Darum gehts
- Michel von Känel: Dragqueen in Zürcher Theaterstück
- Verwandlung der Meerjungfrau-Barbie inspirierte ihn
- Drei Stunden Schminken, Mutter gab Hochzeitskleid
Seine erste Barbie war eine Meerjungfrau: Jetzt steht Michel von Känel (28) im Schauspielhaus Zürich als solche auf der Bühne. Der Oberstufen-Lehrer aus dem Aargau führt ein offenes Doppelleben: Tagsüber unterrichtet er, abends wird er zur Dragqueen Paprika – glitzernd, laut und stolz. Im ausverkauften Stück «Die kleine Meerjungfrau» erzählt er seine eigene Coming-out-Geschichte.
«Gerade jetzt ist das wichtig», sagt von Känel. «Wo queerpolitische Debatten wieder lauter werden – und infrage gestellt wird, ob queere Lehrpersonen überhaupt noch über Diversität sprechen dürfen.»
Er erinnert sich an jenen Tag im Spielzeugladen als Bub: «Ich wollte die Meerjungfrau-Barbie und habe sie bekommen. Aber ich habe auch sofort gespürt: Das ist nicht die Norm. Man geht noch immer davon aus, dass nur Mädchen mit Barbies spielen.» Fasziniert hat ihn die abnehmbare Flosse: «Sie konnte sich verwandeln – von einem Wesen ins andere. Das hat mich berührt.» Schon im Kindergarten begann er, Kostüme zu schneidern – für die Puppen, später für sich selbst.
Im Brautkleid der Mutter
Dann kam die Pubertät – und mit ihr der Wunsch, dazuzugehören. «Ich habe vieles von mir versteckt», erinnert sich von Känel. «Ich wollte dazugehören, gleichzeitig aber auch einzigartig sein, wie die meisten Jugendlichen in dem Alter.» Ein Spagat, der ihn prägte: «Ich wusste damals noch nicht, wer ich wirklich bin.» Mit 20 sah er zum ersten Mal eine Dragqueen in einem Club – und wusste: «Das könnte auch zu mir passen.»
Heimlich begann er, sich zu schminken, nähte Outfits – Paprika war geboren. Die Eltern merkten lange nichts – bis sie überraschend früher aus den Ferien zurückkehrten. «Ich war voll geschminkt im Badezimmer und hatte abgeschlossen», erzählt er. «Meine Mutter ist sehr erschrocken, als sie mich so gesehen hat.» Anfangs konnte sie sich nur schwer damit anfreunden, dass ihr Sohn Drag für sich entdeckt hat.
Dabei war es ausgerechnet seine Mutter, die ihn bis heute inspiriert. «Das ist mir erst beim Entwickeln des Theaterstücks so richtig klar geworden, als wir tiefer in unsere Biografien eingetaucht sind», so von Känel. «Mit ihren rot geschminkten Lippen, den blondierten, toupierten Haaren ähnelte sie sogar einer Dragqueen – so im Stil von Dolly Parton.» Inzwischen freut sich die Mutter über den glamourösen Look ihres Kindes – und hat sich versöhnt: «Sie gab mir sogar Schminktipps.» Und sie hat Paprika ein ganz besonderes Kleid vermacht – ihr Hochzeitskleid. «Sie hat es damals rot gefärbt, um es wieder tragen zu können. Jetzt trage ich es.»
Das Make-up dauert drei Stunden
Schminktipps braucht Paprika heute keine mehr. Drei Stunden dauert das Make-up normalerweise – für die Show im Schauspielhaus muss es schneller gehen. Neben von Känel treten weitere Dragqueens auf: Anis Meschichi alias Klamydia von Karma forscht zu Zellbiologie an der ETH sowie Performancekünstlerin und Aktivistin Ivy Monteiro. Vor den Augen des Publikums verwandeln sie sich gemeinsam mit den anderen Darstellenden in Meerjungfrauen, Prinzen, Könige – und die Meerhexe.
Andersens Märchen ist eine Geschichte über Sehnsucht und unerfüllte Liebe. In Bastian Krafts Inszenierung wird daraus eine schillernde Revue – verwebt mit den echten Lebensgeschichten der Darstellenden. Darin thematisiert Michel von Känel auch das Spannungsfeld zwischen seinem glamourösen Spiel mit der Weiblichkeit und seinem Beruf als Lehrperson: «Manche Eltern haben Angst, ihre Kinder könnten bei mir queer oder schwul werden, dabei schaffe ich es nicht mal, dass alle Kinder ihre Hausaufgaben erledigen.»
«Die kleine Meerjungfrau», im Schauspielhaus Zürich Pfauen, empfohlen ab 14 Jahren.