Wie die Überwachung aufflog
CS-Plan scheiterte wegen Dorffest

Neue Enthüllungen erhöhen den Druck auf die Spitze der Bank. Zudem zeigt sich: Die Beschattung des Kadermanns flog durch einen belanglosen Zufall auf.
Publiziert: 21.12.2019 um 23:12 Uhr
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Aktualisiert: 22.12.2019 um 09:15 Uhr
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Von einem Parkplatz aus (oben links) überwachten die Privatdetektive die Villa von Iqbal Khan (Mitte). Rechts davon die Residenz von CEO Tidjane Thiam.
Foto: Thomas Meier
Thomas Schlittler

Samstag, 14. September 2019: Die Martin Stiftung, seit 126 Jahren für Menschen mit geistiger Beeinträchtigung ­engagiert, lädt zum traditionellen Herbstfest in Erlenbach ZH.

Auf dem Flyer mit der Einladung zum Basteln, Spielen, Musizieren werden die Besucher gebeten, die offiziellen Parkplätze zu benutzen. Einer davon liegt bei der Sportanlage Langacker in Herrliberg, einen Kilometer vom Festgelände entfernt.

Was niemand ahnt: Es ist ausgerechnet der Parkplatz, den Privatdetektive als Basis gewählt haben, um Iqbal Khan (43) zu beschatten. Der Topbanker war aus Sicht der Credit Suisse (CS) gefährlich geworden, weil er zur UBS wechselte – weshalb die CS die Schnüffler auf ihn angesetzt hatte.

Von jenem Parkplatz ist das Tor zu Khans Villa einsehbar – etwas weiter unten residiert Khans ehemaliger Chef, CS-CEO Tidjane Thiam (57). Für die Detektive ist der Parkplatz der perfekte Ort, um ein angemietetes «Spezialfahrzeug» zu stationieren. In ­diesem richten sie ihren Über­wachungs­posten ein, wie die «Neue Zürcher Zeitung» diese Woche ­publik machte. Dem Blatt gelang es dank detaillierter Unterlagen, die Beschattung Khans minutiös zu ­dokumentieren.

Gegenüber SonntagsBlick gibt eine anonyme Quelle an, das «Spezialfahrzeug» sei ein Kleinbus gewesen, ein anderer Informant nennt es Wohnmobil. So oder so: Mehrere Tage lang geht für die CS-Ermittler alles gut. Aus der sicheren Deckung heraus überwachen sie jeden Schritt von Khan.

Dann aber, in der Woche vor dem Herbstfest, kommt ihnen der Abwart der Sportanlage in die Quere: Er will sicherstellen, dass es für die Festbesucher genügend Parkplätze hat. Über den Vermieter des Fahrzeugs nimmt er Kontakt mit den ihm unbekannten Ermittlern auf und bittet sie nichtsahnend, umzuparkieren. Die Detektive haben keine Wahl: Am Abend des 12. Septembers ziehen sie den Wagen ab.

Detektive wollten abbrechen

Die Observation wird dadurch deutlich erschwert – ein schwerer Schlag für die Privatdetektive. Gemäss «NZZ» empfehlen sie den sofortigen Abbruch. Ohne Spezialfahrzeug sei das Risiko zu gross, entdeckt zu werden. Doch die CS will davon nichts wissen. Ihr Kommando: Weitermachen!

Die Sturheit der Auftraggeber hat fatale Folgen: Weil sich die Beschatter am Sportplatz nun stündlich mit neuen Wagen abwechseln müssen, bleiben sie nicht länger unbemerkt. Khan und seiner Frau fällt «ein anthrazitfarbener Audi» auf – am Steuer ein Mann, der ­einen Knopf im Ohr trägt.

