Darum gehts
- Schweiz in Wohnungsnot: Mieten steigen, Bautätigkeit sinkt auf historisches Tief
- Verdichtung als Lösung bringt neue Probleme und Konflikte
- Bis 2040 wird die Schweizer Bevölkerung die 10-Millionen-Marke überschreiten
Die Schweiz steckt in einer beispiellosen Wohnungsnot. Mieten schiessen in die Höhe, während neue Wohnungen in einem Tempo gebaut werden, das seit den 1950er-Jahren nicht mehr so niedrig war. Ein chronischer Mangel an Wohnraum trifft auf eine wachsende Bevölkerung und treibt die Kosten fürs Wohnen in unerschwingliche Höhen. Wer nicht jetzt mit dem Sparen beginne, werde in zehn Jahren kaum noch eine Wohnung bezahlen können, warnt ein Experte.
Ein Bauboom, der ausbleibt
In der Schweiz werden viel zu wenige Wohnungen gebaut, um mit der Nachfrage Schritt zu halten. Wie die «SonntagsZeitung» berichtet, sind zwischen 2020 und 2024 pro 100 zusätzlichen Einwohnern lediglich 52 neue Wohnungen entstanden – ein historischer Tiefstand, verglichen mit mindestens 59 seit dem Zweiten Weltkrieg und über 100 in den 1980er-Jahren.
Die Gründe sind vielfältig, aber einer sticht heraus: Seit der Revision des Raumplanungsgesetzes 2014 ist das Bauen auf unbebauten Flächen – der sogenannten «grünen Wiese» – nahezu unmöglich geworden. Stattdessen setzt die Schweiz auf Verdichtung, also mehr Wohnhäuser in bereits bebauten Gebieten. Doch dieser Wandel verläuft alles andere als reibungslos.
«Bauen auf der grünen Wiese war einfach und günstig»
«Man hat das eine Ventil – die grüne Wiese – zugemacht, aber das neue Ventil – die Verdichtung – war noch gar nicht funktionsfähig», wird Fredy Hasenmaile zitiert, Chefökonom bei Raiffeisen Schweiz. «Davor konnte man Bauland einzonen und auf der grünen Wiese bauen. Das war einfach und günstig.»
Die Anpassung von Bauplänen in Kantonen und Gemeinden zieht sich hin, oft über Jahre. Dazu kommen steigende Baukosten, strengere Vorschriften und eine Flut von Einsprüchen. In Zürich etwa wurden 2024 allein wegen verschärfter Lärmschutzregeln 3000 geplante Wohnungen blockiert. Das Ergebnis: Die Bauinvestitionen sind seit sechs Jahren rückläufig, und 2024 entstanden 5000 Wohnungen weniger als im Vorjahr.
Verdichtung mit Tücken
Verdichtung klingt nach einer Lösung, bringt aber neue Probleme. Häufig müssen alte Gebäude abgerissen werden, bevor neue entstehen können, was den Netto-Zuwachs an Wohnraum schmälert. Im Kanton Zürich wurden 2024 zwar 7500 neue Wohnungen gebaut, aber 2100 abgerissen – ein mageres Plus von 5400 Einheiten.
Zudem führt dichteres Bauen zu mehr Konflikten: Nachbarn fühlen sich gestört und nutzen erweiterte Einsprachemöglichkeiten, die durch Bundesgerichtsentscheide gestärkt wurden. «Verdichten bedeutet, dass man näher baut. Damit sind mehr Nachbarn betroffen und das führt zu mehr Widerstand gegen Bauprojekte», sagt Hasenmaile.
Die Komplexität des Bauens hat zudem private Bauherren abgeschreckt. Früher machten Privatpersonen fast 40 Prozent der Baugesuche aus; heute ist dieser Anteil auf die Hälfte geschrumpft. Die Zeiten, in denen Familien mit Freunden am Wochenende ein Einfamilienhaus hochzogen, sind vorbei. Moderne Bauvorschriften, hohe Qualitätsstandards und die Anforderungen einer Freizeitgesellschaft machen solche Projekte für Privatleute unattraktiv.
