Mit 17 Esoterikstar: Christina von Dreien
Die Prinzessin des Übersinnlichen

Ihre Bücher sind Bestseller, ihre Seminare bis 2019 ausgebucht: Der Teenager Christina von Dreien (17) ist der neue Shootingstar der Esoterikszene. Vom Hype profitieren Fake-Heiler und Verschwörungstheoretiker.
Publiziert: 20.08.2018 um 17:30 Uhr
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Aktualisiert: 26.06.2019 um 16:11 Uhr
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17-jährig und schon ein Guru: Christina von Dreien hat als angebliches Medium in der ganzen Schweiz Erfolg. Sie verkauft sich als Kindergenie, das Kontakt ins Jenseits hat, Gedanken lesen, heilen und einen direkten Draht zu den Chefs da oben hat – zu den "höheren Mächten".
Foto: imago/Bluegreen Pictures
Rebecca Wyss

«Bewusstsein schafft Frieden» leuchtet in grossen Lettern vorne auf der Bühnenleinwand. Die Kassenfrau regt sich laut darüber auf, dass es jetzt «schon wieder zu wenig Stühle hat». Hier und dort zwängt sich eine Frau durch die langen Sitzreihen, um dann festzustellen, dass jemand ganze vier Plätze mit seiner Jacke zu seinem temporären Eigentum erkoren hat. Sie alle sind aus dem ganzen Mittelland in den Saal nach Basel gereist. 400 Leute auf einem Haufen zusammengequetscht, nur um diese eine junge Frau zu sehen: Christina von Dreien. Klein, blass, dünn und mit schwächlicher Stimme – so begrüsst sie von der Bühne aus ihre Fans. Eine 17-Jährige vor lauter Erwachsenen. Und während sie davon spricht, dass die Liebe unsere verkommene Welt rettet, schliesst ein Mann mit Pferdeschwanz, der neben ihr auf der Bühne sitzt, die Augen. Magic Moment.

Christina von Dreien ist der neue Star in der Esoterikszene. Sie hat’s vom Bauerndorf Dreien SG in die Säle der Schweizer Städte geschafft. Und sie füllt diese. Alleine die sieben Veranstaltungen, die sie von Anfangs März bis Ende Mai organisierte, waren ausgebucht. Ab Herbst tritt sie sogar in Deutschland auf und spannt mit dem bekannten Verschwörungstheoretiker Daniele Ganser zusammen. Ihre «Youtube»-Sendungen werden bis zu 130 000 mal angeklickt. Und die zwei Bücher «Christina», Band eins und zwei, die ihre Mutter Bernadette Meier geschrieben hat, führen seit Monaten die hiesige Sachbuch-Bestsellerliste an.

Direkter Draht zu den «höheren Mächten»

27 000 Stück gingen bislang über den Ladentisch. Damit kommt sie an Verkaufszahlen renommierter Schweizer Autoren heran. Das alles zahlt sich aus. Alleine mit den drei Stunden Vortrag in Basel nimmt sie 12 000 Franken an Eintrittsgeld ein.

Die junge Frau ist Teil eines kommerziellen Phänomens, das Anfangs der Nullerjahre mit dem Wahrsager Mike Shiva begann. Mit seinen Werbesendungen machte der Mann mit den bunten Stirnbändern Millionen. Nach ihm kam der Baselbieter Pascal Voggenhuber. Mit seinem angeblich guten Draht zu Verstorbenen trieb er die Einschaltquoten von «Aeschbacher» und Co. in die Höhe und scharenweise trauernde Hinterbliebene in seine Arme. Jetzt heisst der Shootingstar Christina von Dreien. Sie verkauft sich als Kindergenie mit übernatürlichen Kräften: Angeblich kann sie mit Toten und Tieren sprechen, Gedanken lesen, Krankheiten heilen und hat einen direkten Draht zu den Chefs da oben – den «höheren Mächten».

