird, ist aufgrund des Mangels an kritischer Auseinandersetzung eine geladene Waffe. Er lebt immer noch in dem Verteidigungsglauben einer vormodernen Zeit.

Mohammed war der letzte Prophet, wir können nicht auf den nächsten warten, um unsere Probleme von heute zu lösen. Nach ihm ist viel auf Gottes Erde passiert, es gab viele Kriege, viel Leid und Tod – und dann wieder Licht. In einer Hadith heisst es: «Das Wissen ist der Gläubigen verlorenes Gut, wo auch immer sie auf Wissen treffen, sollen sie es aufgreifen.»

Der Islam ist zeitgemäss, wenn wir bereit dafür sind.

Der Text erschien erstmals in der Februar-Ausgabe von «Cicero», dem Magazin für politische Kultur. Für SonntagsBlick hat die Autorin ihn leicht gekürzt.

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