Darum gehts
Immer mehr Menschen praktizieren harten Sex – oder werden von Sexualpartnern hart angegangen. In einer amerikanischen Studie aus dem Jahr 2023 gab mehr als ein Viertel der befragten Frauen an, beim letzten sexuellen Kontakt gewürgt worden zu sein. Eine aktuelle deutsche Studie ergab, dass fast 30 Prozent der Befragten in ihrem Leben bereits Erfahrung mit harten Praktiken haben – der Grossteil der Studienteilnehmenden war unter vierzig Jahre alt.
Doch worum geht es konkret bei «Rough Sex» – wie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Spielart nennen – und was passiert, wenn entsprechende Praktiken zur Normalität werden? Ärztin und Psychotherapeutin Melanie Büttner (52) ist Teil eines Forschungsnetzwerks, das sich mit diesen Fragen beschäftigt. Viele seien sich der Gefahren nicht bewusst, sagt sie im Interview mit Blick.
Warum braucht es ein Forschungsnetzwerk, das sich mit dem Thema «Rough Sex» befasst?
Weil sich die Art, wie Sexualität ausgelebt wird, stark verändert hat.
Inwiefern?
Schon Junge kommen auf kostenlosen Onlineplattformen mit harten pornografischen Inhalten in Kontakt. Wir beobachten, dass Personen, die mit dem Internet aufgewachsen sind, immer häufiger Praktiken wie Atemkontrollspiele ausüben. Viele nehmen diese Praktiken als «normalen Sex» wahr, obwohl sie nur eine von vielen Spielarten sind.
Was gehört denn alles zu «Rough Sex»?
Es bezeichnet eine aggressive Form von Sexualität, die innerhalb eines spielerischen Rahmens stattfindet. In Abgrenzung zu sexueller Gewalt definiert sich «Rough Sex» als auf gegenseitigem Einverständnis beruhend. Aber Sie wollen wahrscheinlich wissen, was konkret dazugehört.
Genau.
Typische Praktiken sind – neben dem Griff an den Hals – Aufs-Bett-Drücken, An-den-Haaren-Ziehen, hartes Penetrieren, Schlagen oder Anspucken. Beim sogenannten Gagging werden Körperteile oder Gegenstände so tief in den Rachen eingeführt, dass es zu Würgereiz kommt.
Was wird an Würgespielen als lustvoll empfunden?
Durch die Einschränkung von Sauerstoff oder des Blutflusses ins Gehirn kann es zu einem Zustand kommen, der als rauschähnlich oder besonders intensiv erlebt wird. Wird die Durchblutung dann wieder freigegeben, kann auch das eine Welle starker Empfindungen auslösen. Manchmal geht es aber auch mehr um die Geste.
Um die Geste?
Der Griff an den Hals kann auch als Geste von Dominanz oder als Vertrauensbeweis verstanden werden. Er kommt oft in Verbindung mit Anweisungen wie «Ich sage dir, wo es langgeht» vor, dem Fordern von Gehorsam, mit Erniedrigungen oder Beleidigungen.
Wenn alle Beteiligten das wollen – was ist daran problematisch?
Neben körperlichen Risiken wie Hirnschäden durch Atemkontrolle besteht auch eine erhebliche Gefahr psychischer Verletzungen. Es geht nicht darum, etwas zu verteufeln. Unser Ziel ist es, Personen in den Bereichen Therapie, Beratung und Pädagogik für das Thema «Rough Sex» zu sensibilisieren und die Öffentlichkeit über die damit verbundenen Gefahren aufzuklären. Genauso wie das mit dem Rauchen auch gemacht wird.
Inwiefern ist «Rough Sex» gefährlich für die Psyche?
Er kann sich für die Involvierten wie eine Vergewaltigung anfühlen. Viele machen mit, weil sie glauben, mithalten zu müssen oder weil sie fürchten, jemanden zu verlieren. Solchen Personen würde es helfen, zu erkennen, dass «Rough Sex» nicht «normaler» Sex ist und sie ihre Sexualität anders gestalten können.
Sprechen Sie jetzt vor allem von Frauen?
Frauen sind beim Sex im heterosexuellen Bereich häufiger in der passiveren Rolle als Männer. Aber auch für Männer in der aktiven Rolle kann das, was sie beim «Rough Sex» erleben, traumatisierend wirken. Wenn sie zum Beispiel merken, dass sie zu weit gegangen sind.
Wie lässt sich Einvernehmlichkeit sicherstellen?
Indem man Wünsche und Grenzen im Vorfeld klärt und festlegt. Konsens ist ein fortlaufender Prozess – es geht darum, regelmässig zu prüfen: Fühlt sich das noch richtig an? Will ich das weiterhin, oder wird es mir zu intensiv? Wichtig ist, vorher Zeichen zu vereinbaren, um jederzeit die eigenen Bedürfnisse klar zu kommunizieren.
Melanie Büttner (52) ist Sexual- und Psychotherapeutin sowie Fachärztin für psychosomatische Medizin. Sie studierte in München Medizin und arbeitet lange Zeit als Ärztin und Wissenschaftlerin an einer Klinik. Heute führt sie eine eigene Praxis für Sexual-, Trauma- und Psychotherapie und ist als Dozentin tätig. Seit 2017 co-moderiert Büttner den Podcast «Ist das normal?» der «Zeit». Büttner hat mehrere Fachbücher veröffentlicht, darunter «Sexualität und Trauma» und das «Handbuch Häusliche Gewalt».
Melanie Büttner (52) ist Sexual- und Psychotherapeutin sowie Fachärztin für psychosomatische Medizin. Sie studierte in München Medizin und arbeitet lange Zeit als Ärztin und Wissenschaftlerin an einer Klinik. Heute führt sie eine eigene Praxis für Sexual-, Trauma- und Psychotherapie und ist als Dozentin tätig. Seit 2017 co-moderiert Büttner den Podcast «Ist das normal?» der «Zeit». Büttner hat mehrere Fachbücher veröffentlicht, darunter «Sexualität und Trauma» und das «Handbuch Häusliche Gewalt».
Viele Menschen stellen es sich abturnend vor, Sex vorzubesprechen.
Definitiv abturnend ist es, wenn der Sex nicht gut ist, weil das Gegenüber Dinge tut, die einem nicht gefallen. Es kommt aber stark darauf an, wie man Sex vorbespricht. Wenn man es spielerisch angeht und erklärt, was einen anturnt, kann das die Erwartungsspannung verstärken, anstatt sie zu dämpfen. Aber man muss sich auch bewusst sein: Es gibt keinen völlig sicheren Sex.
Wie meinen Sie das?
Missverständnisse können immer vorkommen. Bei «Rough Sex» sind die Folgen oft schwerwiegender als bei sanfterem Sex. Es geht generell nicht darum, sich aus Übervorsicht zurückzuhalten, sondern darum, sich bewusst zu machen, dass Sex – neben dem Risiko von Geschlechtskrankheiten – auch für die Psyche nie ohne Risiko ist. Irrtümer können verzeihbar sein, solange sie nicht in klare Übergriffe münden. Entscheidend ist, dass man sich danach damit auseinandersetzt.