Im Dezember 1985 erschütterte der dreifache Mord in Siggenthal-Station AG die ganze Schweiz: In einer Wohnung fand die Polizei die Leichen von zwei Callgirls und dem Wohnungsinhaber V.V.* Alle drei waren erschossen worden.
Noch am selben Tag – am Freitag, dem 13. – stellte sich der Immobilienhändler Alfredo V. Lardelli (damals 29) zusammen mit seiner Freundin Christina V.* der Polizei und gestand, sowohl die Prostituierten als auch V.V., den Ehemann von Christina, getötet zu haben.
Dicke Zigarren in Gerichtspausen
Knapp drei Monate später widerrief Lardelli allerdings sein Geständnis vollumfänglich. Sein «falsches» Geständnis begründete er mit der Liebe zu Christina.
Während des Gerichtsprozesses verkaufte sich Lardelli gerne als das, wofür ihn – den Gescheiterten, Erfolglosen, hoch Verschuldeten – seine Umgebung gehalten hatte: als Lebemann. So trat er täglich in anderer eleganter Kleidung auf und steckte sich in Verhandlungspausen gerne mal eine dicke Zigarre an, wie die langjährige Gerichtsreporterin Rosmarie Mehlin in einem Bericht der «Aargauer Zeitung» schreibt. Medienleuten gab er – in Handschellen ins benachbarte Restaurant geführt – regelmässig Runden aus.
Das Bezirksgericht Baden blieb von Lardellis Show jedoch unbeeindruckt. Und auch die Version, nachdem Christina die Morde an den beiden Prostituierten und ihrem Ehemann V. begangen haben soll, nahm ihm das Gericht nicht ab: Aufgrund seiner genauen Beschreibung des Tatherganges könne nur Lardelli der Täter gewesen sein.
Demnach hatte er in der Mordnacht mit V. eine Vereinbarung wegen Christina treffen wollen. Weil er zwei Prostituierte nicht loswerden konnte, hatte er sie mit in die Wohnung von V. genommen, den er dort erwarten wollte. Als die Frauen ihn drängten, zu ihnen ins Bett zu steigen, hatte er beide mit gezielten Schüssen getötet. Als V. später dazustiess, hatte er auch diesen erschossen – hinterrücks und wortlos.
Am darauffolgenden Morgen war er mit Christina im Auto, einem roten Porsche 911, in Richtung München geflohen. Unterwegs aber hatten ihn Gewissensbisse gepackt, er hatte umgedreht, war zum Badener Bezirksamt gefahren und hatte sich dort zu den Taten bekannt.
Neue Tatversion nach der Entlassung
1989 wurde Alfredo Lardelli schliesslich in Baden AG wegen Dreifachmordes zu 20 Jahren Zuchthaus verurteilt – 14 Jahre sass er ab. Im Oktober 1999 wurde er entlassen. «Niemals hätte ich damals damit gerechnet, erst 14 Jahre später wieder in Freiheit leben zu können», sagte Lardelli eine Woche nach seiner Entlassung in einem BLICK-Interview. «Ich stellte mir vielleicht eine Strafe von fünf Jahren vor. Für mich war auch klar: Bis zum Prozess werde ich wieder auf freiem Fuss sein.»
Kurz nach der Entlassung pochte Lardelli denn auch auf eine Wiederholung seines Prozesses – mit einer neuen Version der Tat: Christina habe lediglich die beiden Frauen, ihren Ehemann V. hingegen habe er erschossen. Die Bemühungen seines Anwalts Urs Oswald um eine entsprechende Wiederaufnahme des Verfahrens wurde jedoch im August 2000 vom Bundesgericht abgeschmettert.
«Wie in ‹Einer flog übers Kuckucksnest›»
Insgesamt drei Mal wurde Lardelli in den 14 Jahren verlegt: von Lenzbug AG nach Regensdorf ZH im Jahr 1991; und 1995 schliesslich von Regensdorf in die halboffene Strafanstalt Wauwilermoos in Wauwil LU.
Am Abend des 20. Dezember 1985 wurde erstmals eine Zellentür hinter ihm geschlossen. Nach dem ersten Morgen im Zuchthaus von Lenzburg wurde ihm klar: «Jetzt bist du tatsächlich in der Spinnwinde gelandet. Ich öffnete meine Zimmertüre und glaubte, ich sei im Film ‹Einer flog über das Kuckucksnest›», erzählte Lardelli nach seiner Entlassung dem BLICK.
Doch trotz des tristen Gefängnisalltags blieb Lardelli positiv. «Man muss wissen, dass in einem Zuchthaus alles erhältlich ist: Ob Drogen, Alkohol oder sonstige Genussmittel, alles ist nur eine Frage des Geldes und der richtigen Beziehungen», so Lardelli. Doch habe er nicht nicht zu einem süchtigen Wrack wie einige meiner Mitgefangenen werden wollen. «Mir gaben keine Drogen, sondern mein positives Denken die nötige Kraft und Durchhaltevermögen.»
In Regensdorf und Wauwil absolvierte er jeweils eine Lehre als Bäcker und Konditor und ebnete sich so seinen späteren Weg ins Partyservice-Geschäft. Auch heiratete er hinter Gittern eine Brasilianerin und nahm ihren Familiennamen Borgatte dos Santos an. Nach seiner Entlassung im Oktober 1999 präsentierte sich Lardelli voller Tatendrang: «Der Knast hat mich stark gemacht. Ich bin so energiegeladen wie nie zuvor.» In den Folgejahren blieb er aber Stammgast in den Gerichten. Und stieg dank seinem Partyservise zu einer der schillerndsten Figuren im Zürcher Milieu auf.
Nun wurde in der irren Geschichten des «kleinen Napoleon», wie Lardelli auch genannt wurde, das letzte Kapitel geschrieben: Nach langer Krankheit starb er heute im Alter von 59 infolge multiplen Organversagens.