Experte Daniel Bochsler zur serbischen Zug-Provokation
Gibt es auf dem Balkan wieder Krieg?

Jetzt war es doch auf dem Balkan endlich einigermassen ruhig! Nun provozieren die Serben die Kosovaren mit einem nationalistisch bemalten Zug. Balkan-Experte Daniel Bochsler erklärt die Hintergründe und was Donald Trump damit zu tun hat.
Publiziert: 16.01.2017 um 22:18 Uhr
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Aktualisiert: 04.10.2018 um 21:01 Uhr
«Kosovo ist Serbien»: Diesen Zug wollte Serbien in den Kosovo schicken.
Foto: AP
Interview: Guido Felder

BLICK: Herr Bochsler, die Serben schicken einen Zug in ihren Nationalfarben auf eine Reise in den Kosovo. Warum diese Provokation?
Daniel Bochsler*:
Der serbische Premier Aleksandar Vucic, sein Präsident Tomislav Nikolic und viele ihrer Regierungsmitglieder sind durch Kriege und nationalistische Hetze gegen Bosnien und den Kosovo politisch gross geworden. Aber es sind Wendehälse. Unter dem Druck der EU haben sie faktisch dem Kosovo die Unabhängigkeit eingestanden. Im April stehen in Serbien aber wieder Wahlen an. Sie wollen sich ins rechte Licht rücken – als nationalistische Scharfmacher.

Balkan-Experte Daniel Bochsler.
Foto: ZVG

Wie wichtig ist diese Zugverbindung in den Norden Kosovos überhaupt?
Die Linie Belgrad–Mitrovica ist höchst symbolisch. Serbien hat den Kosovo verloren. Aber die Politik Serbiens zielt darauf ab, den Norden Kosovos, wo viele Serben wohnen, an Serbien anzubinden. Nicht nur verkehrstechnisch – da sind Busse ohnehin viel wichtiger als die Bahnverbindung –, sondern politisch. Für die Regierung im Kosovo ist auch der Slogan «Kosovo ist Serbien», mit dem der Zug in 21 Sprachen geschmückt ist, inakzeptabel.

Im Innern: Serbisch-orthodoxe Ikonen zieren die Zugkomposition.
Foto: AP

Man meinte und hoffte, dass in diesem Gebiet endlich Ruhe herrsche. Was geschieht nun, könnte wieder Krieg ausbrechen?
Die Episode mutet irrwitzig an. Die Lage ist eigentlich stabil, die serbische und die kosovarische Regierung haben in vielen Fragen pragmatische Vereinbarungen getroffen. Aber so regelmässig wie Wahlen stattfinden, giessen die Regierungen auch immer wieder Öl ins Feuer. Die gemeinsamen russisch-serbischen Militärmanöver oder gegenseitige Boykottaufrufe zwischen Kroatien und Serbien sind noch in wärmster Erinnerung.

Der Zug sollte von Belgrad bis nach Mitrovica fahren. In Raska hielt Serbien den Zug an.
Foto: Ringier Infographics

Könnte auch die Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten einen Einfluss gehabt haben?
Es ist tatsächlich nicht auszuschliessen, dass der Amtsantritt Trumps bei einigen serbischen Nationalisten einen Adrenalinschub auslöst. Trump ist nicht nur ein Freund Putins, auch die serbischen Nationalisten mögen ihn. Die gleiche Regierung, die den Zug losgeschickt und Kosovo offen mit Krieg gedroht hat, lobt sich heute, dass sie den Zug vor der Grenze gestoppt und so das Schlimmste verhindert hat.

Aber die Gemüter sind äusserst erhitzt. Bereits fallen Ausdrücke wie «Krieg». Müssen wir mit einem neuen bewaffneten Konflikt rechnen?
Das ist aus heutiger Sicht unvorstellbar, viele Konfliktpunkte zwischen Serbien und dem Kosovo wurden geregelt. Serbien wird nicht die Waffen gegen die internationalen Truppen – inklusive Swisscoy – richten, die im Kosovo die Stabilität garantieren sollen. Und eben: Premier Vucic hat sich bereits wieder als Friedensstifter in Szene gesetzt.

Wie soll die EU in diesem Zug-Streit reagieren?
Die EU ist in der Zwickmühle. Die Politiker in Belgrad und Pristina wissen: Wenn die Lage eskaliert, meldet sich Angela Merkel übers Telefon und beruhigt die Gemüter. Aber auf Dauer führt das Doppelspiel zwischen innenpolitischer Provokation und europapolitischer Mässigung nicht zu einer Lösung, sondern spielt den Nationalisten in der Region in die Hände.

Unternimmt die EU zu wenig?
Schon vor Jahren hat die EU in der Region ihre demokratischen Ideale und das Ziel eines nachhaltigen Friedens aufgegeben. Sie versucht nur noch, die dringendsten Probleme zu lösen, auch wenn sie dadurch autoritäre Regierungen und nationalistische Scharfmacher stärkt.

