«Die Talsohle ist hinter uns»
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KOF-Ökonom Jan-Egbert Sturm:«Die Talsohle ist hinter uns»

Wirtschaft erholt sich schon wieder – glaubt ETH-Ökonom Jan-Egbert Sturm
«Die Talsohle ist hinter uns»

Der KOF-Ökonom Jan-Egbert Sturm rechnet in diesem Jahr mit einem scharfen Einbruch der Wirtschaft. Doch die Erholung setzt schnell ein, auch dank des Konsums. Seine Forderung: eine Fortsetzung des Kreditprogramms.
Publiziert: 16.06.2020 um 23:06 Uhr
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Aktualisiert: 22.06.2020 um 08:16 Uhr
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Die Wirtschaft habe die Talsohle hinter sich, sagt ETH-Ökonom Jan-Egbert Sturm.
Foto: Keystone
Interview: Claudia Gnehm und Christian Kolbe

Jan-Egbert Sturm ist ein gefragter Mann. Vor dem Interview hat er an einer Sitzung der Covid-19-Taskforce des Bundes teilgenommen. Wir treffen den Ökonomen in der fast menschenleeren Forschungsstelle. Denn im Gegensatz zur Wirtschaft befinden sich Hochschulen wie die ETH Zürich immer noch im Ausnahmebetrieb.

BLICK: Haben wir den wirtschaftlichen Tiefpunkt in der Corona-Krise schon erreicht?
Jan-Egbert Sturm: Die Talsohle ist hinter uns. Das Wachstum wird im 2. Quartal eindeutig am negativsten sein in diesem Jahr. Die Quartale danach können eigentlich nur besser ausfallen.

Trotzdem, drohen nun Firmenkonkurse und Stellenabbau?
Hier gibt es eine Verzögerung wie auch bei der Arbeitslosigkeit. Die Kurzarbeit hat vieles aufgefangen. Aber einige Firmen merken jetzt, dass sie nicht alle Mitarbeiter wieder beschäftigen können.

Welche Art von Erholung erwarten Sie?
Nach dem Absturz geht es zuerst recht steil hoch, aber nicht bis auf Vorkrisen-Niveau. Ein langsamer Anstieg dürfte folgen. Das Vor-Corona-Niveau werden wir nicht so schnell erreichen, auch weil die Auslandnachfrage auf sich warten lässt. Frühestens Ende 2021 werden wir wieder an die Wirtschaftsleistung von 2019 anknüpfen.

Die Maschinen-, Metall- und Elektroindustrie erwartet den Tiefpunkt erst im Herbst. Dauert es im Tourismus sogar noch länger?
Im Sommer gibt es im Tourismus eine gewisse Erholung, weil die Schweizer Ferien im Inland machen. Aber im Tourismus sind die Hygienevorgaben am einschneidendsten und die Abhängigkeit von Auslandskunden sehr hoch.

Hat der private Konsum die Wirtschaft gestützt?
Teile des Detailhandels hatten trotz Lockdown einen guten Umsatz. Man hat viel mehr zu Hause gegessen und konsumiert. Gleichzeitig war Einkaufstourismus nicht möglich.

Wandern die Konsumausgaben nun wieder ins Ausland ab, da die Grenzen offen sind?
Entscheidend ist, wie stark wir unser Verhalten wieder an die Zeit vor Corona anpassen. Obwohl die Grenzen offen sind, bleiben die Leute wahrscheinlich vorsichtiger.

Wieso liegen die Wirtschaftsprognosen einzelner Institute so weit auseinander?
So etwas wie die Corona-Krise haben wir noch nie erlebt. Die Unsicherheiten sind enorm gross. Wir haben keine Erfahrung damit, wie die Normalisierung vonstatten geht.

Welche Rolle spielen Optimismus oder Pessimismus der Prognostiker?
Wir versuchen alle, so objektiv wie möglich das Geschehen und die Entwicklung einzuschätzen. Zwischen der KOF und dem Seco liegt der grosse Unterschied bei der Einschätzung des Privatkonsums. Das Seco ist deutlich pessimistischer für das laufende Jahr.

Gehen Sie von einer höheren Sparquote aus als das Seco?
Die Leute haben mehr gespart als üblich, weil sie das Geld nicht ausgeben konnten. Natürlich gab es auch Einkommenseinbussen. Aber insgesamt sehen wir einen starken Anstieg der Sparquote. Das ist eine gute Basis für die Erholung. Das Seco ist hier vorsichtiger.