Engelsgesichtern nimmt man alles ab

Mit ihrer Jugendlichkeit trifft sie einen Nerv. «Weil man einem Kind nichts Böses zutraut», sagt der Religionswissenschaftler Georg Otto Schmid. Er ist der Leiter von Relinfo, der Sekten und Religions-Informationsstelle der reformierten Kriche. Was sie sagt, muss wahr sein – so der Eindruck, den sie vermittle. «Mit der Jugend-Masche hatte schon Pascal Voggenhuber Erfolg.» Auch seinem Engelsgesicht glaubte man gerne. Dass er eine Schauspielerausbildung hinter sich hatte und top-professionell Fernsehauftritte absolvierte, vergass man.

Von Dreien, Voggenhuber und Shiva passen in eine Strömung, die laut einem Bericht der Beratungsstelle Infosekta den Sektenboom der Neunziger abgelöst hat. Früher gab es einige wenige Gruppen wie Scientology und Co., die mit vielen Regeln und Verpflichtungen ihre Jünger vom Rest der Gesellschaft abschotteten. Heute blüht der Markt mit esoterischen Weltanschauungen und Angeboten, bei denen sich jeder nach Lust und Laune bedienen kann. In diese Kerbe schlägt auch die junge Frau mit ihren Büchern, Seminaren und «Youtube»-Videos.

Trotz ihres Erfolgs blieb sie in medialen Öffentlichkeit praktisch unerwähnt. Sektenexperte Hugo Stamm kritisierte vor einem halben Jahr auf der Newsplattform «Watson» ihre Ideen. Und einem wohlwollenden Lokaljournalisten erklärte Mutter Bernadette in einem Interview ausführlich die Visionen ihrer Tochter. Das ist alles. Gegenüber dem Magazin des «SonntagsBlick» nehmen Christina und ihre Mutter nun zum ersten mal zu kritischen Punkten Stellung. Schriftlich. Eine Frage drängt sich besondersauf: Wie wird aus einem Teenager aus dem Toggenburgischen das It-Girl der Esoterikszene?

Als Kind eine Einzelgängerin, als Jugendliche Medium

Bis letzten Sommer fiel das Mädchen nicht einmal im eigenen Dorf auf. Das obwohl im Toggenburg die Menschen öfter an Wahrsager, Heiler und die Kraft von Kristallen glauben als anderswo. Christina war still, eine Einzelgängerin und hatte wenige Freundinnen, wie Ernst Rüegg, der Leiter der Oberstufe in Mosnang sagt. Hier ging sie zur Schule. In den drei Jahren auf der Oberstufe hat er sie kaum lachen sehen und selten aufgestellt angetroffen. «Für mich ist es schwierig zu glauben, dass sie jetzt plötzlich ein Medium sein soll.» Er weiss: Wegen schlechter Leistungen in den Fächern Mathematik und Englisch musste sie von der Sekundar- in die Realklasse wechseln. «Wenn sie ein Medium sein soll, warum hat sie ihr Wissen nie mit uns geteilt?»

Hinter dem Konzept von Christina von Dreien steht eine Frau: Mutter Bernadette Meier. Seit sie ihre Karriere als Marathonläuferin 2015 an den Nagel gehängt hat, zieht sie die Fäden. Sie publizierte vor einem Jahr das erste Buch «Christina – Zwillinge als Licht geboren», in dem sie die übernatürlichen Fähigkeiten der Tochter beschreibt und sie so als Medium stilisiert. Bald darauf legte die Naturheilpraktikerin mit einem zweiten nach. Und sie ist es auch, die meistens an Stelle ihrer Tochter E-Mail anfragen beantwortet und Interviews gibt. Selbst als Christina in einem «Youtube»-Video gefragt wird, wohin es in der nächsten Zeit beruflich gehe, gibt Mutter Meier freimütig Auskunft. So bald wird sich das nicht ändern: Im zweiten Buch steht, dass sie hoffe, noch lange Teil der Mission ihrer Tochter sein zu können. Warum drängt sie sich so ins Rampenlicht? «Christina ist rechtlich gesehen noch minderjährig und entsprechend stehe ich als Mutter alleine schon deshalb in der Pflicht und Verantwortung», schreibt Bernadette Meier auf Anfrage. Ihre Tochter sei der Kopf der Mission und bestimme, welche Mails sie beantworten möchte.

