Es brennt schon wieder bei Postauto. Nach dem Subventions-Bschiss im Frühjahr hat BLICK diese Woche erneut Missstände aufgedeckt: Am Montag kam aus, dass die Firma ihren Angestellten wegen eines Systemfehlers Millionen schuldet. Und gestern Mittwoch packten Basler Chauffeure über Druck bei der Arbeit aus.
Zu viel für Thomas Baur (54), Postauto-Chef ad interim. Statt sich immer nur zu den neu entflammten Bränden in seinem Laden zu äussern, will er sich erklären. Er lädt BLICK kurzfristig zu einem Interview in der Zürcher Sihlpost ein. Nur 50 Minuten hat der zwischenzeitliche Postauto-Boss Zeit, bevor er auf den Zug Richtung Bern sprinten muss. Doch die Zeit reicht ihm, um seinem Frust über die Zustände gehörig Raum zu verschaffen.
BLICK: Herr Baur, es brennt an allen Ecken und Enden bei Postauto – einem Betrieb, der allen Schweizern am Herzen liegt. Warum ist Ihr Laden so ein Chaos?
Thomas Baur: Was ich bei meiner Übernahme im Februar vorgefunden habe, war teilweise sehr enttäuschend. Es gibt immer noch enorm viele Baustellen. Jene, wegen der wir heute hier sind, wird nicht die letzte sein. Postauto-Chauffeure wurden ausgepresst. Es wurden ihnen Minuten abgezwackt, um ein paar Franken einzusparen. Darum sage ich klar: ja, wir haben Fehler gemacht. Diese packen wir alle an. Das geht nicht von heute auf morgen. Aber meine Leute spüren, dass sich etwas verändert. Und wir haben die personellen Konsequenzen gezogen.
Das ist das Einzige, was man von aussen gesehen hat. Ansonsten hat man das Gefühl, dass das Bundesamt für Polizei (Fedpol) die Strafuntersuchung weiterführt, der gelbe Riese aber selbst nicht mehr viel macht.
Das stimmt überhaupt nicht. Es läuft extrem viel. Wir müssen besser werden und müssen es den Mitarbeitern zeigen.
Wie soll das gehen?
Ich habe gleich nach meinem Antritt im Frühjahr eine Tour de Suisse gemacht: Ich hab im ganzen Land die Basis getroffen. Habe aufgezeigt, was passiert ist und wie es jetzt weitergeht. Diese Menschen fahren nicht nur Bus, sie fahren Postauto. Das zu spüren, hat mich berührt. Ich habe aber in jedem Saal, in den ich reingekommen bin, auch die riesige Enttäuschung gespürt. Es geht schliesslich nicht nur um die Wut in der Bevölkerung, sondern auch um den riesigen Frust der Postauto-Belegschaft. Der ist aber mit der Zeit abgeflacht.
Und seit dieser Woche ist er wieder da?
So würde ich es nicht sagen. Es gibt immer noch grossen Handlungsbedarf. Ich habe nach den ersten Gesprächen gleich ein Spitzengespräch mit der Gewerkschaft einberufen.
Jetzt hat man aber nicht nur den Steuerzahler abgezockt, sondern auch die eigenen Mitarbeiter. Das versteht jetzt echt keiner mehr.
Jetzt muss ich meine Vorgänger und die Personalabteilung doch ein wenig verteidigen: Es ist nicht gut, was passiert ist. Aber es ist ein Riesenunterschied, ob jemand bewusst bescheisst, oder ob jemand unbewusst einen Fehler macht. Die falschen Spesenabrechnungen, die mit dem neuen GAV Anfang 2016 angefangen haben, waren nicht böswillig. Als der Fehler im Herbst 2017 aufgetaucht ist, haben wir sofort reagiert und seither bis auf acht Spezialfälle alles zurückbezahlt.
Schon als Leiter Postnetz hat Thomas Baur (54) nicht den einfachsten Job: Er muss als oberster Chef die Umwandlung von Poststellen in Postagenturen durchboxen. Weil die Postauto-Leitung im Zuge des Postauto-Skandals aus dem Amt gefegt wurde, übernahm er im Frühling interimistisch zusätzlich das Steuer von Postauto. Anfang 2019 löst Christian Plüss (56) Baur an der Spitze von Postauto ab. Plüss kommt vom Energieversorger Alpiq. Baur ist seit Jahrzehnten im Postkonzern. Er stieg aber erst 2016 in dessen Leitung auf.
