Massaker an Polizisten in Dallas
Der amerikanische Albtraum

Bereits 135 Schwarze wurden dieses Jahr von Polizeibeamten in der USA getötet. Sind die Schüsse auf zwölf Polizisten und drei Demonstranten in Dallas nun die blutige Rache dafür?
Publiziert: 09.07.2016 um 18:42 Uhr
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Aktualisiert: 28.09.2018 um 18:36 Uhr
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Ein Polizist und eine Passantin trauern um die Opfer von Dallas. Sie waren Zeugen der Attacke auf einen Demonstrationszug in der texanischen Millionenstadt.
Foto: Ting Shen
Peter Hossli

Rund 800 Menschen marschierten gestern Nacht durch Dallas im US-Bundesstaat Texas. Sie skandieren Slogans gegen Polizeigewalt in Amerika. Prangern Polizisten an, die Schwarze erschossen haben. Wie letzte Woche in Loui­siana und Minnesota – vor laufenden Handykameras.

Plötzlich fallen Schüsse. Ein Heckenschütze feuert von oben. Am Ende sind zwölf Polizisten getroffen, fünf sterben, sieben werden zum Teil lebensgefährlich verletzt. Auch drei Demonst­ranten sind getroffen. Im Laufe der Nacht werden drei Verdächtige verhaftet, darunter eine Frau. Ein Sprengroboter der Polizei tötet einen vierten Verdächtigen: Micah X. Johnson (†25). Er soll der Heckenschütze gewesen sein.

«Auge um Auge, Zahn um Zahn»?

Der mutmassliche Täter ist ein Armee­veteran – und schwarz. Ist dies das alttestamentarische «Auge um Auge, Zahn um Zahn»? Nehmen in Dallas Schwarze Rache für ihre 135 «Brüder», die Polizisten laut Statistik der britischen Zeitung «Guardian» allein dieses Jahr schon getötet haben? Gemäss der Polizei von Dallas habe Johnson gesagt, er wolle «Weisse töten, vor allem weisse Cops».

Das Verhältnis zwischen Weiss und Schwarz in Amerika ist vergiftet – nicht zum ersten Mal seit 1619, als erste afrikanische Sklaven in Amerika eintrafen.

Tragödie für Barack Obama

Eine Tragödie ist dies auch für Barack Obama (54). Vor acht Jahren schrieb er Geschichte, als ihn die Amerikaner als ersten schwarzen Präsidenten wählten. Zum Regierungschef eines Volkes, dem Freiheit über alles geht – dessen Reichtum aber lange auf der Unfreiheit und der Arbeit von Sklaven beruhte.

246 Jahre dauerte es, bis die Sklaverei verboten wurde. Nie hat sich ein US-Präsident dafür entschuldigt, nie erhielten die Nachfahren von Sklaven Geld für die damals geleistete Arbeit. Seit 1989 blockiert der Kongress eine Studie zur wirtschaftlichen Bedeutung der Sklaverei.

Mit einem Schwarzen im Weissen Haus, so die Hoffnung, würden sich die USA endlich ihrer Ursünde stellen. Eine Hoffnung, die sich zerschlagen hat. Obama selbst sprach viel zu selten über das Verhältnis der Rassen. Weisse Rassisten fühlten sich von ihm dennoch bedroht.

Gestern verurteilte Obama die Attacke in Warschau als «bösartig, gezielt und niederträchtig».

Grosse amerikanische Wunde

Er wirkte verzweifelt. Sechs Monate ist er noch im Amt – es bleibt ihm zu wenig Zeit, um die grosse amerikanische Wunde zu heilen. Die Nation, die Obama vereinen wollte, ist tiefer gespalten als vor seinem Amtsantritt.

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