Kurz vor der Grenze zum Kosovo stoppten die Serben den Zug.
Foto: AP

Wie müsste eine Lösung für die beiden Staaten aussehen? War die bisher angepeilte Lösung die richtige?
Nur eine Lösung, die die jeweiligen Minderheiten respektiert – also die Albaner in Südserbien und die Serben im Kosovo – und ihnen Rechte zugesteht, wird auf Dauer den Konflikt lösen können. In der Tat haben die Regierungen Kosovos und Serbiens unter Druck der EU ein Abkommen getroffen, das viele praktische Fragen pragmatisch regelt. Diese reichen von der internationalen Telefonvorwahl Kosovos bis zur Autonomie der serbisch dominierten Gemeinden im Nordkosovo.

Der Kosovo gilt heute als Armenhaus Europas. Das Land kommt trotz solcher Abkommen und EU-Hilfe nicht vom Fleck. Was ist los?
Anstelle von Reformkräften regieren im Kosovo Politiker mit Verbindungen zu Kriegsverbrechern und kriminellen Netzwerken. Zudem ist das Land in unnötigen Konflikten gefangen. So hat etwa der Versuch der Kosovo-Regierung, das Abkommen mit Serbien umzusetzen, das Land ins politische Chaos gestürzt. Die Opposition blockiert seither das Parlament. Sie verhindert unter anderem Parlamentssitzungen, indem sie Tränengaspetarden in den Saal wirft.

* Der Berner Daniel Bochsler (38) ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Kopenhagen und am Zentrum für Demokratie Aarau. Sein Forschungsschwerpunkt ist die Politik in ethnisch gespaltenen Ländern. Er hat mehrere Jahre im ehemaligen Jugoslawien geforscht und dazu umfangreich publiziert.

Eine bewegte Geschichte

Der Kosovo ist der jüngste Staat Europas. Er wurde 2008 gegründet und wird inzwischen von 109 der 193 Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen anerkannt – auch von der Schweiz.

Seine Geschichte ist sehr bewegt: Zwei Völker erheben Anspruch auf das Gebiet. Während die Serben darin einen Teil ihrer «Urheimat» und somit einen Teil ihres Landes sehen, kämpfte die albanisch-stämmige Mehrheit erfolgreich für die Unabhängigkeit.

Die Schlüsselstelle der Geschichte liegt im Jahr 1389, als die serbische Armee bei Kosovo Polje (Amselfeld) den Türken unterliegt. Unter osmanischer Herrschaft nimmt die serbische Bevölkerung ab, muslimisch-albanische Stämme wandern zu. Mit der Gründung Jugoslawiens 1918 wird Kosovo den Serben zugeschlagen. Nach dem Zweiten Weltkrieg erhält der Kosovo immer mehr Autonomierechte, welche die Serben beim Zusammenbruch Jugoslawiens wieder aufheben. Es kommt 1998/99 zum Krieg.

Der Kosovo-Konflikt gilt als eines der grössten Probleme Europas der letzten Jahre. Die Gründung des Staates – viermal kleiner als die Schweiz – ist umstritten. Der 1,8 Millionen Einwohner zählende Kosovo wird von 84 Ländern nicht anerkannt, so auch von Spanien und Griechenland nicht. Trotzdem wird in Brüssel über einen EU-Beitritt beraten.

Kosovo ist eines der ärmsten Länder Europas. Es fehlt die Basis für den wirtschaftlichen Erfolg. Es gibt keine guten Schulen, keine Rechtssicherheit und somit auch keine dringend nötigen Investoren. (gf)

Der Kosovo ist der jüngste Staat Europas. Er wurde 2008 gegründet und wird inzwischen von 109 der 193 Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen anerkannt – auch von der Schweiz.

Seine Geschichte ist sehr bewegt: Zwei Völker erheben Anspruch auf das Gebiet. Während die Serben darin einen Teil ihrer «Urheimat» und somit einen Teil ihres Landes sehen, kämpfte die albanisch-stämmige Mehrheit erfolgreich für die Unabhängigkeit.

Die Schlüsselstelle der Geschichte liegt im Jahr 1389, als die serbische Armee bei Kosovo Polje (Amselfeld) den Türken unterliegt. Unter osmanischer Herrschaft nimmt die serbische Bevölkerung ab, muslimisch-albanische Stämme wandern zu. Mit der Gründung Jugoslawiens 1918 wird Kosovo den Serben zugeschlagen. Nach dem Zweiten Weltkrieg erhält der Kosovo immer mehr Autonomierechte, welche die Serben beim Zusammenbruch Jugoslawiens wieder aufheben. Es kommt 1998/99 zum Krieg.

Der Kosovo-Konflikt gilt als eines der grössten Probleme Europas der letzten Jahre. Die Gründung des Staates – viermal kleiner als die Schweiz – ist umstritten. Der 1,8 Millionen Einwohner zählende Kosovo wird von 84 Ländern nicht anerkannt, so auch von Spanien und Griechenland nicht. Trotzdem wird in Brüssel über einen EU-Beitritt beraten.

Kosovo ist eines der ärmsten Länder Europas. Es fehlt die Basis für den wirtschaftlichen Erfolg. Es gibt keine guten Schulen, keine Rechtssicherheit und somit auch keine dringend nötigen Investoren. (gf)

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