Schon als Leiter Postnetz hat Thomas Baur (54) nicht den einfachsten Job: Er muss als oberster Chef die Umwandlung von Poststellen in Postagenturen durchboxen. Weil die Postauto-Leitung im Zuge des Postauto-Skandals aus dem Amt gefegt wurde, übernahm er im Frühling interimistisch zusätzlich das Steuer von Postauto. Anfang 2019 löst Christian Plüss (56) Baur an der Spitze von Postauto ab. Plüss kommt vom Energieversorger Alpiq. Baur ist seit Jahrzehnten im Postkonzern. Er stieg aber erst 2016 in dessen Leitung auf.
Warum haben Sie nicht aktiv kommuniziert, sondern schon wieder gewartet, bis der BLICK diese Woche das Thema aufdeckte?
Wir schauen die Dinge intern an und müssen doch nicht alles, was nicht sauber läuft, öffentlich an den Pranger stellen. Ausserdem ist unsere interne Problemliste sehr lang. Es würde mich nicht überraschen, wenn nächste Woche wieder etwas aufkommt. Kaum ist das eine abgehakt, macht es schwupp – und es brennt woanders.
Zum Beispiel?
Es gab einen Mister X. Dieser setzte sich unerkannt in die Postautos und bewertete, wie freundlich der Chauffeur die Passagiere grüsst. Das war lohnwirksam. Das ist Big Brother. Wir haben das System aufgehoben. Oder: Gewisse Chauffeure sind zwar neun Stunden anwesend, fahren aber weniger als vier davon im Bus – und kriegen auch nur diese angerechnet. Juristisch ist das zwar okay. Aber wir müssen uns doch überlegen, ob wir solche Dinge machen wollen.
Haben Sie noch ein Beispiel?
Der offizielle Dienstantritt wurde an gewissen Orten von 6.30 um eine Minute auf 6.31 verschoben. Nur, um ein bisschen weniger Lohnkosten zu haben und den Gewinn ein bisschen zu erhöhen. Genau das Gleiche mit den Toiletten in Basel. Ich will doch nicht über Toiletten diskutieren! Es muss selbstverständlich sein, dass unsere Leute nicht in einen Busch pinkeln müssen. Darum gibts jetzt ein Projekt für eine systematische Pausenraum-Regelung. Wir brauchen eine neue Kultur. Die Geschäftsleitung in Bern und die Basis haben sich in der Vergangenheit weit voneinander entfernt.
Wir haben den Eindruck, dass wir ständig nur über Baustellen sprechen. Sie haben offensichtlich bei Ihrem Amtsantritt einen gewaltigen Scherbenhaufen vorgefunden.
(Lange Pause) Ja , mein Spass hält sich in Grenzen. Was ich vorgefunden habe, entspricht nicht der Postkultur. Der Subventions-Beschiss hat am meisten wehgetan: Es geht nicht nur um den Betrag, sondern um Werte, die mit Füssen getreten wurden. Da noch sparen, hier noch etwas kürzen – das ist nicht meine Post.
Sind Sie wütend auf Ihren Vorgänger Daniel Landolf?
Nein, aber enttäuscht. Das Bild, das ich von meinem direkten Vorgänger hatte, hat sich stark verändert.
Postauto sagt, man kenne den Fall in Basel nicht, wo ein Chauffeur acht Tage am Stück arbeitete. Die Spitze hat keine Ahnung, was an der Basis passiert, richtig?
Ich hoffe nicht. Aber was bei den privaten Postauto-Unternehmern läuft, da haben wir nicht die volle Transparenz. Ich rufe betroffene Mitarbeiter dazu auf, sich bei uns über einen eigens eingerichteten E-Mail-Briefkasten zu melden. Das ist zentral. Wir können nur beheben, wovon wir wissen. Vielleicht klärt sich dann auch irgendwann einmal meine grosse Frage.
Die wäre?
Wie war der Subventions-Bschiss möglich? Ich weiss es noch immer nicht! So viele Leute waren involviert oder wussten Bescheid, über so lange Zeit, und keiner muckte auf. Vielleicht hatten einige Angst. Vielleicht wurde ihnen gedroht. Die grosse Loyalität, die es zu Postauto gab, hat auch negative Seiten. Auf jeden Fall will ich Sorry sagen. Es tut mir auch für die Chauffeure leid, was passiert ist. Doch das ist vorbei. Wir wissen, wie wertvoll die Chauffeure und alle anderen Mitarbeiter für Postauto sind. Das hervorragende Image, das Postauto bis zum Skandal hatte, kommt nicht von ungefähr. Das haben unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter über Jahrzehnte eingefahren.
