Darum gehts
Norman Wolf (32) schwieg viele Jahre. Selbst seine Mutter erfuhr erst von den Mobbing-Erfahrungen ihres Sohnes, als er längst erwachsen war. «Warum hast du mir nie davon erzählt?», fragte sie ihn. Heute engagiert dich der Deutsche in der Mobbingprävention.
In seinem neuen Buch und im Interview mit Blick erklärt er, warum viele Betroffene schweigen, wie Eltern helfen können, damit sich ihr Nachwuchs öffnet – und wie Schulen und Erwachsene Mobberinnen und Mobber stoppen können.
Blick: Herr Wolf, Sie wurden als Schüler stark gemobbt. Wie wäre es gewesen, wenn es damals schon Smartphones gegeben hätte?
Norman Wolf: Wenn ich an die Zeit zurückdenke, denke ich vor allem an die Nachmittage zu Hause, an denen ich mich sicher gefühlt habe und keine Angriffe zu befürchten hatte. Heute, mit einem Handy in der Hosentasche, geht das Mobbing nahtlos weiter.
Norman Wolf (32) ist in Bayern aufgewachsen und zur Schule gegangen. Heute lebt er in Frankfurt am Main. Er hat selbst Mobbing-Erfahrungen gemacht – unter anderem, weil er als Kind übergewichtig war. Nach einem Psychologiestudium engagiert er sich heute als Autor, Berater und Speaker für Mobbingprävention. Seine Schwerpunkte sind Mobbing, Cybermobbing und psychische Gesundheit bei Kindern und Jugendlichen. Er setzt sich zudem für LGBTQ-Rechte ein. Neben Vorträgen, Workshops und Schulprojekten nutzt er seine Reichweite in den sozialen Medien, um aufzuklären und Betroffene zu stärken. In seinem neusten Buch «Wenn der Blick aufs Handy zur Qual wird» verarbeitet er auch persönliche Erfahrungen – darunter die belastende Suche nach seinem vermissten Vater.
Norman Wolf (32) ist in Bayern aufgewachsen und zur Schule gegangen. Heute lebt er in Frankfurt am Main. Er hat selbst Mobbing-Erfahrungen gemacht – unter anderem, weil er als Kind übergewichtig war. Nach einem Psychologiestudium engagiert er sich heute als Autor, Berater und Speaker für Mobbingprävention. Seine Schwerpunkte sind Mobbing, Cybermobbing und psychische Gesundheit bei Kindern und Jugendlichen. Er setzt sich zudem für LGBTQ-Rechte ein. Neben Vorträgen, Workshops und Schulprojekten nutzt er seine Reichweite in den sozialen Medien, um aufzuklären und Betroffene zu stärken. In seinem neusten Buch «Wenn der Blick aufs Handy zur Qual wird» verarbeitet er auch persönliche Erfahrungen – darunter die belastende Suche nach seinem vermissten Vater.
Inwiefern?
Jederzeit kann eine Benachrichtigung aufploppen mit der nächsten Beleidigung oder dem nächsten Gerücht, das jemand über mich in Umlauf bringt. Also fühle ich mich nie zu hundert Prozent sicher. Wenn ich konstant angespannt bin, ist das nichts anderes als chronischer Stress und damit der beste Nährboden für eine Vielzahl von psychischen Erkrankungen.
Sie haben Erfahrung mit Cybermobbing, waren auch schon einem Shitstorm ausgesetzt. Was hat das bei Ihnen ausgelöst?
Zuerst Angst, dann Hilflosigkeit. Die Jahre danach waren von depressiven Episoden und Panikattacken geprägt. Der Psychotherapeut, den ich deshalb aufgesuchte habe, hat mir eine posttraumatische Belastungsstörung attestiert. Ich habe ihm die Dinge geschildert, die ich in der Schule über mich ergehen lassen musste. Es tat mir so gut, dass ein Aussenstehender meine Erlebnisse als traumatisierend anerkannte.
Wie hat das Internet Mobbing verändert?
Die Schwelle, jemanden herunterzumachen, ist online viel niedriger, als wenn man jemandem gegenübersteht. Ich muss mich nicht davor fürchten, dass die Person sich physisch wehrt, und sehe nicht, wie sie traurig wird, wenn ich etwas Gemeines sage. Die Empathie geht verloren.
Existiert die denn bei den Tätern?
Ich hoffe sehr, dass jede Schülerin und jeder Schüler irgendwie in der Lage ist, ein schlechtes Gewissen zu haben.
Warum mobben Kinder?
Ich glaube, dahinter steckt ein einfaches Muster: Wer andere klein macht, fühlt sich selbst grösser. Es ist eine Art, das eigene Selbstwertgefühl zu steigern. Erwachsene tun das auch – meist subtiler.
Sie raten Eltern, stets ein offenes Ohr zu haben. Ihr eigener Fall zeigt aber, wie schwierig es sein kann, dass Kinder sich öffnen.
Bei mir hatte das mit Scham zu tun. Bis zur vierten Klasse war ich zwar ein schüchterner Junge, doch ich hatte meine drei Freunde, mit denen ich immer etwas unternommen habe. Als ich ans Gymnasium wechselte, wollte ich nicht nach Hause kommen und erzählen, dass mich niemand mag und alle auf mir herumhacken. Irgendwann hatte ich das Gefühl, ich sei selbst schuld.
Wie kamen Sie darauf?
Wenn man immer wieder schlechtgemacht wird, glaubt man irgendwann, ein schlechter Mensch zu sein. Der Impuls, sich zu wehren, geht verloren. Man erträgt die Situation einfach.
Wie oft hat Sie ihre Mutter gefragt, ob etwas nicht stimmt?
Unzählige Male.
Warum brach es nie aus Ihnen heraus?
Vielleicht lag es neben der Scham daran, dass sich meine Eltern wegen des Alkoholproblems meines Vaters oft stritten. Ich habe meine Mutter so oft weinen sehen und wollte sie nicht noch zusätzlich mit meinen Problemen belasten.
Was können Eltern tun, um die Hürden zu senken?
Vielleicht könnten sie sagen: Auch wenn du meinst, ich sei gestresst und hätte viel um die Ohren – wenn dich etwas belastet, ist es immer wichtig, dass wir darüber sprechen.
Wenn ein Kind erzählt, dass es gemobbt wird – was sollen Eltern tun?
Mobbing entsteht fast immer in der Schule. Darum ist es sinnvoll, in Absprache mit dem Kind die Lehrperson einzubeziehen. Sie trägt die Verantwortung, dass sich alle in der Klasse wohlfühlen. Hört das Mobbing in der Schule auf, endet es meist auch im Netz.
Wie kann man der Plagerei ein Ende setzen?
Indem man den Tätern klar macht, dass ihr Verhalten nicht geduldet wird und Folgen in Form von Sanktionen hat. Die Klasse lässt sich sensibilisieren, indem die Lehrperson deutlich macht, woran man Mobbing erkennt: wenn sich mehrere gegen eine Person stellen. Betroffene können sich an Beratungsstellen wenden, die auf psychische und physische Gewalt spezialisiert sind.
Kann das Fördern von Sozialkompetenz Mobbing in einer Klasse eindämmen?
Ich habe Mühe damit, wenn man den Schülern einfach sagt: Ihr müsst lernen, besser miteinander umzugehen. Das nimmt die Täter aus der Verantwortung. Mobbing ist kein Streit oder Konflikt zwischen Kindern. Es entsteht aus einem Machtgefälle heraus. Am wichtigsten ist es, die Opfer zu schützen.