Ausnahmsweise hat Mario Greco das Homeoffice verlassen. Dort sitzt der Zurich-Chef seit Anfang März, so wie die meisten der 55'000 Mitarbeiter des Versicherungskonzerns. Greco geht mit gutem Beispiel voran, denn die Gesundheit der Mitarbeiter sei ein hohes Gut, wie er mehrfach betont. Das Gespräch mit BLICK führt er am Telefon aus einem Konferenzraum im konzerneigenen Aus- und Weiterbildungszentrum am Zürichberg. Die Aussicht ist wolkenverhangen, aber trotzdem spektakulär.
BLICK: Herr Greco, wie halten Sie sich im Homeoffice fit?
Mario Greco: Ich bin Velofahrer. Da kann ich auf dem Hometrainer in Form bleiben. Manchmal fahre ich virtuell mit einigen Mitarbeitern gemeinsam. Normalerweise sitze ich am Morgen zwischen sechs und sieben eine Stunde auf dem Velo.
Wie hat sich das Coronavirus auf das Versicherungsgeschäft ausgewirkt?
Die Umstellung auf digitale Kommunikationskanäle war eine Herausforderung. Das Arbeiten von zu Hause aus funktioniert aber sehr gut.
Und schadensmässig?
Wir schätzen, dass sich die Schadenforderungen wegen der Corona-Krise bis Ende Jahr auf rund 750 Millionen Dollar summieren werden. Finanziell sind wir aber als Versicherung auf solche Katastrophen vorbereitet.
Das klingt nach nicht sehr viel. Die volkswirtschaftlichen Schäden gehen alleine in der Schweiz in die Milliarden.
Das zeigt vor allem, wie sorgfältig wir unsere Risiken managen. Wir würden beispielsweise Grossevents wie die Olympischen Spiele nie versichern, weil dies zu riskant wäre. Mal abgesehen davon: 750 Millionen Dollar sind ja auch nicht gerade wenig Geld!
Das heisst, die Zurich könnte viel schlechter dastehen?
Im Verwaltungsrat analysieren wir jährlich die grössten zu erwartenden Risiken. Eine Pandemie stand immer zuoberst auf der Liste. Wir haben sogar Pandemiepläne durchgespielt, die noch viel dramatischer waren als das, was jetzt gerade passiert. Deshalb waren wir bei Zurich gut vorbereitet. Und wir haben uns aufgrund der Analyse entschieden, einige der Risiken, die nun die grössten Schäden nach sich ziehen, gar nicht mehr zu versichern. Wir wussten: Die Folgen dieser Risiken können wir nicht bezahlen.
Was kommt die Zurich nun am teuersten zu stehen?
Die grössten Forderungen betreffen Betriebsunterbrechungen bei Firmen, da wir den Einnahmeausfall decken. Das kostet uns vor allem in Europa viel Geld.
Es gibt viele Unternehmen die gegen eine Epidemie, nicht aber gegen eine Pandemie versichert sind. Das ist doch spitzfindig!
Dieses Thema betrifft fast nur die Schweiz, weil überall sonst auf der Welt dies sowieso nicht Teil der Versicherungspolice ist. Insbesondere in den USA sind Risiken im Zusammenhang mit Viren nicht versichert. In der Schweiz erhalten über 90 Prozent der bei Zurich versicherten Gastrobetriebe mit einer Epidemie-Versicherung die volle Pandemie-Deckung. Die anderen Betriebe erhalten Kulanzzahlungen aus dem Zurich-Solidaritätsfonds.
Wie sieht es mit Kunden aus, denen im Moment das Geld fehlt, um die Prämien zu zahlen?
Falls nötig, geben wir unseren Kunden mehr Zeit. Es gibt Rabatte und andere Vergünstigungen. In der Schweiz gewähren wir meist einen Zahlungsaufschub, auch für Mieter von Immobilien, die der Zurich gehören. Zudem versenden wir keine Mahnungen und verzichten auf Betreibungen.
Die Corona-Krise kostet Sie viel Geld. Steigen nun die Prämien?
Das können wir noch nicht kalkulieren. In einigen Bereichen und Ländern könnten die Prämien sogar sinken. Zum Beispiel in der Autoversicherung. Die Menschen bleiben zu Hause, fahren weniger Auto. Es gibt also weniger Unfälle – und damit auch weniger Schäden.
Das wäre ein erfreulicher Nebenaspekt der Krise. Gibt es weitere?
Es gibt weniger Verkehrstote, aber auch weniger Alkohol- und Drogenexzesse. Gerade in den USA lässt sich da eine sehr erfreuliche Entwicklung beobachten. Auch das Klima profitiert davon, dass im Moment die Umweltverschmutzung zurückgeht. Es verkehren weniger Autos und weniger Flugzeuge, viele Fabriken sind geschlossen. Zudem leben die Leute in der Regel gesünder, was langfristig positive Folgen haben wird.
