Darum gehts
- Triebwerke möglicherweise vorsätzlich abgeschaltet bei Air-India-Absturz im indischen Ahmedabad
- Flugdatenschreiber zeigt, Schalter für Treibstoffzufuhr wurde auf «Abgeschaltet» gestellt
- 260 Menschen kamen ums Leben, darunter 242 Passagiere und 19 am Boden
Der tragische Absturz einer Boeing 787 von Air India am 12. Juni in Ahmedabad ist möglicherweise auf eine fehlende Treibstoffzufuhr zurückzuführen. Die Analyse des Flugdatenschreibers und des Cockpit Voice Recorders deute auf eine Abschaltung der Triebwerke hin, hiess es in einem vorläufigen Bericht der indischen Behörde für Flugunfall-Untersuchung.
Die Schalter für die Treibstoffzufuhr zu den Triebwerken wurden demnach von «Betrieb» auf «Abgeschaltet» gestellt. Diese Schalter sind normalerweise gegen unbeabsichtigtes Betätigen gesichert und werden nur in Notfällen wie einem Brand oder Triebwerksausfall verwendet. Die Blackbox habe keine Anomalien an den Triebwerken aufgezeichnet, die eine solche Handlung gerechtfertigt hätten, heisst es im Bericht.
Experten gehen von Vorsatz aus
Die Treibstoffschalter im Cockpit sind durch Metallbügel und Verriegelungen gesichert, um ein versehentliches Umlegen praktisch auszuschliessen. «Über die Jahre wurden diese Schalter so konstruiert, dass sie nicht zufällig bewegt werden können», zitiert die BBC einen Aviatik-Experten. Ein unbeabsichtigtes gleichzeitiges Abschalten beider Schalter gilt demnach als extrem unwahrscheinlich.
Da die Schalter für die Triebwerke umgestellt wurden, eine Handlung, die sonst erst nach der Landung erfolgt, geht der Experte davon aus, dass die Schalter gezielt betätigt wurden. Unklar ist aber, warum und von wem. Einen technischen Defekt oder gar ein Versehen könne man ausschliessen, sind sich mehrere Fachleute einig. «Man kann die Schalter nicht einfach anstossen, damit sie sich bewegen», so ein US-Luftfahrtexperte.
Der deutsche Luftfahrtexperte Heinrich Grossbongardt äusserte sich im «Spiegel» mit Blick auf den vorläufigen Bericht überzeugt, dass einer der beiden Piloten die Treibstoffzufuhr absichtlich unterbrochen habe. «Alles deutet darauf hin, dass es ein Suizid war. Dass einer der beiden Piloten dieser Maschine bewusst die Treibstoffzufuhr unterbrochen hat – und das genau in dem Moment, in dem das Flugzeug am verwundbarsten war, unmittelbar nach dem Abheben.»
Die beiden Treibstoffregler für die Triebwerke seien laut dem Bericht wenige Sekunden nach dem Abheben von «Run» auf «Cutoff» umgelegt worden – und zwar nacheinander, im Abstand von einer Sekunde zwischen Schalter 1 und Schalter 2. «Das kann nach menschlichem Ermessen nur einer der beiden Männer im Cockpit getan haben», so Grossbongardt. «Versehentlich kann man diese Regler nicht bewegen.»
Die Wiederherstellung der Treibstoffversorgung sei zwar wenige Sekunden später erfolgt, so der Experte – jedoch sei das bereits zu spät gewesen. «Jeder von beiden könnte sie betätigt haben. Es ist noch nicht einmal ausgeschlossen, dass derjenige, der sie abschaltete, gleich danach den anderen gefragt hat, warum er die Treibstoffzufuhr abgeschaltet habe: Im Versuch, seine Spur zu verwischen», so der Luftfahrtexperte. Es werde umfassende Untersuchungen geben – und wohl viele Spekulationen darüber, wer von beiden es war.
Offene Fragen
Die Ermittler können anhand der bisherigen Cockpit-Aufzeichnungen noch nicht eindeutig zuordnen, welcher Pilot die Schalter umgelegt hat. Auch die Möglichkeit, dass eine dritte Person im Cockpit war, wird geprüft. Ob die Handlung absichtlich mit suizidaler oder anderer Motivation erfolgte, ist noch Gegenstand der laufenden Ermittlungen.
Verwirrung im Cockpit
Die Flugparameter zeigen, dass jemand im Cockpit kurz vor dem Absturz noch versuchte, die Triebwerke neu zu starten. Auf dem geborgenen Stimmenrekorder des Flugzeugs sei im Cockpit zu hören gewesen, wie einer der Piloten den anderen gefragt habe, warum er den Kraftstoffschalter umgelegt habe, heisst es in dem Bericht. «Der andere Pilot antwortete, er habe das nicht getan.» Die Experten sind sich jedoch einig, dass der Ablauf auf eine bewusste und gezielte Handlung hindeutet.
Ob die Antwort vom Flugkapitän oder vom Ersten Offizier kam, blieb unklar. Kurz darauf rief einer der Piloten das Notrufsignal «Mayday Mayday Mayday». Auf die Rückfrage aus dem Kontrollturm gab es keine Antwort mehr. Der Flug AI171 stürzte in ein Wohngebiet, wobei 260 Menschen ums Leben kamen, darunter 19 am Boden. Von den 242 Passagieren an Bord überlebte nur einer. Die Opfer stammten aus Indien, Grossbritannien, Portugal und Kanada.