Bevor er die Botschaft verkündet, die die Finanzmärkte überrascht, nimmt Thomas Jordan (59) einen grossen Schluck aus dem Wasserglas, räuspert sich mehrmals und verkündet mit etwas heiserer Stimme das Ende der rekordtiefen Zinsen in der Schweiz. Zwar bleibt der Leitzins mit minus 0,25 Prozent immer noch negativ, doch mit diesen Mega-Zinsschritt um 0,5 Prozentpunkte ist die Zinswende in der Schweiz nun definitiv eingeleitet. Vor allem aus Europa gibt es viel Applaus, dass die Nationalbank nicht länger auf die zögerliche EZB wartet und eine eigenständige Geldpolitik betreibt.
Der Grund für die Erhöhung: In der Schweiz ist die Inflation auf beunruhigende 2,9 Prozent angestiegen. Da können die Währungshüter nicht länger zuschauen. Es sei weiter nicht auszuschliessen, dass in absehbarer Zukunft weitere Zinserhöhungen nötig werden.
Applaus gibt es auch aus dem Inland: Wirtschaftsminister Guy Parmelin (62) spricht von einem «starken Signal». Preisüberwacher Stefan Meierhans (53) sagt bei «Hier fragt der Chef» auf Blick TV zu Blick-Gruppe-Chefredaktor Christian Dorer (46): «Der Franken wird stärker, das hat natürlich Auswirkungen auf alles, was wir importieren.» Das genau will die Nationalbank erreichen. Dank des erstarkten Frankens verbilligen sich Rohstoffe und andere Importgüter. Die Teuerung könnte deshalb wieder sinken – oder zumindest nicht mehr ganz so stark ansteigen. Allerdings warnt Meierhans auch: «Es ist nicht ausgeschlossen, dass Wohnen teurer wird.» Denn langfristig schlagen die höheren Zinsen auf die Mieten durch.
Einzig die Börse mag nicht applaudieren: Der Schweizer Leitindex verliert fast drei Prozent. Im Aufwind ist mit dem Zinsentscheid hingegen der Schweizer Franken. Er legte gegenüber Euro und US-Doller kräftig zu.
Erstmals seit fünfzehn Jahren Zinsen angezogen
Damit hat die SNB erstmals seit fünfzehn Jahren die Zinsschraube wieder etwas angezogen. Im Januar 2015 hatte sie den Leitzins gleichzeitig mit der Aufgabe des Euro-Mindestkurses auf das rekordtiefe Niveau von -0,75 Prozent gesenkt.
Negativzinsen hatte die SNB am 18. Dezember 2014 eingeführt, indem sie Guthaben auf ihren Girokonten, die einen bestimmten Freibetrag überstiegen, mit einem Zins in Höhe von -0,25 Prozent belastete.
Die Notenbank betonte nun gleichzeitig mit dem Zinsschritt auch ihre Absicht, bei Bedarf weiterhin am Devisenmarkt zu intervenieren. Die SNB hatte 2021 für 21,1 Milliarden Franken Fremdwährungen gekauft.
Blick ins Ausland
Am Mittwochabend hatte die US-Notenbank Fed zum dritten Mal seit Beginn der Coronavirus-Pandemie den Leitzins erhöht. Durch die Erhöhung um 0,75 Prozentpunkte liegt er nun bei einer Spanne von 1,50 bis 1,75 Prozent.
Die Europäische Zentralbank (EZB) wiederum will erst im Juli ihre Leitzinsen um 0,25 Prozentpunkte anheben. Diese wäre dann die erste Erhöhung seit über einem Jahrzehnt. (SDA/uro/sfa/koh)
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