Haben Sie eine Ahnung, wieviel Geld Postauto für den Bschiss zurückerstatten muss?
Ja, das weiss ich sehr genau. Aber es ist nicht an mir, den Betrag zu nennen. Die Kantone und das Bundesamt für Verkehr informieren morgen Freitag. Aber eines sage ich: Es ist ein Betrag, der klar höher ist als die 78 Millionen, die wir schon bekannt gegeben haben. Und sie werden sehen, es gibt riesige Unterschiede innerhalb der Schweiz. Nicht in jeder Region wurde gleich stark betrogen. Was besonders einschenkt, ist der gesetzlich festgelegte Zins von fünf Prozent. Der tut weh. Aber es gehört zur Postkultur, dass wir hier jetzt nicht kleinlich sind.
Postauto-Chauffeure haben die Nase voll. Sie melden sich, klagen über Stress und Arbeitsdruck. Gestern packten im BLICK Chauffeure aus, die die Basler Flughafenlinie 50 bedienen. Ihnen reiche die Zeit oft nicht einmal fürs WC.
Am Montag machte BLICK Spesenschummeleien publik. Postauto bestätigte, zu wenig Arbeitszeit abgerechnet und zu wenig Entschädigung für Verpflegung gezahlt zu haben. Die fast 4000 Angestellten leiden unter dem Imageverlust der einst stolzen Posttochter:
Im Februar 2018 deckte BLICK den Skandal bei Postauto auf. Mittels gesetzeswidriger Buchhaltungstricks hatte die Postauto-Spitze zwischen 2007 und 2015 über 78,3 Millionen Franken Subventionen erschlichen. So lautet bis heute die offizielle Zahl. Die Postauto-Spitze um Chef Daniel Landolf (58) musste den Hut nehmen. Im Juni trat Susanne Ruoff (60) als Post-CEO zurück.
Postauto-Chauffeure haben die Nase voll. Sie melden sich, klagen über Stress und Arbeitsdruck. Gestern packten im BLICK Chauffeure aus, die die Basler Flughafenlinie 50 bedienen. Ihnen reiche die Zeit oft nicht einmal fürs WC.
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Weit über 1300 Postauto-Chauffeure fordern, was bei Bundesbetrieben eine Selbstverständlichkeit sein müsste: eine korrekte Arbeitszeitabrechnung (BLICK berichtete). Die Bus-Chauffeure des Unternehmens wehren sich dagegen, systematisch Gratisarbeit leisten zu müssen. Ihre Einsätze sind so eng geplant, dass sie in ihrer Arbeitszeit fast nur fahren können. Chauffeure berichten davon, dass sie in der regulären Arbeitszeit nicht dazu kommen, das Geld der Fahrgäste für die Tickets einzuzahlen. Oder: Um sicher ans Ziel zu kommen, müssen die Postauto-Chauffeure vor den Fahrten einen Sicherheitscheck durchführen – für diesen Check räumt ihnen Postauto gerade mal vier Minuten Arbeitszeit ein. «Viel zu wenig», sagt ein früherer Postauto-Mitarbeiter zu BLICK. Sven Zaugg, Pascal Tischhauser
Weit über 1300 Postauto-Chauffeure fordern, was bei Bundesbetrieben eine Selbstverständlichkeit sein müsste: eine korrekte Arbeitszeitabrechnung (BLICK berichtete). Die Bus-Chauffeure des Unternehmens wehren sich dagegen, systematisch Gratisarbeit leisten zu müssen. Ihre Einsätze sind so eng geplant, dass sie in ihrer Arbeitszeit fast nur fahren können. Chauffeure berichten davon, dass sie in der regulären Arbeitszeit nicht dazu kommen, das Geld der Fahrgäste für die Tickets einzuzahlen. Oder: Um sicher ans Ziel zu kommen, müssen die Postauto-Chauffeure vor den Fahrten einen Sicherheitscheck durchführen – für diesen Check räumt ihnen Postauto gerade mal vier Minuten Arbeitszeit ein. «Viel zu wenig», sagt ein früherer Postauto-Mitarbeiter zu BLICK. Sven Zaugg, Pascal Tischhauser