Werden die Leute wirklich wieder kräftig konsumieren, wenn sie Angst um ihre Stelle haben?
Wir stützen uns hier auch auf Erfahrungen aus der Finanzkrise. Der Einbruch war damals relativ stark, auch die Arbeitslosigkeit stieg. Doch beim Konsum war das Verhalten der Schweizer sehr stabil. Die Leute konsumieren in der Krise, das stimmt uns zuversichtlich.

Viele Menschen haben Angst, dass sie nach der Kurzarbeit den Job verlieren.
Dort, wo die Strukturen erhalten werden können, werden viele zurückkommen. Aber es werden leider auch Personen von der Kurzarbeit in die Arbeitslosigkeit wechseln. Der Höhepunkt der Arbeitslosigkeit dürfte Anfang 2021 erreicht sein, mit einer Arbeitslosenquote von etwas unter fünf Prozent.

Derzeit wird diskutiert, Kurzarbeit von 12 auf 18 Monate zu verlängern. Ist das sinnvoll?
Dort, wo Strukturen erhalten werden können, wäre das hilfreich. Aber in anderen Bereichen wie etwa im Tourismus müssen wir uns fragen, wie stark eine Normalisierung auf das frühere Niveau möglich und damit ein Strukturerhalt sinnvoll ist.

Da wäre die Verlängerung der Kurzarbeit eigentlich nur ein teures Geschenk an die Wirtschaft.
Je länger diese Krise andauert, desto komplexer ist es zu entscheiden, wo kein Strukturerhalt, sondern ein Strukturwandel notwendig ist – Stellen also nicht erhalten werden sollten. Klar ist, die Wirtschaft kann nicht mehr so funktionieren wie vor der Krise, deshalb sollten sich die Strukturen anpassen. Aber wo, ist eine schwierige Frage.

Worüber haben Sie in der Sitzung der Covid-19-Taskforce gesprochen?
Wir haben uns die Frage gestellt, warum es in Deutschland ein 130 Milliarden Euro schweres Konjunkturpaket gibt – und in der Schweiz nichts dergleichen. Das ist in der Schweiz fast schon ein Tabu. Obwohl sich sonst Deutschland und die Schweiz in vielen Dingen sehr ähnlich sind.

Warum sind Konjunkturprogramme in der Schweiz tabu?
Darauf habe ich keine vollständige Antwort. Die Schweizer Kultur ist etwas calvinistischer als in den umliegenden Ländern. Man muss sich also alles erst verdienen, Geschenke gibt es keine. Ausserdem dauert es in der Schweiz sehr lange, bis so ein Konjunkturpaket geschnürt und durch alle Instanzen gegangen ist. Der Schweizer Infrastrukturfonds sorgt bereits dafür, dass im Tiefbau stetig Infrastrukturprojekte aufgegleist werden können.

Zusammen mit ETH-Kollegen schlagen Sie vor, das Covid-19-Kreditprogramm zu verlängern. Wieso soll das akzeptiert werden?
Wir haben die Schweizer Mentalität berücksichtigt. An Firmen soll also nicht einfach Geld verteilt werden. Vielmehr sollen sie Kredite erhalten, die zurückbezahlt werden sollten. Klar, es wird Ausfälle geben, aber hoffentlich nur wenige. Das kostet den Schweizer Staat somit fast nichts. Im Gegensatz dazu entlastet Deutschland etwa durch Steuersenkungen die Firmen sehr direkt.

Was bringt denn die Verlängerung des Covid-19-Kreditprogramms?
Die Unternehmen brauchen Liquidität, um zu investieren. Deswegen schlagen wir vor, das Covid-19-Kreditprogramm fortzusetzen und neu zu erlauben, die Kredite für Zukunftsinvestitionen einzusetzen. In dieser zweiten Phase geht es nicht mehr nur um das Überleben der Firmen. Ein weiterer Vorteil: Faktisch gibt es das Instrument ja schon.

Jan-Egbert Sturm: Auf seine Prognosen hört auch die EU

Der gebürtige Holländer Jan-Egbert Sturm (51) ist seit 2005 Professor an der ETH Zürich und Leiter der KOF Konjunkturforschungsstelle. Er war Volkswirtschaftsprofessor mehrerer Universitäten. Seit 2007 ist er unter anderem Präsident des einflussreichen europäischen Centre for International Research on Economic Tendency Survey. Sturm ist verheiratet und Vater von zwei Kindern.

Der gebürtige Holländer Jan-Egbert Sturm (51) ist seit 2005 Professor an der ETH Zürich und Leiter der KOF Konjunkturforschungsstelle. Er war Volkswirtschaftsprofessor mehrerer Universitäten. Seit 2007 ist er unter anderem Präsident des einflussreichen europäischen Centre for International Research on Economic Tendency Survey. Sturm ist verheiratet und Vater von zwei Kindern.

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