Darum gehts
Mit einem Taser gequält. Mit einer Pistole geschlagen. Mit einer Säge verletzt. Was sich in New York (USA) abgespielt haben soll, könnte aus dem Drehbuch eines Horrorfilms stammen. Auf einen Stuhl gefesselt, soll ein italienischer Krypto-Millionär aufs Brutalste gefoltert worden sein. Siebzehn Tage lang. Erst dann habe Michael Valentino Teofrasto Carturan (28) fliehen können – so berichten es US-Medien, gestützt auf Polizeirapporte.
Zwei Männer stehen unter Verdacht, an Carturans Gefangennahme und Folterung beteiligt gewesen zu sein. Einer davon ist William Duplessie (33), selbst Krypto-Investor und mit engen Verbindungen in die Schweiz. Die New Yorker Staatsanwaltschaft wirft ihm Entführung, Freiheitsberaubung, Körperverletzung und illegalen Waffenbesitz vor. Im Fall einer Verurteilung drohen ihm Jahrzehnte hinter Gittern.
Blick hat die Spuren von Duplessie in die Schweiz verfolgt, öffentlich zugängliche Quellen ausgewertet und mit einigen seiner Weggefährten gesprochen. Wer ist dieser Mann? Und was wollte er hier? Um diese Fragen zu beantworten, braucht es einen Blick zurück – zu jenem Tag, an dem alles publik wurde.
Barfuss durch New York
Am 23. Mai, einem Freitag, entkommt Carturan der mutmasslichen Tortur. Eine Überwachungskamera zeigt, wie er barfuss in New York durch die Strassen rennt und sich an einen Verkehrspolizisten wendet. Später berichtet er den Ermittlern, man habe ihn entführt und tagelang in einem luxuriösen 17-Zimmer-Haus in Manhattan festgehalten. Seine Peiniger hätten mit Gewalt versucht, das Passwort für eine 30 Millionen Dollar schwere Bitcoin-Wallet von ihm zu erpressen. William Duplessie, der Mann mit den Schweiz-Verbindungen, sei an der Folter beteiligt gewesen.
Unmittelbar nach Carturans Flucht nimmt die New Yorker Polizei den ersten der mutmasslichen Folterer fest. Vier Tage später, am 27. Mai, stellt sich Duplessie freiwillig der Justiz. Zuvor hatte er offenbar über die Bedingungen seiner Festnahme verhandelt. Noch ist unklar, was genau in dem New Yorker Luxusapartment geschehen ist. Unterdessen sind erste Zweifel an Carturans Foltergeschichte aufgekommen. Auslöser ist ein Video, aufgenommen fünf Tage nach der angeblichen Entführung. Es zeigt Carturan, wie er Crack zubereitet und mit Männern scherzt, die im Hintergrund zu hören sind. Für alle Beteiligten gilt die Unschuldsvermutung.
Kein Schweizer – aber ein Schweizer Kapitel
Verschiedenen Medien war zu entnehmen, William Duplessie besitze einen Schweizer Pass. Doch das stimmt nicht. Laut Recherchen von Blick ist er US-Bürger – so steht es auch im Tessiner Handelsregister. 2019 zog er mit Bruder und Vater nach Lugano TI in eine Wohnung an bester Lage und begann, Geschäfte zu machen.
Die drei lancierten den Pangea Blockchain Fund, mit dem sie sich an Start-ups aus der Blockchain-Branche beteiligen wollten. In einer ersten Finanzierungsrunde sammelten sie 22 Millionen Dollar, wie einer Medienmitteilung vom 1. März 2019 zu entnehmen ist. Verwaltet wurde der Fonds vom Finanzdienstleister Copernicus Asset Management in Lugano. Die Familie Duplessie wiederum beriet Copernicus über eine Zweitfirma namens Blockchain Investment Advisory.
Einer, der damals Kontakt zur Familie Duplessie pflegte, ist Giacomo Poretti (62), Dozent für Informationssysteme an der Tessiner Fachhochschule SUPSI. Er half, ein Büro im Innovationspark Fondazione Agire zu organisieren. Die Duplessies stellten Studierende der SUPSI als Programmierer ein. Poretti sagt über ihre Ambitionen: «Sie wollten Lugano zu einem Hotspot für Blockchain machen.»
Lugano, Luxus und grosse Pläne
Gemeinsam gründeten sie das Kompetenzzentrum Ticino Blockchain Technologies Association, deren Präsident Poretti bis heute ist. Um Lugano als Krypto-Standort zu fördern, planten sie, jährliche Krypto-Konferenzen abzuhalten. Am 29. Mai 2019 fand ein erster Kongress statt – direkt am Seeufer, im Luganeser Kulturzentrum LAC. William Duplessie trat neben dem damaligen Stadtpräsidenten Marco Borradori und dem Leiter des Tessiner Wirtschaftsamts, Stefano Rizzi, als Redner auf. Das Programm der Tagung ist noch heute auf der Karriereplattform Linkedin abrufbar.
Anfangs entwickelten sich diese Projekte vielversprechend. Doch dann kam die Corona-Pandemie. «Die Familie kehrte in die USA zurück», sagt Poretti. Stadt und Kanton hätten alles versucht, um die finanzstarken Investoren zu halten. «Vergeblich», so der Dozent. Eine andere Quelle spricht davon, die Duplessies seien noch bis 2022 gelegentlich in Lugano zu sehen gewesen.
Der Pangea Fund befindet sich mittlerweile in Liquidation. Es kam zum Rechtsstreit mit Copernicus. Da die Duplessies bei dem Finanzdienstleister als Berater tätig waren, verlangten sie vom Fondsverwalter rund 29,4 Millionen US-Dollar als Performance Fee, eine Gebühr für Fonds-Gewinne. Das fand Copernicus wiederum überrissen und kündigte den Vertrag im März 2022. Am Ende einigte man sich auf 4,2 Millionen. Die Liquidatorin notiert auf ihrer Webseite, es sei davon auszugehen, dass das «Liquidationsverfahren in Kürze beendet werde».
Offene Rechnung
Klar ist also: Duplessie verliess die Schweiz im Streit. Dafür spricht auch ein Betreibungsregisterauszug von 2023. Demnach wurde der junge Investor auf einen Gesamtbetrag von 10’172.05 Franken betrieben. Als Gläubiger nennt das Papier zwei Versicherungen, eine Immobiliengesellschaft und die Staatsanwaltschaft. Drei dieser Forderungen hat Duplessie bis April 2022 beglichen. Die von der Immobiliengesellschaft geforderten 6875 Franken sind inzwischen erloschen.
Offen bleibt, weshalb ein angeblich äusserst wohlhabender Krypto-Millionär überhaupt betrieben wurde. Sein Anwalt schreibt: «Kein Kommentar.» Auch zu den Vorwürfen der New Yorker Staatsanwaltschaft will er sich nicht äussern.
Die Duplessie-Brüder waren in Lugano häufig im Nachtleben anzutreffen: «Sie lebten ein gutes Leben», berichten Menschen, die William Duplessie kannten. Sie beschreiben ihn als exzentrisch, kreativ, impulsiv – einen Mann mit vielen Ideen, aber wenig Verständnis für Vorschriften. Und Dozent Poretti sagt: «Ich hätte niemals gedacht, dass er jemanden foltern könnte.»