Wirtschaftsexperte Vontobel ordnet ein
Das Tabu der Bodensteuer gehört auf den Tisch

Was derzeit auf dem Immobilienmarkt geschehe, sei eine rasante Umverteilung von unten nach oben, schreibt der Chefredaktor Blick-Gruppe, Christian Dorer. Bleibt die Frage, wie konkret man diesen «Teufelskreis» durchbrechen kann.
Publiziert: 17.07.2019 um 09:39 Uhr
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Wirtschaftsexperte Werner Vontobel sagt: «Die Optimierung des Wohnorts ist inzwischen zu einer Daueraufgabe geworden.»
Foto: Paul Seewer
Werner Vontobel

Die Schweiz hat ein Problem, das aber leider nur selten so offen angesprochen wird, wie dies der Chefredaktor Blick-Gruppe, Christian Dorer, getan hat: Die Mieten richten sich längst nicht mehr nach den effektiven Kosten für Bauen, Amortisation, Unterhalt und Verwaltung, sondern nach dem, was die Mieter und vor allem die Käufer (angesichts der tiefen Hypozinsen) zu zahlen bereit sind. Die Differenz zwischen den beiden Grössen wirkt wie eine privat erhobene Bodensteuer und bewirkt eine massive Umverteilung von unten nach oben.

Die Zahlen zum Problem

Das Ausmass dieser Umverteilung ist bisher in keiner Studie erhoben worden. Es dürfte aber für die meisten Haushalte die Ausgaben für direkte Steuern (von durchschnittlich 12 Prozent des Nettoeinkommens) deutlich übersteigen.

Das zeigt eine kleine Überschlagsrechnung: Laut WüestPartner hatten die Schweizer Wohn- und Geschäftsimmobilien 2018 einen Marktwert von 3640 Milliarden Franken. Davon dürften maximal 1500 Milliarden (2500 Fr. pro m2 Bruttogeschossfläche) auf die Bausubstanz und gut 2100 Milliarden auf das Bauland entfallen, das in den Grosstädten zwischen 5000 und 10'000 Franken pro m2 kostet. Bei einer Netto-Rendite von 3,8 Prozent errechnet sich eine Bodensteuer von 80 Milliarden Franken oder 20 Prozent der Bruttolohnsumme.

Ineffiziente Steuer

Diese Steuer wird nicht von allen Vermietern beziehungsweise Bodenbesitzern erhoben, aber der Markt lässt diesen Zugriff nicht nur zu, sondern erzwingt ihn auch. Pensionskassen, Immobilienfonds etc. sind es ihren Geldgebern schuldig, das Maximum aus den Mietern herauszuholen. Volkswirtschaftlich gesehen ist die Bodensteuer die ineffizienteste aller Steuern. Erstens werden damit keine staatlichen Einnahmen generiert, mit denen wichtige öffentliche Leistungen wie Schulen, Strassen und weiteres finanziert werden können. Zweitens zerstört sie Nachfrage indem sie das Geld dahin fliessen lässt, wo es eh nur gespart oder verspekuliert wird.

Vor allem aber beeinflusst die Bodensteuer das soziale Verhalten der Steuerzahler massiv. Sie verlassen ihre Nachbarschaft, schulen ihre Kinder um und nehmen lange Arbeitswege auf sich, um dorthin zu ziehen, wo sie sich die Bodensteuer noch knapp leisten können. Auf der anderen Seite ziehen die Reichen dorthin, wo die Immobilienpreise zwar hoch, dafür aber die Steuern zur Zeit gerade am tiefsten sind.

Nur Reiche können von den tiefen Hypozinsen profitieren

In Zürich wechseln im Schnitt pro Jahr 20 Prozent aller Wohnungen den Mieter. Die Optimierung des Wohnorts ist inzwischen zu einer Daueraufgabe geworden. Die Schweiz hat sich in einen Taubeschlag verwandelt.

Wie können wir aus diesem Teufelskreis ausbrechen? Als einzige hat bisher die Nationalbank konkrete Massnahmen ergriffen. Sie fordert die Banken auf, Hypokredite nur denen zu gewähren, die genügend Einkommen haben, um notfalls auch 5 Prozent Hypozins zu bezahlen. Damit soll vermieden werden, dass steigende Zinsen und sinkende Immobilienpreise zu einem Finanzcrash führen. Gut so. Aber das soziale Problem wird dadurch noch verschärft, weil nur noch Reiche von den tiefen Hypozinsen profitieren können.

Keine wirkliche Lösung ist auch die Abschöpfung des durch Auf- und Umzonung geschaffenen Mehrwerts. Erstens weil die Abschöpfung nur 20 Prozent beträgt, zweitens weil sie nur einen kleinen Teil des Mehrwerts betrifft und nicht den, der durch die politische gewollte Zuwanderung von (insbesondere reichen) Ausländern verursacht wird. Drittens weil die Einnahmen nicht der Entlastung der Mieter dienen.

Enteignung ist keine Lösung

Von sehr beschränkter Wirkung wäre auch der massive Aufkauf (Enteignung) von Bauland und Liegenschaften durch den Staat, wie er etwa in Berlin diskutiert wird. Zu diesem Zweck müsste der Staat die Grundbesitzer zu horrenden aktuellen Marktpreisen entschädigen, womit bloss die bereits vollzogene Umverteilung staatlich nachvollzogen würde.

Bleibt die Möglichkeit, die Mieten per Gesetz in Richtung Kostenmiete zu drücken und so die Bodensteuer zu senken. In Berlin steht eine solche Massnahme unter dem Titel «Mietzinsdeckel» auf der politischen Agenda.

Die Gegner wenden ein, dass dadurch die Wohnungsnot erst recht verschärft würde, denn niemand hätte mehr einen finanziellen Anreiz, neue Wohnungen zu bauen. Vermutlich würden aber bloss die Preise für Bauland auf ein Niveau sinken, das den Bauherren noch eine angemessene Rendite übrig lässt. Allerdings bliebe die Gefahr eines durch die sinkenden Bodenpreise ausgelösten Bankencrashs. Die SNB müsste sich etwas einfallen lassen.

Einfache Lösungen gibt es nicht mehr. Dazu stecken wir schon viel zu lange in diesem Teufelskreis. Das ist wohl auch der Grund, warum nur noch wenige wagen, das heikle Thema der Bodensteuer offen anzusprechen.

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