Noch aber überwiegen die negativen Folgen. Was ist von der Idee eines europäischen Notfallfonds der Versicherungsbranche zu halten, wie das der Allianz-Chef vorgeschlagen hat?
Das kann man diskutieren. In der Schweiz hat Zurich bereits einen Solidaritätsfonds für nicht versicherte Schäden eingerichtet.
Wieso schüttet Zurich dieses Jahr eine Dividende aus, anstatt das Geld in der Firma zu behalten?
Das Bezahlen der Aktionäre ist keine schlechte Sache. 55 Prozent unserer Aktionäre sind Schweizer Familien und Einzelpersonen. Die schätzen es gar nicht, wenn wir keine Dividende bezahlen, denn diese ist ein Teil ihres Einkommens. Es gibt keinen Grund, den Gewinn aus dem letzten Jahr nicht auszuschütten. Selbst 2017, als wir wegen Wirbelstürmen in den USA grosse Schäden zu bezahlen hatten, haben wir eine Dividende ausgezahlt. Unsere Kapitalbasis ist dafür stark genug.
Entstehen durch Corona neue Versicherungsbedürfnisse?
Durch die Krise haben sich Versicherungen und Kunden noch stärker digital vernetzt. Das wird bleiben. Die Risikowahrnehmung der Kunden wird sich verändern, der Schutz der eigenen Gesundheit wird einen noch höheren Stellenwert bekommen. Auch das Kostenbewusstsein dürfte wachsen. Wir sind aber noch inmitten der Krise, es ist noch zu früh, um endgültige Schlüsse zu ziehen. Sicher ist: Unser Leben wird anders aussehen als vor Corona. Wie genau, das werden wir sehen.
Was ist die wichtigste Erkenntnis, die Sie bis hierhin mitnehmen?
Dass es enorm viel Anstrengung braucht, in einer solchen Krise nicht in Panik zu verfallen! Die Unsicherheit war lange sehr gross. Viren sind unsere natürlichen Feinde. Und obwohl wir schon lange damit leben, geraten wir jedes Mal in Panik, wenn ein Virus ausbricht. Diese Angst zu unterdrücken, fällt vielen aber nicht leicht.
War es richtig, die Wirtschaft komplett herunterzufahren?
Die Regierungen weltweit standen vor schwierigen Entscheidungen. Ich bin beeindruckt, wie der Bundesrat in der Schweiz das gemanagt hat. Wir können uns glücklich schätzen, dass wir diese Krise in der Schweiz überstehen können. Es gab klare Anweisungen und keine Panik – ein grosses Kompliment an die Schweizer Bevölkerung. Wurden Fehler gemacht? Sicher, das ist in so einer Situation unvermeidbar. Erst mit der Zeit werden wir schlauer.
Wird uns das Virus noch lange begleiten?
Das Coronavirus wird nicht das letzte sein, das die Menschheit bedroht. Ich will mich zwar nicht an die Viren gewöhnen, aber ich will darauf vorbereitet sein. Denn glauben Sie mir, solche Pandemien werden wir noch häufiger sehen, deshalb müssen wir uns – wie bei anderen Risiken auch – dagegen wappnen.
Mario Greco (60) steht seit März 2016 an der Spitze der Zurich Insurance Group. Der gebürtige Neapolitaner kennt den grössten Schweizer Versicherer Zurich bestens – und liebt die Schweiz: Mit Unterbrüchen lebt Greco mit seiner Frau seit 2007 im Alpenland. Heute wohnt er in Küsnacht am Zürichsee. Bevor er zwischenzeitlich den italienischen Versicherer Generali leitete, hatte er schon verschiedene Spitzenpositionen bei dem Schweizer Versicherungskonzern inne. Als Ausgleich zum Job als Konzernchef fährt der Vater einer erwachsenen Tochter und eines erwachsenen Sohnes gerne Rennvelo. In Zeiten von Corona misst er sich mit Mitarbeitern virtuell auf dem Hometrainer.
Mario Greco (60) steht seit März 2016 an der Spitze der Zurich Insurance Group. Der gebürtige Neapolitaner kennt den grössten Schweizer Versicherer Zurich bestens – und liebt die Schweiz: Mit Unterbrüchen lebt Greco mit seiner Frau seit 2007 im Alpenland. Heute wohnt er in Küsnacht am Zürichsee. Bevor er zwischenzeitlich den italienischen Versicherer Generali leitete, hatte er schon verschiedene Spitzenpositionen bei dem Schweizer Versicherungskonzern inne. Als Ausgleich zum Job als Konzernchef fährt der Vater einer erwachsenen Tochter und eines erwachsenen Sohnes gerne Rennvelo. In Zeiten von Corona misst er sich mit Mitarbeitern virtuell auf dem Hometrainer.