Wirtschaftsexperte Vontobel ordnet ein
Mit 450 Billionen Sachen durch die Weltwirtschaft!

Wichtige Gremien warnen vor der Unberechenbarkeit der Finanzmärkte. Die drängende Frage ist: Wie stoppen wir die Raser? Denn bei einem Crash droht billionenschwerer Schaden.
Publiziert: 12.10.2018 um 17:44 Uhr
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Aktualisiert: 24.10.2018 um 11:28 Uhr
Wirtschaftsexperte Werner Vontobel ordnet für BLICK aktuelle Themen der Gesellschaft und Wirtschaft ein.
Foto: Paul Seewer
Werner Vontobel

Die globalen Finanzspekulanten gefährden die Weltwirtschaft. Davor warnen Experten abermals.

In seinem neusten Jahresbericht mahnt der Internationale Währungsfonds (IWF): Die Unberechenbarkeit der Finanzmärkte könnte den Aufschwung abwürgen. Nur einen Tag danach hat sich auch die Bank of England an die Öffentlichkeit gewandt und die vage Warnung des IWF konkretisiert: Falls man sich bei den Brexit-Verhandlungen nicht rechtzeitig auf ein neues Clearing-System einige, könnten derivative Finanzprodukte im Wert von 76'000 Milliarden Dollar auf einen Schlag fällig werden. 

Schon nur eine Zinserhöhung von 0,01 Prozent, also um einen Basispunkt, könne Europas Banken jährlich 22 Milliarden Dollar kosten. Allein über die drei in London ansässigen Clearing-Banken werden laut «Financial Times» Finanzwetten auf Zinsen, Währungen, Rohstoffe und Weiteres im Umfang von 450'000 Milliarden Dollar abgewickelt – gut das Fünffache des weltweiten Bruttoinlandprodukts.

Immense Kollateralschäden

Man muss diese Transaktionen nicht im Detail verstehen, um zu erkennen, dass an den Finanzmärkten gigantische Wetten laufen, die jederzeit zu einer neuen Finanzkrise führen könnten. Mit schweren Kollateralschäden für die Realwirtschaft: Zahlungen, die nicht mehr abgewickelt werden können, Pleite gehende Banken, abrupt steigende Zinsen, Währungsschwankungen, Massenarbeitslosigkeit und so weiter.

Wenn Rowdies öffentliche Strassen für ein Rennen missbrauchen, werden sie gebüsst oder gar ins Gefängnis gesteckt und ihre Autos konfisziert. Wenn Finanzrowdies das Finanzsystem missbrauchen, um irre Wetten abzuschliessen und mit 450 Billionen Sachen durch die Weltwirtschaft rasen, dann werden sie dabei noch reicher. Die Busse bezahlen wir.

Für die Türkei ist es zu spät

Die Finanzaufsicht lässt die Raser rasen und gibt der betroffenen Bevölkerung und ihren Politikern den Rat, alle möglichen Hindernisse aus dem Weg zu räumen. Macht beim Brexit-Vertrag ja keinen Fehler, sonst rasen die Raser erst recht.

Ähnliche Warnungen gehen regelmässig auch an die Wähler: Sie sollen keine Parteien wählen, welche die Finanzspekulanten zu einem Amoklauf reizen könnten. Im Falle der Türkei ist es schon zu spät. Die Märkte haben die türkische Lira innert Jahresfrist um fast 40 Prozent abgewertet. Noch ist das Ausmass des Schadens schwer abzuschätzen. Auch über Italien schwebt das billionenschwere Damoklesschwert der globalen Finanzherren.

Drängende Frage

In der Finanzpresse und in der «Neuen Zürcher Zeitung» spricht man zwar gerne davon, dass die globalen Finanzmärkte «unverantwortliche» Regierungen und Politiker «disziplinieren». Einverstanden, auch gewählte Regierung betreiben zuweilen die falsche Politik. Doch wenn in einer Demokratie letztlich die Gläubiger und nicht mehr das Volk und dessen gewählte Vertreter die Geschicke des Landes bestimmen, dann haben wir ein grobes Problem. Dann verlieren diese Regierungen letztlich ihre Autorität und Legitimation. Wozu das führt, erleben wir zurzeit gerade.

Wie können wir die Finanzmärkte zähmen und die Raser aus dem Verkehr ziehen? Dem IWF ist dazu nichts eingefallen. Doch die Frage ist aktueller denn je. Vielleicht packen wir es nach dem nächsten Totalkollaps – sofern wir den überleben.

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