SVP-Nationalrat Roland Borer, selbsternannter Gegner des Einkaufstourismus, tut es. Mehr als eine Million Schweizer Haushalte eifern ihm nach: Sie kaufen Lebensmittel, Kosmetika und Baustoffe im grenznahen Deutschland ein – und das nicht zu knapp. So viele Schweizer wie noch nie shoppten letztes Jahr im günstigeren Euroland! Das zeigen neue Zahlen deutscher Zollbehörden, die das Bundesministerium für Finanzen BLICK übermittelte.
Insgesamt stempelten deutsche Zöllner im letzten Jahr entlang der Schweizer Grenze 15,7 Millionen Ausfuhrscheine ab. Das sind fast 15 Prozent mehr als im bisherigen Rekordjahr 2013 (siehe Grafik). Im Jahr 2014 zählte das Hauptzollamt Singen 10,5 Millionen, jenes in Lörrach 5,2 Millionen Abstempelungen. Bei beiden stiegen die Abstempelungen im zweistelligen Prozentbereich. Diese zwei Zollämter sind für fast alle Übergänge von Deutschland in die Schweiz zuständig.
Mit den grünen Zetteln können Schweizer die deutsche Mehrwertsteuer von 19 Prozent zurückfordern (Esswaren 7 Prozent). Sie sind ein Gradmesser, um die stetige Zunahme des Einkaufstourismus zu ermitteln.
Mit dem Aus des 1.20-Franken-Mindestkurses für einen Euro von Mitte Januar hat sich das Euro-Shopping nun nochmals beschleunigt, klagen zahlreiche deutsche Zollämter. Profiteure auf Schweizer Seite gibt es ausser den Kunden kaum. Einer der wenigen ist Philippe Bartscherer mit seiner Firma Refund Suisse im Kanton Thurgau (siehe Box). Seit Januar lässt er im Wochentakt neue Mehrwertsteuer-Automaten aufstellen, die das Grenzshopping erleichtern sollen. Bartscherer: «Ich bin überrascht, wie gut es läuft.»
Wie der Unternehmer rechnet auch die Credit Suisse mit einer Zunahme des Einkaufstourismus im laufenden Jahr. Die Bankökonomen erwarten, dass Schweizer rund zehn Prozent mehr im Ausland ausgeben als 2014. Das wären gegen 5,5 Milliarden Franken für Einkäufe im Ausland. Insgesamt erwarten Marktforscher einen Kaufkraftabfluss von elf Milliarden Franken. Der Druck auf den Detailhandel vor allem in Grenznähe wird grösser. Reichen Preissenkungen der Händler für Importware aus, um die Einkaufstouristen zu bremsen?
Kenner des Schweizer Detailhandels wie Gotthard F. Wangler warnen Coop, Migros und Co., «sich auf einen ruinösen Preiskampf mit süddeutschen Einzelhändlern einzulassen». Während Coop weitere Preissenkungen ankündigt, hält Migros den Ball flach. «Wir haben uns vom Frankenschock erholt», sagte Chef Herbert Bolliger gestern im BLICK. Er sei überzeugt, dass sich der Einkaufstourismus einpendle. Aber da kannte Bolliger die neuen Zahlen der deutschen Zollämter noch nicht.