Mieten, die den Atem rauben
Während das Angebot schrumpft, explodiert die Nachfrage. Ende 2024 zählte die Schweiz 9,048 Millionen Einwohner – ein Rekord, getrieben durch starke Zuwanderung. Bis 2040 wird die Bevölkerung die 10-Millionen-Marke überschreiten, prophezeit der Bund. Doch wo sollen all diese Menschen wohnen? Immobilienökonom Andreas Loepfe warnt in der «NZZ am Sonntag»: «Wer jetzt nicht mit Sparen anfängt, wird die Mieten in zehn Jahren nicht mehr zahlen können.»
Loepfe rät dringend, mit dem Sparen zu beginnen, um die künftigen Mietsteigerungen zu stemmen. Schon jetzt Rücklagen zu bilden müsste später reichen, um entweder Wohneigentum zu finanzieren oder die Lücke zu höheren Mieten zu schliessen.
Mieterschutz? Tropfen auf heissen Stein
«Die Mieten werden in den nächsten zehn Jahren in einem Ausmass steigen, das sich die meisten Leute heute nicht vorstellen können», sagt Loepfe. Für viele ist das leichter gesagt als getan, besonders in urbanen Zentren, wo Jobs locken, aber Wohnen zum Luxus wird. In Städten wie Zürich, Bern, Basel und Lausanne gehen Menschen schon auf die Strasse, um gegen die Wohnungsnot zu protestieren. Mieten und Immobilienpreise steigen schneller als Löhne oder Lebenshaltungskosten, und skurrile Marktverzerrungen sind die Folge.
Ein Beispiel: In Adliswil bei Zürich wurde ein Haus auf Homegate in einer Mietzins-Auktion angeboten, bei der der Meistbietende ab 4700 Franken pro Monat den Zuschlag erhielt. Solche Szenarien zeigen, wie verzweifelt der Markt ist. «das Angebot an Wohnungen viel zu klein, die Nachfrage viel zu hoch», fasst der Tages-Anzeiger zusammen. Ohne einen radikalen Wandel bleibt Besserung ausser Sicht.
Städte versuchen, die Krise mit Regulierungen wie Mieterschutz zu bekämpfen, doch laut Robert Weinert, Forschungschef bei Wüest Partner, sei das nur «Symptombekämpfung». Die Wurzel des Problems – zu wenig Wohnraum – bleibe ungelöst. Selbst eine erwartete leichte Erholung der Bauinvestitionen 2025 werde den Rückstand nicht aufholen. «Bei der Zahl der geplanten Wohnungen haben wir gerade erst wieder das Niveau von vor zehn Jahren erreicht», so Weinert in der «SonntagsZeitung». Ohne eine Krise, die die Nachfrage dämpft, werden Mieten weiter steigen.
Sparen, planen und hoffen
Die Schweiz steht laut Immobilienfachleuten vor einer langfristigen Herausforderung. Hasenmaile schätzt, dass die vollständige Umsetzung der Verdichtungsstrategie noch zwei bis drei Jahre dauert, und es könnte ein Jahrzehnt vergehen, bis sie reibungslos funktioniert. Bis dahin bleibt der Wohnungsmarkt ein Minenfeld für Mieter.
Die Schweiz steckt in einer Zwickmühle: Eine wachsende Bevölkerung, restriktive Bauvorschriften und eine träge Verdichtungsstrategie haben einen Wohnungsmarkt geschaffen, in dem erschwingliches Wohnen zur Illusion wird.
Mietzins-Auktionen und Proteste sind nur die Spitze des Eisbergs. Die Lösung liegt in geringerem Bevölkerungswachstum oder einem massiven Ausbau der Bautätigkeit – doch das wird Jahre, wenn nicht Jahrzehnte dauern. Bis dahin bleibt den Mietern nur eines: Sparen, planen und hoffen, dass die Politik Mittel und Wege findet.