Am heutigen Donnerstagmorgen um 8.00 Uhr schlug eine historische Stunde: Der Referenzzinssatz sinkt auf das Allzeittief von 1,5 Prozent. Das Bundesamt für Wohnungswesen (BWO) hat die achte Senkung in Folge bekannt geben.
Für die Mehrheit der Schweizerinnen und Schweizer sind das erfreuliche Nachrichten. Sie sind Mieter – und sollten profitieren, wenn der Referenzzinssatz sinkt. Denn dieser bestimmt die Mieten. Geht er um ein 0,25 Prozentpunkt zurück, haben die Mieter Anspruch auf eine Zinssenkung von knapp 3 Prozent.
Seit 2009 fällt der Referenzzins. Damals lag er bei 3,5 Prozent, jetzt noch bei 1,5 Prozent. Das bedeutet: Die Durchschnittsmiete hätte in diesem Zeitraum – die jüngste Zinssenkung nicht eingerechnet – um rund 20 Prozent billiger werden müssen. Was nur heissen kann: Die Schweiz ist ein Schlaraffenland für Mieter.
Doch die Realität sieht anders aus. Statt zu sinken, sind die Mieten seit 2009 um acht Prozent gestiegen, wie die Raiffeisenbank ausgerechnet hat.
Die Mieter haben nicht profitiert von den rekordtiefen Zinsen. Im Gegenteil: Für eine 100-Quadratmeter-Wohnung zahlen sie heute im Schnitt knapp 2000 Franken Miete monatlich – 300 Franken mehr als 2009.
Mieterverband: Durchschnittshaushalt zahlt 3000 Franken zu viel
Für den Mieterverband (MV) ist der Fall klar: Die Vermieter prellen die Mieter um ihre Ansprüche. «Sie geben die sinkenden Zinsen zu einem grossen Teil nicht weiter», sagt MV-Generalsekretär Michael Töngi (50). Nach seinen Berechnungen haben die Vermieter seit 2009 insgesamt sieben Milliarden Franken zu viel kassiert. «Einem durchschnittlichen Mieterhaushalt werden so jährlich über 3000 Franken zu viel Miete verlangt.»
Nur eine Minderheit der Vermieter gebe die tieferen Zinsen weiter. Die Mehrheit stecke sie in den eigenen Sack, kritisiert er. Und aus Angst, den Vermieter zu verärgern und die Wohnung zu verlieren, trauten sich viele Mieter nicht, ihre Rechte einzufordern.
Die Vermieter lassen die Vorwürfe nicht auf sich sitzen. «Es kann keine Rede davon sein, dass es auf breiter Front missbräuchliche Mietzinserhöhungen gibt», sagt Monika Sommer (52), Direktorin des Hauseigentümerverbands (HEV).
Hauseigentümer kontern Vorwürfe
Dass den Mietern ihr Geld vorenthalten werde, treffe nicht zu: «Der Mieterverband vergleicht Äpfel mit Birnen.» Er unterschlage, dass nicht nur der Referenzzinssatz die Höhe der Mieten bestimme, sondern auch die Teuerung und allgemeine Kostensteigerungen.
Die Teuerung war in den letzten Jahren zwar null oder negativ. Doch neue Vorschriften für Feuerschutz, Energieverbrauch und Umweltschutz hätten die Kosten in die Höhe getrieben haben, sagt Sommer. «Die Vermieter investieren jährlich 10,5 Milliarden Franken in den Unterhalt. Weitere acht Milliarden kommen an wertvermehrenden Investitionen hinzu.» Dass dies mit den Mieten verrechnet werde, sei legal.
Wer recht hat, müssen wohl bald die Schlichtungsstellen entscheiden. Die Mieter erhöhen den Druck auf die Hausbesitzer. Heute lancieren sie eine Kampagne, welche die Leute auffordert, tiefere Mieten einzufordern. Töngi: «Wir sagen den Leuten: ‹Holt euch das Geld, es gehört euch. Ihr könnt damit Ferien machen, eine Weiterbildung beginnen oder in die 3. Säule einzahlen.›»