In Europa und in den USA hat der sogenannte Multikulturalismus viele Anhänger. Zu dieser Weltanschauung gehört die Vorstellung, dass alle Kulturen gleichwertig sind. Das Problem: Wie soll man auf dieser Grundlage die Tatsache erklären, dass die westliche Zivilisation für den Rest der Welt seit Jahrzehnten offenbar so attraktiv ist, dass immer wieder Millionen von Migranten aus nicht westlichen Kulturen zu uns kommen – aber nicht umgekehrt?
Das hängt mit der Tatsache zusammen, dass nur im christlich geprägten Westen die Menschenrechte entstehen konnten und heute ein Grad an Freiheit und Massenwohlstand existiert, wie die Geschichte ihn noch nie erlebt hat.
Überall Opfer
Anhänger des Multikulturalismus erklären diesen Erfolg jedoch nicht mit einer Überlegenheit der freien Welt, sondern mit dem militärisch-ökonomischen Imperialismus, mit dem der Westen andere Kulturen angeblich seit Jahrhunderten an den Rand der Weltgeschichte drückt und ausbeutet.
Deswegen gehört zur Weltanschauung des Multikulturalismus immer ein Schuldeingeständnis für die «verbrecherische» Vorherrschaft des Westens und eine entsprechende Suche nach den Opfern dieser bösen, patriarchalen Lebensform. Populäre Opfergruppen sind Frauen, Menschen mit nicht weisser Hautfarbe und nicht heterosexueller Orientierung.
Rassisten, Sexisten, Faschisten
Diese Gruppen werden regelmässig nicht nur von westlichen Soziologen, Historikern und Politikern dazu benutzt, die westliche Kultur anzuprangern, sondern auch von Kulturschaffenden und Journalisten. Dabei spielt die politische Korrektheit eine wichtige Rolle. Während der Multikulturalismus die Opfer des Westens hervorhebt, zelebriert die politische Korrektheit spiegelverkehrt die Anklage der Täter, also unserer weissen Rassisten, Sexisten, Faschisten.
Privileg und Verdienst
Das Ganze läuft auf eine kulturelle Selbstverachtung hinaus, bei gleichzeitiger Idealisierung fremder Kulturen und Ethnien. Man könnte sagen: Es handelt sich um eine Art Depression von Leuten, die es nicht als Privileg und Verdienst ihrer Vorfahren ansehen, der westlichen Gesellschaft angehören zu dürfen, sondern die damit ein Problem haben. Frei nach dem Motto des Komikers Groucho Marx (1890–1977): «Ich will keinem Verein angehören, der mich als Mitglied aufnehmen würde.»
Giuseppe Gracia (51) ist Schriftsteller und Medienbeauftragter des Bistums Chur. Er ist verheiratet und Vater von zwei Kindern. In seiner BLICK-Kolumne, die jeden zweiten Montag erscheint, äussert er persönliche Ansichten.