Selenski in Berlin, Merz bleibt bei Taurus vage
Merz, der Kanzler der grossen Worte – aber folgen Taten?

Herzliche Worte, offene Arme – und ein grosses Fragezeichen hinter den deutschen Waffenlieferungen: Beim Besuch von Wolodimir Selenski bleibt Kanzler Merz in der entscheidenden Frage vage. Statt Taurus gibt es vage Versprechen und einen riskanten Plan B.
Publiziert: 28.05.2025 um 18:49 Uhr
|
Aktualisiert: 28.05.2025 um 19:42 Uhr
Teilen
Schenken
Kommentieren
Zwei Männer, ein schwieriges Thema: Freundschaft allein reicht im Krieg nicht aus.
Foto: Anadolu via Getty Images

Darum gehts

Die Zusammenfassung von Blick+-Artikeln ist unseren Nutzern mit Abo vorbehalten. Melde dich bitte an, falls du ein Abo hast.
BlickMitarbeiter06.JPG
Chiara SchlenzAusland-Redaktorin

Wolodimir Selenski (47) kam mit grossen Hoffnungen nach Berlin. Taurus – das war das Zauberwort. Der ukrainische Präsident braucht dringend weitreichende Marschflugkörper, um russische Nachschublinien tief im Feindesland zu treffen. Doch was er am Ende bekam, waren: warme Worte, feste Umarmungen – und viel diplomatischer Nebel statt klare Fakten. War das Treffen mit dem neuen Kanzler Merz aus Sicht von Selenski für die Katz?

Merz zeigt Nähe – aber bleibt vage

Bundeskanzler Friedrich Merz (69), seit wenigen Wochen im Amt, gab sich sichtbar pro-ukrainisch: Er nannte Selenski beim Vornamen, sprach von «enger Freundschaft» und schloss mit «Slava Ukraini». Auch rhetorisch stand der CDU-Mann klar an Kiews Seite. Er bemühte sich, das Bild eines Kanzlers zu zeichnen, der Kante zeigt – auch gegenüber Russland. Doch sobald es konkret wurde, wurde es auch kompliziert. Keine klare Zusage zu Taurus, keine neuen Namen auf der Waffenliste – stattdessen die altbekannte Formel: «Wir wollen reichweitenstarke Waffen ermöglichen, aber nicht über Details sprechen.»

Klar ist: Das wirkt aus ukrainischer Sicht enttäuschend. Zumal Merz in seiner Zeit als Oppositionsführer selbst noch lautstark Taurus gefordert hatte – und nun, da er selbst am Drücker ist, die Sache lieber im Ungefähren lässt. Dass sich politische Verantwortung in Regierungspraxis oft anders anfühlt als in der Oppositionsrolle – geschenkt. Doch gerade jetzt, wo jede Waffenentscheidung über militärische Dynamik mitentscheiden kann, wiegt Zurückhaltung schwer.

1/7
Grosse Gesten in Berlin: Kanzler Merz empfängt Selenski im Kanzleramt – und verspricht Solidarität.
Foto: IMAGO/dts Nachrichtenagentur

Abschreckung statt Ansage

Doch ganz fair wäre es nicht, das nur als Feigheit zu werten. Hinter dem Ausweichen steckt womöglich auch Kalkül – und das nicht zu Unrecht. Denn tatsächlich ist es ein sicherheitspolitisches Risiko, wenn Kremlchef Wladimir Putin (72) im Detail weiss, was die Ukraine aus Deutschland bekommt. Je mehr Unklarheit über das Arsenal herrscht, desto schwieriger wird es für Moskau, militärisch zu reagieren. Insofern: Merz spielt auf Zeit – und mit Abschreckung. Ein stiller Bluff, der funktionieren kann – aber ebenso leicht nach hinten losgehen könnte, wenn die Ukraine dabei ins Hintertreffen gerät.

Dennoch bleibt das Dilemma: Die Ukraine braucht nicht nur wohlmeinende Andeutungen, sondern belastbare Zusagen. Und zwar schnell. Mars-2-Raketensysteme? Iris-T-Flugabwehr? Auch das stand im Raum – nur: Gesagt hats keiner.

Eigenbau auf Zeitbombe gebaut

Statt Taurus nun also Plan B: Deutschland will ukrainischen Firmen mit Millionenbeträgen unter die Arme greifen, damit sie selbst Marschflugkörper entwickeln. Ein Ansatz, der militärisch klug klingt – aber in der Realität gewaltige Hürden hat. Denn solche Waffensysteme zu bauen, dauert Monate, wenn nicht Jahre. Zeit, die die Ukraine schlicht nicht hat. Und es ist ein riskanter Plan: Die ukrainische Verteidigungsindustrie ist längst selbst Ziel russischer Angriffe. Jeder Produktionsort, jede Fabrik könnte zur nächsten Zielkoordinate für Putins Raketen werden.

Gerade jetzt berichten Militäranalysten von einer neuen russischen Offensive im Nordosten. Die Angriffe auf Charkiw und die umliegenden Gebiete haben sich zuletzt massiv intensiviert. Jede Verzögerung bei der Waffenhilfe könnte Leben kosten – und ganze Städte. In dieser Lage auf langfristige Eigenproduktion zu setzen, mag strategisch durchdacht sein. Es ist nur eben keine Antwort auf die akute Not. Die Frage bleibt also: Lässt Merz seinen grossen Worten auch Taten folgen?

Teilen
Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?
Liebe Leserin, Lieber Leser
Der Kommentarbereich von Blick+-Artikeln ist unseren Nutzern mit Abo vorbehalten. Melde dich bitte an, falls du ein Abo hast. Noch kein Blick+-Abo? Finde unsere Angebote hier:
Hast du bereits ein Abo?