Kosmisches Glühen im Gesicht

Sohn Mario, der zwei Jahre jünger ist als seine Schwester, hält sich laut Meier ganz heraus. Auch der Vater der Kinder, ihr Ex-Mann, der einen Holzbaubetrieb im gleichen Dorf hat, will mit der ganzen Sache nichts zu tun haben, wie ein Anruf bei ihm zeigt.

An den Event in Basel sind die Fans wegen Christina von Dreien gekommen, nicht wegen Christina Meier. Alle Augen sind auf die junge Frau gerichtet, die fast drei Stunden lang vor sich hin plaudert. Die Themen: Krieg, Frieden, Hass, Liebe, die Regierung, hinter der dunkle Mächte stehen und die Welt im allgemeinen, die nicht sehr «lichtvoll aussieht». In der Pause geht’s unter den Besuchern gleich weiter. Eine glaubt, im blassen Gesicht Christinas ein Glühen zu erkennen. Ihr Gesprächspartner erklärt, dass dieses Glühen wahrscheinlich von der kosmischen Energie komme, die durch die junge Frau hindurchströme. Wieder eine andere hofft, dass diese neue Zeit, die in ihrem zweiten Buch beschrieben wird, bald anbricht.

Schöne neue Welt mit veganen Dinosauriern

Wie alle esoterische Lehren setzt Christina von Dreien auf eine neue Welt, die die unsere ablöst. Diese steht aber nur jenen offen, die sich spirituell genügend weit entwickelt haben. Kein Zufall ist wohl, dass die Anleitung dafür im zweiten Buch steht. Christinas Paradies sieht so aus: Mit spätestens 35 hört man auf zu altern, Handys braucht man keine mehr, weil wir alle telepathische Fähigkeiten haben, jeder kann sich selbst heilen und sogar die ausgestorbenen Dinosaurier leben wieder – aber nur weil sie jetzt Veganer sind. Derweil beissen im Saal in Basel die Besucher genüsslich in Salamisandwichs.

«Ihre Ideen sind nicht übersinnlich, sondern ganz normale Teenager-Vorstellungen», sagt Religionswissenschaftler Schmid. Er hat die beiden Bücher gelesen und sich einen Vortrag im Zürcher Volkshaus angehört. Wie die meisten Jugendlichen träume sie von einer besseren Welt, in der sie die Heldin sein dürfe. Was ihm auffällt: «Für eine 17-Jährige ist sie sehr belesen.» Sie kenne die esoterische Literatur der vergangenen Jahrzehnte und benutze auch deren Begriffe. Zudem müsse sie viel Zeit im Internet verbracht haben. «‹Galaktische Föderation des Lichts› hat sie von einschlägigen Webseiten, die ich auch kenne.» Dass sie sich bei anderen esoterischen Konzepten bedient, streitet Christina Meier nicht ab. Nicht alles was neu sei, sei auch zeitgemäss und nicht alles was alt sei, sei veraltet. «Spirituelles Wissen ist etwas das viele erst im Kopf und noch nicht im Herz haben.»Schmid hat sich auch das Publikum angeschaut. Sein Urteil: «Die meisten hatten vorher wenig mit Esoterik zu tun.»

