Hype um Nelio Biedermann
Ein junger Autor, dem man alles zutraut

Um den zweiten Roman des erst 22-jährigen Zürchers Nelio Biedermann rissen sich die Verlage. Die Erwartungen stiegen, die bewundernden Lobesworte häuften sich. Nun erscheint «Lázár» – wie geht Biedermann mit dem wachsenden Druck um?
Publiziert: 01.09.2025 um 10:00 Uhr
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Aktualisiert: 01.09.2025 um 11:46 Uhr
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Nelio Biedermann (22) ist in Zürich geboren und aufgewachsen.
Foto: Keystone

Darum gehts

  • Nelio Biedermann veröffentlicht seinen Roman «Lázár» über eine ungarische Adelsfamilie
  • Daniel Kehlmann lobt den 22-jährigen Autor als grossen Schriftsteller
  • Der Roman erntete in den Monaten vor der Publikation Vorschusslorbeeren, er erscheint am 1. September
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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«Ein wirklich grosser Schriftsteller betritt die Bühne, im Vollbesitz seiner Fähigkeiten», schreibt Daniel Kehlmann in seinem Lobzitat auf der Rückseite von «Lázár», dem neuen Buch von Nelio Biedermann (22).

Drei knappe Sätze, die für den jungen Zürcher fast unwirklich wirken. Kehlmann – der Autor, dessen Bücher ihn durch Schulzeit und Erwachsenwerden begleitet haben. Jetzt steht sein eigener Name daneben. «Das ist immer noch nicht ganz bei mir angekommen», sagt er. Und doch wirkt er nicht überrascht.

Fast jede Familiengeschichte hat ihre dunklen Winkel, ihre blinden Flecken, ihre Geheimnisse. Die Familie Lázár, die Biedermann in seinem Roman zum Leben erweckt, gehört zu jenen, deren Geschichte lieber verschwiegen worden wäre – und gerade deshalb erzählt wird. Drei Generationen umfasst dieser Familienkosmos, vom Glanz des ungarischen Adels bis zum Nachhall einer sowjetischen Besetzung. «Lázár» ist ein Roman über Herkunft, Macht, Erinnerung – geschrieben von einem Autor, der selbst erst am Anfang seines Lebens steht.

Der erste Satz des Romans sitzt

Der Weg zu diesem Roman war kein gradliniger. «Das Wie ist wichtiger als das Was», sagt Biedermann in einem Café in der Nähe der Universität Zürich, an der er als Student eingeschrieben ist. Ein Satz, der das Fundament von «Lázár» bildet – und der eine zentrale Lektion spiegelt, die er in den zwei Jahren seit seinem Debütroman «Anton will bleiben» gelernt hat.

Autor Nelio Biedermann hat seinen Ton gefunden.
Foto: Keystone

Der erste Satz des neuen Romans kam erst nach einigen Mühen. Dafür sass er sofort. Und er trägt: «Am Rand des dunklen Waldes lag noch der Schnee des verendeten Jahrhunderts, als Lajos von Lázár, das durchsichtige Kind mit den wasserblauen Augen, zum ersten Mal den Mann erblickt, den es bis über seinen Tod hinaus für seinen Vater halten wird.»

Dass Biedermann seinen Ton inzwischen gefunden hat, merkt man dem Text auf jeder Seite an. Der Blick ist präzise, die Sprache verdichtet, der Rhythmus sicher. Der 22-Jährige schreibt mit einer Reife, die selten ist – vor allem in diesem Alter.

«Lázár» ist keine Autofiktion

Nelio Biedermanns Familie stammt, ebenso wie die Familie Lázár, aus ungarischem Adel. Viel ist davon nicht geblieben – ausser einer diffusen historischen Last und Erinnerungen, die kaum jemand zu erzählen vermag. Eine Reise mit seinem Grossonkel vergangenen Herbst nach Budapest füllte einige dieser Lücken. Aus ihnen – und aus viel Fantasie – entstand die Familie Lázár. Wie sahen die Ballkleider aus? Wie klangen die Stimmen in den Salons? Was wurde gegessen, gedacht, geträumt?

«Es fühlte sich an, als hätte ich eine Last abgegeben und dabei einen Teil von mir gefunden», sagt Biedermann. Eine Befreiung, aber auch ein Akt der Erfindung. «Lázár» ist kein autobiografischer Roman, auch wenn vieles von Biedermanns eigener Geschichte hineingeflossen ist. Die Leerstellen, die nach der Reise blieben, wurden nicht bloss aufgefüllt – sondern verwandelt. Entstanden ist ein Roman, der das Historische mit dem Märchenhaften verwebt. Die Fantasie legt sich als Schleier über die Realität. 

