Darum gehts
Zwischen Europa und Russland tobt ein Kalter Krieg auf der Ostsee. Die Waffen: Verwirrung, Sabotage – und offene militärische Drohgebärden. Im Zentrum steht Putins «Schattenflotte». Eine Armada von heruntergekommenen Tankern und Frachtschiffen, die unter Flaggen von Drittstaaten wie Gabun, Liberia oder den Cookinseln fahren.
Mit den Schiffen exportiert Russland Rohöl und Erdgas, finanziert so den Krieg gegen die Ukraine. Moskau hat diese Flotte aufgebaut, um Sanktionen zu umgehen. Ein weiterer Verdacht steht im Raum: Von diesen Schiffen aus betreiben die Russen in westlichen Gewässern Spionage und Sabotage.
Die Schattenflotte umfasst in laufend wechselnder Zusammensetzung rund 500 Schiffe, die mehrheitlich alt, schlecht gewartet und nicht versichert sind. Das Risiko eines Unglücks und einer Umweltkatastrophe ist gross. Bisher hatte die EU rund 150 dieser Schiffe sanktioniert. Mit dem 17. Sanktionspaket kommen knapp 200 weitere dazu.
Weil Russlands Präsident Wladimir Putin (72) auf Verzögerungstaktik setzt und auf keinen Waffenstillstand einsteigt, nimmt Brüssel nun dessen Schattenflotte ins Visier. Den Schiffen wird neu verboten, EU-Häfen anzulaufen. Das könnte nun zu einer Eskalation auf See führen. Denn wie gefährliche Zwischenfälle zeigen, ist Moskau bereit, den Weg seiner Schiffe mit Kampfjets freizumachen.
Russen drohen mit Kampfjet
Mehrfach kam es bereits zu gefährlichen Begegnungen. Wie weit geht Putin also, um seine Flotte zu schützen? Und was bedeutet das für EU-Schiffe?
Russland exportiert sein Rohöl zu 70 bis 80 Prozent über die Ostsee. Und da ist es in den vergangenen Tagen zu brenzligen Situationen gekommen. Die estnische Marine versuchte am Dienstag vergangener Woche, mit einem Patrouillenboot den Tanker «Jaguar» zu stoppen, der zur Schattenflotte gehören soll.
Die Russen reagierten umgehend: Sie schickten einen Kampfjet des Typs SU-35 los, der den estnischen Luftraum verletzte und das Schiff in geringer Höhe beschützend überflog. Margarita Simonjan (45), Chefredaktorin des russischen Staatssenders RT, sagte auf X, dass der Jet verhindern sollte, dass die «Jaguar» beschädigt würde. Als Gegenreaktion stieg darauf in Estland ein portugiesischer F-16 auf.
Der Vorfall endete glimpflich: Die Jets drehten ab, die Esten gaben ihre Kontrolle auf, der Tanker fuhr weiter.
Wohl als Vergeltung haben die Russen am vergangenen Sonntag einen griechischen Öltanker während zwei Tagen festgesetzt. Die «Green Admire» wurde gestoppt, als sie den Hafen von Sillamäe im Osten Estlands mit einer Ladung Schieferöl Richtung Rotterdam verlassen hatte.
Deutscher Sicherheitsexperte warnt vor Eskalation
Diese Zwischenfälle zeigen: Russland will die Sanktionen gegen die Schattenflotte nicht akzeptieren, weil sie Moskau an einem heiklen Punkt treffen. Sebastian Bruns, leitender Forscher am Institut für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel, sagt über die Zwischenfälle gegenüber dem Norddeutschen Rundfunk (NDR): «Es ist eine Demonstration dafür, dass Russland auch militärisch bereit wäre, diese Schattenflotte zu schützen und sichtbar zu verteidigen.»
So hat Russlands Baltische Flotte im April Seemanöver durchgeführt, bei denen laut russischem Verteidigungsministerium der Schutz ziviler Schiffe trainiert wurde. Umgekehrt läuft bei der Nato die Operation Baltic Sentry, mit der die Ostsee und deren kritische Infrastruktur geschützt werden sollen.
Bruns rechnet mit weiteren Zwischenfällen. «Wir müssen davon ausgehen, dass unsere kritische Infrastruktur wie Häfen, Schleusen und Werften sabotiert werden.» Auch eine Eskalation der Lage schliesst er nicht aus. Zurzeit herrsche eine Konfliktsituation, in der beide Parteien eine Verhältnismässigkeit zu wahren versuchten. Bruns: «Es gibt zwar genügend Mechanismen, die dafür sorgen, dass der Konflikt nicht offen ausbricht. Aber sicher sein kann man natürlich nicht.»
Nebst Schattenflotte hat es eine Fake-Flotte
Offenbar setzt der Kreml-Machthaber auch auf Psycho-Spielchen im Finnischen Meerbusen. Ein Post auf X von «Geoinsinder» am Dienstag zeigt nämlich ein Radarbild mit dubioser Aktivität an der russisch-finnischen Seegrenze. Gemäss «Marine Traffic» sollen Öltanker, Frachtschiffe und Schlepper dort Kreise fahren. Die finnische Küstenwache sagt aber: alles fake. Dort würden sich gar keine echten Schiffe befinden. Neben der Schattenflotte gibts also auch die Fake-Flotte.