Darum gehts
- Israel hat den Iran attackiert, der Iran schlägt mit Raketen zurück
- Ex-Botschafter Tim Guldimann spricht von einem Krieg
- Der Diplomat hält eine Ausweitung aber für unwahrscheinlich
- Iran kann Tel Aviv mit Raketen attackieren, aber Israel nicht ernsthaft gefährden
- Guldimann kritisiert, der Westen verliere durch den israelischen Angriff an Glaubwürdigkeit
Herr Guldimann, Israel bombardiert iranische Nuklearanlagen, tötet hochrangige Militärs. Der Iran schiesst Dutzende Raketen auf Tel Aviv – und die Angriffe beider Seiten gehen weiter. Erleben wir gerade den Beginn eines neuen Nahostkriegs?
Tim Guldimann: Ja, das ist ein Krieg. Die Frage ist, ob er eskaliert und sich in der Region ausweitet. Diese Gefahr halte ich für sehr beschränkt.
Der Iran könnte seine Milizen aktivieren, die «Achse des Widerstands».
All diese Milizen – die Hisbollah, Hamas, Huthis und weitere – sind militärisch stark geschwächt. Und ich sehe keine weiteren Akteure auf der Seite Irans, die in den Krieg hineingezogen werden könnten.
Das heisst, die Mullahs sind Israel ausgeliefert?
Nicht ausgeliefert, Iran kann Tel Aviv weiter mit Raketen attackieren. Aber sie können keinen massiven Gegenschlag auslösen, der Israel ernsthaft gefährdet.
Tim Guldimann (74) ist ein Schweizer Diplomat, Politikwissenschaftler und Politiker. Von 1999 bis 2004 diente er als Botschafter im Iran und vermittelte zwischen den USA und den Mullahs. Später wechselte er als Botschafter nach Berlin, nahm die deutsche Staatsbürgerschaft an und ist seither schweizerisch-deutscher Doppelbürger. Zeitweise sass er für die Zürcher SP im Nationalrat. Heute betreibt er den politischen Podcast «DEBATTE ZU DRITT». Er lebt mit seiner Frau in Berlin und ist Vater zweier Töchter.
Tim Guldimann (74) ist ein Schweizer Diplomat, Politikwissenschaftler und Politiker. Von 1999 bis 2004 diente er als Botschafter im Iran und vermittelte zwischen den USA und den Mullahs. Später wechselte er als Botschafter nach Berlin, nahm die deutsche Staatsbürgerschaft an und ist seither schweizerisch-deutscher Doppelbürger. Zeitweise sass er für die Zürcher SP im Nationalrat. Heute betreibt er den politischen Podcast «DEBATTE ZU DRITT». Er lebt mit seiner Frau in Berlin und ist Vater zweier Töchter.
Israel will das Mullah-Regime stürzen. Netanyahu sagte in einer Rede, gerichtet an das iranische Volk: «Wir ebnen euch den Weg zur Freiheit.» Bricht der iranische Gottesstaat nun auseinander?
Ich glaube nicht, dass das Regime als direkte Folge des Angriffs zusammenbricht. Zwar hat es in den vergangenen Jahren seine Glaubwürdigkeit in der Bevölkerung verloren. Aber es gibt keine Hinweise, dass sich soziale Gruppen so wie 1979 gegen den Schah zusammenraufen, um das Regime zu stürzen. Der Machtübergang vom heute 86-jährigen religiösen Herrscher, Ayatollah Ali Chamenei, wird vielleicht problematisch.
Öffnen wir den Blick auf die ganze Region. Was bedeuten die aktuellen Entwicklungen für den Nahen Osten?
Zwei Dinge. Es ist eine weitere Bestätigung dafür, wie sehr Iran seine Machtstellung in der Region eingebüsst hat. Das ist das eine.
Und das andere?
Fatal finde ich, dass der Westen – nicht nur die USA, auch Europa – durch die Nähe zu Israel seine Glaubwürdigkeit in der Region und generell im globalen Süden verliert.
Das müssen Sie ausführen.
Israels Angriff, offensichtlich unterstützt von den USA und irgendwie von Europa geduldet, verletzt Völkerrecht. Dadurch entsteht der Eindruck, der Westen halte sich nicht an die Regeln, die er für andere propagiert. Russland und China können sich freuen.
Israel spricht aber vom Krieg, der alle Kriege beenden soll.
Das wird sicher nicht passieren. Die Region wird nur noch instabiler und Irans nukleare Ambitionen werden nicht gestoppt, im Gegenteil.
Israel spricht von einem Präventivschlag, mit dem Ziel, eine existenzielle Bedrohung zu beseitigen. Der Iran stehe kurz davor, über eine Atombombe zu verfügen.
Für einen völkerrechtlich legitimierten Präventivschlag müsste eine unmittelbare Bedrohung vorliegen. Hier liegt die zentrale Frage: Baut der Iran eine Atombombe? Oder möchte er nur die Fähigkeit entwickeln, in immer kürzerer Zeit eine Atombombe bauen zu können? Ich bin überzeugt, das Zweite trifft zu.
Es gibt viele Hinweise, dass der Iran diese Fähigkeit entwickeln möchte. Das Regime unternimmt Tätigkeiten, die für ein ziviles Nuklearprogramm keinen Sinn ergeben. Und der Iran legt diese Tätigkeiten nicht offen, was eine Völkerrechtsverletzung ist.
Ja, das stimmt. Iran ist vertraglich und damit völkerrechtlich verpflichtet, Informationen zu liefern, die es nicht mehr liefert. Aber das ist kein legitimer Grund für einen Präventivschlag, so wie die Israelis ihren Angriff rechtfertigen.
Wenn man Ihrer Argumentation folgt: Müsste dann die Schweiz den israelischen Angriff klar verurteilen?
Die Schweiz sollte klar Stellung beziehen. Wenn der Bundesrat zum Schluss kommt, dass der Angriff das Völkerrecht verletzt, dann muss er das auch sagen. Einfach zu erklären, man sei für eine friedliche Beilegung des Konflikts, das ist banal. Das haben wir immer gemacht. Das bringt nichts.
Eine klare Stellungnahme könnte die Vermittlerrolle gefährden. Die Schweizer Botschaft in Teheran vertritt US-Interessen gegenüber dem Iran und umgekehrt.
Unsere Guten Dienste sind oft das Feigenblatt, um nicht Stellung zu nehmen. Die Schweiz agiert als Briefträgerin zwischen Teheran und Washington, und das ist gut. Wenn ein Brief kommt, wird er übermittelt. Wenn keiner kommt, wird nichts übermittelt. Diese Guten Dienste sind nicht gefährdet. Was auf dem Spiel steht, ist das Völkerrecht und auch unsere Glaubwürdigkeit. Die Schweiz als mittelgrosser Staat ist am Weiterbestehen einer regelbasierten Ordnung interessiert und muss dafür einstehen. Deshalb braucht es eine klare Stellungnahme.