Von «Lázár» soll es Übersetzungen in 20 Sprachen geben

Dass der Roman so einschlägt, war nicht vorhersehbar. Jedenfalls für ihn. Denn sein Debüt war in einem kleinen Schweizer Verlag erschienen und hatte keine grossen Wellen geschlagen.

Biedermanns Agentur Liepman zeigte jedoch früh Interesse, obwohl das neue Manuskript noch nicht abgeschlossen war. Mehrere Verlage meldeten sich – es kam zur Auktion. Rowohlt Berlin machte das Rennen. Auch international stieg das Interesse, Übersetzungen in über 20 Sprachen sind geplant. Und das, bevor das Buch überhaupt fertig geschrieben war.

Wie schreibt man weiter, wenn der Druck von aussen so gross wird? «Erst mal gar nicht», sagt Biedermann lachend. Er zog sich zurück, um wieder bei sich anzukommen.

Sobald fertiggestellt, folgte das Cover, die Druckfahne, die ersten Rückmeldungen. «Wie kann man mit 22 so schreiben!», postete Caroline Wahl, Erfolgsautorin von «22 Bahnen» und «Windstärke 17», schon im April in einer Instagram-Story. Andere sprechen von «etwas Grossem». Und das Buch ist noch nicht mal erschienen.

Buch-Influencer schwärmen schon vor der Veröffentlichung von Biedermanns neuem Roman.
Foto: Screenshot Instagram

Was folgt, ist ein Vorgeschmack auf den medialen Rausch: Interviews, die mit dem Erscheinen des Buchs am 1. September publiziert werden dürfen, Vorbereitung auf Lesungen, ein immer voller werdender Terminkalender. Auch an der Frankfurter Buchmesse im Oktober wird er eine Lesung halten, selbst besucht hat er die weltweit grösste Buchmesse nie.

Welche Passagen er bei Lesungen lesen wird, hat er noch nicht entschieden. Den ersten Satz und den Anfang der Geschichte auf jeden Fall. Und vielleicht auch eine Stelle, in der der Ton sich etwas ändert. «Auf diese Szenen bin ich besonders stolz», sagt er schmunzelnd.

Gesprächsstoff liefern

Etwas vom Schönsten am Schreiben für ihn: das Echo. Vor allem freut sich Biedermann auf den Austausch. Er will zu reden geben. «Ich war so lange im Text abgetaucht – jetzt will ich hören, was berührt, was irritiert, was bewegt.» Jeder lese anders, meint er. Und vielleicht könne er selbst noch Neues über sein Buch erfahren. 

Dass sein Alter immer wieder betont wird – damit kann er leben. «Ich verstehe das. Bei einem 17-jährigen Fussballtalent ist man auch doppelt aufmerksam.» Trotzdem: Er will nicht darauf reduziert werden. «Ich habe an dem Buch gearbeitet, gezweifelt und geschliffen.» Dass das mit 22 passiert ist, ist Zufall, kein Makel.

Sein erstes Buch schrieb Nelio Biedermann als Gymnasiast, das zweite als Student.
Foto: Keystone

Nelio Biedermanns nächste Pläne

Was aber kommt nach einem solchen Donnerschlag, nach dieser literarischen Entladung? Wenn der Donner verhallt ist, der Druck nachlässt, das Buch seinen Platz im Regal gefunden hat? Zunächst sein Studium abschliessen. «Nach einem Projekt kommt erst mal die Leere», meint er. Dann folgt aber der Drang für was Neues. «Ich habe nur eine Bedingung dabei», sagt Biedermann. «Ich will nah bei mir bleiben.»

Er weiss inzwischen, was sich richtig anfühlt, wo sein Ton liegt, wohin er will. Die nächste Steigerung soll eine persönliche sein. Nicht grösser, sondern tiefer. Dafür braucht es Distanz zur Öffentlichkeit, Klarheit, Schutzräume. Beruflich weiter Autor zu sein – das bleibt das Ziel. Aber nicht um jeden Preis. 

Dafür etwas erleben muss er nicht. Die Fantasie reicht aus. Ein Autor lebt bekanntlich tausend Leben, und er hat sie alle noch vor sich. Nelio Biedermann ist ein literarisches Versprechen, das sich Zeit nimmt, bevor es eingelöst wird.

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