Am 17. September, drei Tage nach dem Dorffest, fliegt die Überwachung definitiv auf. Khan stellt seine Verfolger in der Zürcher ­Innenstadt zur Rede, macht Fotos und reicht Strafanzeige wegen schwerer Drohung und Nötigung ein. Drei Detektive kommen in ­Untersuchungshaft. Wenige Tage später macht der Finanzblog Inside Paradeplatz die Affäre publik.

Ein bizarres Detail: Die Beschatter notierten in ihren Aufzeichnungen, dass sich Khan mit Leuten der Martin Stiftung traf – mit Vertretern jener Organisation, die mit ­ihrem Herbstfest un­wis­sent­lich dazu beitrug, dass die Beschattungsaffäre aufflog. Die Präsidentin der Stiftung bestätigt gegenüber SonntagsBlick die Kontakte mit Khan.

Doch die Beschattungsaffäre ist alles andere als ein Witz. Der Machtkampf der Topbanker führt zur menschlichen Tragödie: Sicherheitsexperte T. S.*, Mittelsmann zwischen CS und Detektiven, nahm sich eine Woche nach dem Auffliegen der Aktion das Leben. Ein Journalist war auf seinen Namen ge­stossen – vermutlich, weil die CS zuvor einigen Medien gesteckt hatte, wie die von ihm engagierte Privatdetektei hiess.

Khan ist kein Einzelfall

Für die oberste CS-Führung hat all dies keine Konsequenzen – zumindest vorerst. Verwaltungsratspräsident Urs Rohner (60) präsentiert am 1. Oktober, eine Woche nach dem Tod von T. S., die Untersuchungsergebnisse der Anwaltskanzlei Homburger. Fazit: Innerhalb der CS hätten nur Sicherheitschef Remo Boccali und der Leiter des operativen Geschäfts, Pierre-Olivier Bouée (beide 48), von der Überwachungsaktion gewusst und auf eigene Faust gehandelt. CEO Thiam sei in keiner Weise involviert gewesen. Er darf deshalb bleiben.

Weiter betont Rohner, dass die Beschattung Khans ein «isolierter Einzelfall» gewesen sei. Auch in der «unabhängigen Untersuchung» der Kanzlei Homburger wird festgehalten, es gebe «keine Hinweise» darauf, dass die CS weitere Mitarbeiter habe überwachen lassen.

Damit schien die Affäre erledigt – bis die «NZZ» diese Woche Beweise präsentierte, dass es schon einmal zur Beschattung eines rang­hohen CS-Mitarbeiters gekommen war. Peter Goerke (57), oberster Personalchef und Konzernleitungsmitglied, wurde vom 20. bis 22. Februar 2019 observiert.

Personalchef flog zum Autorennen

Unter anderem hielten die Detektive damals fest, dass die «Zielperson» um 06:14:15 Uhr den Zürcher Flughafen betreten habe. Medienberichten zufolge soll Goerke nach Birmingham (Grossbritannien) gereist sein, um seinem teuren Hobby nachzugehen: Autorennen.

Die dreitägige Überwachung soll 12'000 Franken gekostet haben. Vier Tage später, am 26. Februar, gibt CEO Thiam bekannt, Goerke werde die Konzernleitung verlassen und künftig als Senior Advisor innerhalb der CS arbeiten.

Wer Goerkes Beschattung in Auftrag gab, ist unklar. Die CS will morgen Montag die Ergebnisse einer weiteren Untersuchung bekannt geben. Doch diesmal wird es nicht dabei bleiben.

Am Freitagabend schaltete sich auch die Finanzmarktaufsicht (Finma) offiziell in die Angelegenheit ein. Die Behörde setzt bei der Bank ­einen unabhängigen Prüfbeauftragten ein. Er soll Fragen der Corporate Governance abklären, insbesondere in Zusammenhang mit Beschattungsaktivitäten, mit dem Informa­tionsverhalten in diesem Zusammenhang sowie der Nutzung von elektronischen Kommunikationsmitteln. Für die Herren Rohner und Thiam könnte es doch noch eng werden.

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