Zukunft der Arbeitslosigkeit nach Corona
Wie schlimm wird es wirklich?

Mehr Temporär-Jobs, mehr Unterbeschäftigung – aber auch ein paar Lichtblicke: die Folgen der Corona-Krise.
Publiziert: 31.05.2020 um 12:30 Uhr
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Die Coronakrise hat vor allem die Tourismus- und Gastrobranche hart getroffen.
Foto: keystone-sda.ch
Camilla Alabor

Der Lockdown ist fast vorbei, doch die wirtschaftlichen Probleme beginnen jetzt erst richtig. Die flächendeckende Einführung von Kurzarbeit hat Massenentlassungen vorerst verhindert, die Arbeitslosigkeit nahm im April im Vergleich zum Vorjahresmonat trotzdem um 43 Prozent zu; 46'000 Menschen verloren ihre Stelle.

In die Höhe schnellte vor allem die Zahl junger Arbeitsloser. 15- bis 25-Jährige sind mit einem Plus von 63 Prozent erheblich stärker betroffen als der Durchschnitt. Bei den Älteren nahm diese Quote um «nur» 32 Prozent zu.

Glück im Unglück also? Zwar ­zeigen Studien, dass jüngere Bewerber schneller einen Job finden, sobald die Konjunktur wieder anzieht: Sie sind flexibler und beispielsweise eher bereit, für eine neue Stelle den Wohnort zu ­wechseln.

Auch Ältere verlieren ihren Job

Aber ganz so einfach ist es nicht.«Langfristig wird die Krise alle ­Altersstufen treffen», sagt Arbeitsmarktexperte Michael Siegenthaler von der Konjunkturforschungsstelle (KOF) der ETH Zürich.

Auch in der Industrie und gewissen Dienstleistungsbranchen werde es zu Betriebsschliessungen, Umstrukturierungen und Einstellungsstopps kommen. Aus diesem Grund könnte die Arbeitslosenquote bis Ende Jahr auf 4,7 Prozent steigen. Zum Vergleich: Im Februar waren es noch 2,5 Prozent.

Siegenthaler geht deshalb von ­einer Verdoppelung der Langzeitarbeitslosen im nächsten Jahr aus. Das sei problematisch, so der KOF-Ökonom: «Denn wer länger als ein Jahr ohne Stelle war, hat es schwerer, wieder einen Job zu finden.»

Es bestehe allerdings Hoffnung, dass Firmen die aktuellen, ausserordentlichen Umstände berücksichtigen.

Zu viele Arbeitslose, zu wenige Berater

Kompliziert werde die Situation auch für ältere Arbeitslose oder Stellensuchende mit schwierigem Lebenslauf, ergänzt Thomas Buchmann, Leiter des Amts für Wirtschaft und Arbeit des Kantons Aargau. «Zu normalen Zeiten konnte es mit entsprechendem Aufwand gelingen, solche Personen zu vermitteln», sagt er. «Angesichts der hohen Arbeitslosenquote ist das derzeit kaum realistisch, dafür fehlen uns schlicht die Ressourcen.»

Zwar stockt der Kanton Aargau die Teams in den RAV dieses Jahr von 300 auf 370 Mitarbeiter auf, wie Buchmann betont. «Aber selbst damit wird eine intensive Einzelfallbetreuung vorübergehend nicht möglich sein.»

In Folge der Krise werde auch die Unterbeschäftigung zunehmen, sieht Siegenthaler voraus. Er meint damit Personen, die Teilzeit arbeiten, aber eigentlich ein höheres Pensum möchten: die Migros-Kassiererin oder die Putzfrau, die nur am Morgen und Abend zum Einsatz kommt.

Bekannt ist: Das Phänomen der Unterbeschäftigung betrifft vor allem Frauen. «Sie sind oft in Branchen tätig, in denen Teilzeitarbeit üblich ist.» Statistisch lag die Unterbeschäftigungsquote bei Frauen im ersten Quartal 2020 bei fast 11 Prozent. Von den Männern dagegen konnten nur rund 4 Prozent ihr Pensum nicht aufstocken, obwohl sie dies wollten.

Unsichere Arbeitsverhältnisse

In Zukunft dürften auch Temporärjobs und damit prekäre Arbeitsverhältnisse zunehmen, während sich andere Erwerbstätige komplett aus dem Arbeitsmarkt zurückziehen, «weil sie in der aktuellen ­Situation die Hoffnung auf eine Stelle aufgegeben ­haben», merkt Siegenthaler an. Darauf deuteten erste Ergebnisse einer KOF-Studie hin.

Trotz dieser düsteren Aussichten machen die Experten auch Licht­blicke aus. «Wir stellen fest, dass der Arbeitsmarkt nicht völlig eingefroren ist», sagt Edgar Spieler, Leiter Arbeitsmarkt beim Zürcher Amt für Wirtschaft und Arbeit.

So hätten im Kanton Zürich im April im Vergleich zum Vorjahresmonat immerhin zwei Drittel der Stellensuchenden eine Arbeit gefunden. «Die Chancen, ­einen Job zu finden, bestehen also weiterhin – auch wenn sie unterschiedlich verteilt sind.»

In der Logistik und im Gesundheitswesen stellt man laut Spieler eine Zunahme der offenen Stellen fest; auch der kaufmännische ­Bereich laufe gut. «Und selbst in der Gastronomie werden weiterhin Köche gesucht.»

Babyboomer gehen in Rente

Auch Thomas Buchmann aus dem Kanton Aargau will nicht allzu sehr schwarzmalen. In den nächsten fünf bis zehn Jahren gehe eine Million Babyboomer in Pen­sion, für die im Inland lediglich 500'000 neue Erwerbstätige nachrückten.

«Natürlich ist die Rechnung etwas theoretisch: Die Unternehmen können nicht exakt jene 500'000 Stellen streichen, deren Mitarbeiter in Rente gehen, und alle anderen Stellen behalten», so Buchmann. Doch die Tatsache, dass weniger Junge auf den Arbeitsmarkt stossen, als Alte pensioniert werden, sei in der aktuellen Situation zumindest aus Sicht der Arbeitslosen positiv.

Weil sich durch die Pensionierungswelle zudem der Fachkräftemangel verschärfe, könnten die ­Angestellten an Arbeitsplatzsicherheit gewinnen, sagt Buchmann: «Trotz Krise wird sich ein Unternehmen zweimal überlegen, ob es eine Fachkraft wirklich entlassen will. Denn in Zukunft wird es schwieriger, Spezialisten zu finden.»

Trotz Krise: Etwas Hoffnung bleibt also.

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