In den Fängen von Fake-Heilern

Das zeigt auch ein Blick in den Basler Saal. Dort sitzen Leute aus der Mitte der Gesellschaft. Und das ist der Punkt. Esoterik boomt nicht nur bei Spinnern. Jeder siebte in der Schweiz glaubt an spirituelle Lehren, wie eine Studie aus dem Jahr 2014 zeigt. Oft Frauen zwischen 40 und 50, die gut gebildet und weltoffen sind. Viele andere glauben zwar nicht an Engel und Jenseitskontakte, machen aber Yoga, Meditation und schamanische Ayahuasca-Rituale. Esoterik passt zum modernen Selbstfindungstrend. Weil wir nach einem Sinn suchen, nachdem uns die klassische Religion abhanden gekommen ist. Weil wir jetzt ohne Gottes Hilfe mit unserem Alltag dealen müssen. All die spirituellen Bücher und Gurus helfen ab: Sie versprechen ein besseres Leben.

Und das kann böse enden. Bereits gerieten mehrere Christina-Anhänger in die Fänge von Fake-Heilern, die vorgeben, im Namen des Mediums Behandlungen anzubieten. Davon distanziert sich die junge Frau auf ihrer Webseite. Die Informationsplattform Relinfo weiss zudem von einer Frau, die auf Anraten eines Heilers, der sich als Christina-Fan outete, ihre medizinische Behandlung abgesetzt hat. Mit dem Fall konfrontiert, schreibt uns Bernadette Meier: Im Allgemeinen gingen sie davon aus, dass jeder Mensch das eigene Leben verantwortungsbewusst in der Hand habe. «Sein Denken, Fühlen und Handeln unterliegt seinem freien Willen und den gilt es auch von aussen zu respektieren.»Anders gesagt: Jeder ist für sich selbst verantwortlich. Somit muss auch jeder für sich selbst entscheiden, ob er den Hokuspokus von Christina von Dreien glauben will.

Das Geschäft mitdem Seelenheil

Die klassischen Sektengruppen aus den 90ern sind laut der Beratungsstelle Infosekta out, seit ein paar Jahren boomt der Esoterikmarkt. Und mit ihm ein Wildwuchs an Weltanschauungen und Angeboten. Heute kommt man an Meditation, Yoga, Selbsthilfebüchern, Heilsteinen oder Horo­skopen nicht mehr ­vorbei. In Deutschland setzt die Branche ­zwischen 20 und 25 Milliarden Franken um, für die Schweiz gibt es keine Zahlen. Bekannte Verlage der Szene sind Droemer Knaur und Barth aus Deutschland oder dank Christina von Dreien der Schweizer Kleinverlag Govinda. Das Geschäft brummt, aber nur mit den ­richtigen Köpfen. Die ersten Stars der Szene waren Mike Shiva und Pascal Voggenhuber. Als TV-Hellseher, DJ, Mode­rator und ­überzeugter Stirnbandträger machte Michel Wehner alias Mike Shiva Millionen. Und Voggenhuber, der mit seinen ­Jenseitskontakten wirbt, bildet heute ab 480 Franken zum ­Berufsmedium aus.

Die klassischen Sektengruppen aus den 90ern sind laut der Beratungsstelle Infosekta out, seit ein paar Jahren boomt der Esoterikmarkt. Und mit ihm ein Wildwuchs an Weltanschauungen und Angeboten. Heute kommt man an Meditation, Yoga, Selbsthilfebüchern, Heilsteinen oder Horo­skopen nicht mehr ­vorbei. In Deutschland setzt die Branche ­zwischen 20 und 25 Milliarden Franken um, für die Schweiz gibt es keine Zahlen. Bekannte Verlage der Szene sind Droemer Knaur und Barth aus Deutschland oder dank Christina von Dreien der Schweizer Kleinverlag Govinda. Das Geschäft brummt, aber nur mit den ­richtigen Köpfen. Die ersten Stars der Szene waren Mike Shiva und Pascal Voggenhuber. Als TV-Hellseher, DJ, Mode­rator und ­überzeugter Stirnbandträger machte Michel Wehner alias Mike Shiva Millionen. Und Voggenhuber, der mit seinen ­Jenseitskontakten wirbt, bildet heute ab 480 Franken zum ­Berufsmedium aus.

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