Darum gehts
Weil die Schule auch beim Lernen auf digitale Tools setzt, können Kinder nicht mehr lesen, sagt Hannah Maria (26), ehemalige US-Oberstufen-Lehrerin. Ihr Video, in dem sie anprangert, dass die Kids sich auf Technologie verlassen und nicht mehr selbst arbeiten oder denken, holt Millionen von Klicks, Hannah Maria wird von grossen TV-Sendern interviewt. Hat sie recht? Macht Digitalität unsere Kinder faul und blöd? Und uns auch? Tatsächlich kommen uns gewisse Fähigkeiten abhanden, bei denen es sich lohnt, Gegensteuer zu geben.
Orientierungssinn
Die Forschung zeigt: Das Navi in unserem Gehirn teilt sich in die egozentrische und die allozentrische Navigation auf. Bei der egozentrischen Navigation beziehen wir uns auf uns selbst, beispielsweise bei einer Wegbeschreibung: «Von mir aus geht es zuerst rechts, dann links die Strasse hinunter.»
«So navigieren beispielsweise Kinder», sagt Christian Doeller vom Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig gegenüber dem Fachmagazin «Psychologie Heute». Mit zunehmendem Alter verändert sich diese Art der Orientierung, da das Gehirn einen mentalen Stadtplan abspeichert. Das führt dazu, dass bei Wegbeschreibungen öfter die relative Position zweier Objekte zueinander angegeben wird – wir orientieren uns allozentrisch. Du sagst dann zum Beispiel: «Von der Bibliothek aus geht es rechts zum Stadthaus.»
Da Navigationsgeräte und Google Maps uns das Sammeln solcher räumlicher Erfahrungen abnehmen, können sie unseren Orientierungssinn beeinträchtigen. Wer sich auf GPS verlässt, nimmt die Umgebung weniger bewusst wahr und kann sich schlechter an Ortsmarken erinnern.
Es gibt jedoch Hoffnung: Egal in welchem Alter, der Orientierungssinn lässt sich trainieren, sagt Doeller. Dafür musst du einfach selbst Wege finden, bevor du zum Smartphone greifst.
Schreiben
Wann hast du das letzte Mal etwas von Hand geschrieben? Selbst für Einkaufszettel gibt es inzwischen unzählige Apps. Doch das hat seinen Preis: Forschungen zeigen, dass die Handschrift bedeutende Vorteile für das Gehirn hat.
So konnten die norwegische Neurologin Audrey van der Meer und ihr Team in einer Studie nachweisen, dass handschriftliches Schreiben deutlich mehr Hirnaktivität auslöst als das Tippen auf der Tastatur. Besonders aktiv sind dabei die Areale, die für Lernprozesse und die Gedächtnisbildung wichtig sind.
Diese werden durch die komplexen, feinmotorischen Bewegungen angeregt. Beim Schreiben von Hand koordinieren wir bis zu 30 Muskeln und 15 Gelenke gleichzeitig. Tippen ist hingegen eine gleichförmige, repetitive Tätigkeit.
Zudem kann sich der Mensch Handgeschriebenes besser merken. Beim Schreiben von Hand muss der Inhalt bereits zusammengefasst und formuliert werden. In einer Studie der amerikanischen Psychologin Pam Mueller haben sich die tippenden Probanden zwar durchschnittlich mehr notiert, konnten sich aber weniger vom Inhalt merken. Darum: Greif doch beim nächsten Meeting zum Notizblock statt Notepad.
Informationsbeschaffung
Nein, an Intelligenz büssen wir (noch) nicht ein. Bisher konnte keine aussagekräftige Studie negative Auswirkungen der ständigen Verfügbarkeit von Informationen durch das Internet und KI auf unseren Intelligenzquotienten nachweisen. Im Gegenteil: Unter dem sogenannten Flynn-Effekt beobachtet die Forschung seit den 1990er-Jahren einen zunehmenden IQ in den westlichen Ländern – dies führen die Studien aber auf die sich verbessernden Lebensumstände und nicht die technische Revolution zurück.
Was verschiedene Forschende jedoch nachweisen konnten, ist eine Veränderung unserer Informationsbeschaffung. Beim Suchen nach Informationen unterliegen wir dem sogenannten «Confirmation Bias», einer Bestätigungsverzerrung. Wir suchen tendenziell nach Beiträgen und Artikeln, die unsere eigene Wahrnehmung bestätigen.
Eine im Jahr 2023 in der «Zeitschrift für Arbeits- und Organisationspsychologie» veröffentlichte Studie des Wirtschaftswissenschaftlers Uwe Kanning und seines Teams konnte den Confirmation Bias in mehreren Bereichen nachweisen. Von der Personalauswahl über die politische Informationssuche bis hin zu Gerichtsverhandlungen gibt es Anzeichen dafür, dass Menschen bevorzugt nach bestätigenden Informationen suchen. Die Algorithmen erfassen dies und setzen es fort.
Um dem entgegenzuwirken, musst du dir in erster Linie deiner Verzerrung bewusst sein. Suchst du nur nach einer Information, um ein eigenes Argument zu unterstützen? Zudem braucht es für die Abmilderung der Bestätigungsverzerrung technisches Wissen, wie Algorithmen im Internet funktionieren. Doch in der Schweiz holpert es schon vorher: Gemäss dem Digitalbarometer 2024 fehlen 31 Prozent der Bevölkerung grundlegende Grundkompetenzen in der Informationstechnik.