Wirtschaftsexperte Vontobel ordnet ein
Neue EU-Richtlinie – Glücksfall für die Schweiz?

Überraschung! Die neue Entsenderichtlinie der EU ist eine Steilvorlage für die Schweiz. Sie erlaubt uns, den Lohnschutz so auszubauen, dass sich Entsendungen von EU-Arbeitern in die Schweiz nur noch in Ausnahmefällen rechnen.
Publiziert: 20.08.2018 um 15:02 Uhr
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Aktualisiert: 14.09.2018 um 23:25 Uhr
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Werner Vontobel: «Die neue Entsenderichtlinie der EU erlaubt der Schweiz, den Lohnschutz so auszubauen, dass sich Entsendungen von EU-Arbeitern in die Schweiz nur noch in Ausnahmefällen rechnen.»
Foto: Keystone
Werner Vontobel

Die Fronten sind verhärtet. Hüben weigert sich Gewerkschaftsboss Paul Rechsteiner, über die Acht-Tage-Klausel auch nur zu reden. Drüben sagt die EU, dass diese Regel gegen ihre Entsenderichtlinie verstosse und dass diese wegen dem Freizügigkeitsabkommen auch für die Schweiz gelte.

Vor allem Andreas Schwab, der für die Beziehungen zur Schweiz zuständige EU-Abgeordnete, spuckt grosse Töne: Die Personenfreizügigkeit sei eine der «vier Grundfreiheiten der EU», ein «heiliges Prinzip», über das man nicht diskutieren könne.

Doch bisher hat die Entsenderichtlinie nur eine Freiheit geschützt – die der EU-Arbeitgeber, über ihre Angestellten nach Gutsherrenart zu verfügen. Inzwischen haben endlich auch die EU-Gewerkschaften gemerkt, dass damit die Freiheit der Arbeitnehmer, die ja meist auch eine Familie und einen Freundeskreis haben, über Gebühr eingeschränkt wird.

Um diese soziale Härte zu mildern, hat deshalb die neue, ab 2020 geltende EU-Entsendrichtlinie dem «Entsender» beziehungsweise dem Entsendeland ein paar Hausaufgaben auferlegt. So sollen sie etwa «überprüfen, ob die Wohnverhältnisse (...) mit den geltenden einschlägigen nationalen Bestimmungen des Aufnahmemitgliedstaats im Einklang stehen.»

Das ist wichtig für die Schweiz

Zudem sollen die Entsandten «dieselben geltenden Zulagen oder Kostenerstattungen zur Deckung der Reise-, Verpflegungs- und Unterbringungskosten erhalten wie gebietsansässige
Arbeitnehmer in diesem Mitgliedstaat».

Für die Schweiz wichtig ist, dass in all diesen Fällen das Recht des Landes gilt, in dem der Entsandte arbeitet. Das bedeutet, dass der Entsender nicht nur den in der Schweiz üblichen Lohn bezahlen, sondern auch alle anderen Schweizer Regeln betreffend «Arbeit an auswärtigen Arbeitsorten» (wie es bei uns heisst) einhalten muss.

So stellt etwa bei uns eine Änderung des Arbeitsortes eine Änderungskündigung dar. Der neue Arbeitsort kann somit erst nach Ablauf der Kündigungsfrist wirksam werden. Der Arbeitnehmer soll Zeit haben, eine zumutbare Stelle zu finden.

Doch selbst wenn man akzeptiert, dass die EU die Freiheit der Bosse höher gewichtet als die Büezer, greift spätestens bei der Abreise das Schweizer Arbeitsrecht. Dessen Artikel 13, Absatz 6, sagt nämlich, dass, falls die Arbeit ausserhalb des üblichen Orts geleistet werden muss, «die zeitliche Differenz zur normalen Wegzeit Arbeitszeit darstellt».

Nicht viele EU-Offerten werden konkurrenzfähig sein

Unter dem Strich heisst dies, dass die EU-Firmen, welche Aufträge in der Schweiz ergattern wollen, in ihren Offerten all diese Arbeitskosten – zu den bei uns üblichen Ansätzen – einkalkulieren müssen: Reise, Verpflegung, eine «angemessene» Unterkunft und den vollen Lohn für die Arbeit und für die Wegzeiten. Da werden nicht mehr viele EU-Offerten konkurrenzfähig sein.

Theoretisch hätte die Schweiz genau dies im Rahmen der flankierenden Massnahmen schon immer einfordern können. Praktisch haben wir aber hingenommen, dass die EU-Arbeitgeber die Kosten der auswärtigen Arbeit auf ihre Angestellten abgewälzt haben. Weil jetzt aber auch die EU entdeckt hat, dass Arbeitnehmer keine blosse Manövriermasse sind, kann sich die
Schweiz nun auf die EU-Entsenderichtlinie berufen. Diese auferlegt ihr sogar die Pflicht, die Rechte der EU-Arbeitnehmer zu schützen.

Um diese Rechte durchzusetzen, muss man Verstösse erst einmal erkennen können. Dabei spielt die Meldefrist von acht Tagen weiterhin eine Rolle. Noch wichtiger aber ist die Frage, wie und von wem die Ansprüche der Entsandten notfalls grenzüberschreitend angemeldet werden.

So gesehen wird ein Rahmenvertrag auch für die Schweiz wieder interessant.

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