Zwei Jahrzehnte lang leitete der ehemalige Postauto-Chef Daniel Landolf (59) das Unternehmen mit den gelben Bussen – und hinterliess mit dem Subventionsskandal einen Scherbenhaufen. Der Millionenschaden war angerichtet, das Vertrauen verspielt, es rollten Köpfe. Nun soll Christian Plüss, der neue Postauto-Chef, aufräumen. Der 56-Jährige empfängt BLICK am Hauptsitz in Bern und erklärt erstmals seine Strategie.
BLICK: HerrPlüss, Sie führen Postauto seit knapp vier Monaten. Wie ist Ihr erster Eindruck?
Christian Plüss: Zwiespältig. Einerseits habe ich ein operativ gut funktionierendes Unternehmen vorgefunden. Andererseits spürte ich grosse Verunsicherung, wie es nach dem Subventionsskandal weitergehen soll. Die Belegschaft war konsterniert, die Öffentlichkeit desillusioniert. Es brauchte einen Neustart.
Was haben Sie bis jetzt erreicht?
Die komplette Geschäftsleitung bei Postauto wurde ausgewechselt. Wir haben 120 interne und externe Kader rekrutiert, die Postauto wieder zu einem Unternehmen mit gutem Leumund machen wollen. Und wir haben unsere Standorte besucht, um herauszufinden, wo der Schuh drückt. Das Wichtigste: Wir haben uns entschuldigt.
Wie ist die Stimmung in den Regionen?
Ich spürte einen enormen Frust – vor allem bei den Chauffeuren. Während Postauto unrechtmässig Gewinne einfuhr, feilschte man mit den Chauffeuren um Minuten. Das können sie niemandem plausibel erklären. Der Unmut vieler Leute war mit Händen greifbar.
Wie ist die Rückmeldung aus den Kantonen?
Es herrscht derzeit ein gesundes Misstrauen zwischen den Kantonen und Postauto. Materiell haben wir den Schaden zwar getilgt und 200 Millionen Franken zurückgezahlt. Was fehlt, ist das Vertrauen. Wir arbeiten hart daran, dieses zurückzugewinnen, und sind auf gutem Weg.
Wie stellen Sie sicher, dass es nicht wieder einen Skandal gibt?
Wir weisen ab sofort die Zahlen nachvollziehbar und transparent aus. Und wir haben die Führung des Unternehmens neu ausgerichtet. Früher war eine einzelne Person zuständig für einen Kanton. Heute sind die Aufgaben auf mehrere Führungskräfte verteilt.
Haben die Chauffeure wieder genug Zeit für den Toilettengang? Oder müssen sie ihr Geschäft noch immer in Büschen verrichten?
Das war absurd! Wenn jemand keine Zeit für seine persönlichen Geschäfte hat, dann verstehe ich die Welt nicht mehr. Vielleicht kann man damit das unternehmerische Ergebnis kurzfristig aufbessern, das ist aber eine schlechte Basis der Zusammenarbeit. Ich will den Chauffeuren ins Gesicht schauen können. Insgesamt zahlen wir anständige Löhne. Bei den Zulagen müssen wir über die Bücher.
Welche Mechanismen haben versagt?
Es herrschte zu wenig Transparenz. Ziel ist es, diese wiederherzustellen. Unser Kerngeschäft, die Buslinien, wird von der öffentlichen Hand subventioniert. Die Kantone und der Bund haben ein Anrecht darauf zu wissen, wofür wir das Geld verwenden. Im Frühling folgt die erste Nagelprobe. Wir werden den Kantonen unsere Leistungen für die kommenden zwei Jahre neu offerieren.
Was passiert mit dem Frankreich-Geschäft? Gehört es wirklich zum Auftrag von Postauto, im Ausland Buslinien zu betreiben?
Im grenzüberschreitenden Verkehr ergibt ein Auslandsengagement durchaus Sinn. Wir reden vom Südtirol, von Liechtenstein oder dem Tessin. Bleibt die Frage, ob es eine separate Gesellschaft dafür braucht. Dies ist wohl in den meisten Fällen nicht zwingend. Entschieden ist noch nichts. Wir prüfen derzeit einen Verkauf von Car Postal France und führen Gespräche mit Interessenten. Bei Liechtenstein verhält sich anders: Obwohl das Geschäft kommerziell verbessert werden muss, wollen wir an den Ausschreibungen für den ab 2021 laufenden Auftrag teilnehmen.
Wie weit ist die Reorganisation gediehen?
Aus der Holdingstruktur mit fünf Tochtergesellschaften wird wieder in ein Unternehmen, die Postauto AG. Liechtenstein bleibt eine eigene Gesellschaft, aus rechtlichen Gründen. Ebenso Frankreich und Publibike.
Das Transportmonopol von Postauto wackelt. Der Kanton Jura hat beschlossen, die Postauto-Linien künftig öffentlich auszuschreiben. Weitere Kantone und Gemeinden könnten folgen.
Tatsächlich hatten wir Bedenken, dass eine Ausschreibungswelle über uns hineinbrechen könnte. Der Jura und das Wallis haben sich allerdings schon vor der Krise dafür entschieden, einzelne Linien auszuschreiben. Der Kanton Bern macht dies schon länger. Wir werden mit Sicherheit an diesen Ausschreibungen teilnehmen. Wir sehen aber keine flächendeckenden Ausschreibungswellen.
Christian Plüss (56) ist seit November 2018 Chef der Postauto Schweiz AG. Er übernahm die Führung von Thomas Baur, der das Unternehmen seit Februar 2018 interimistisch leitete. Plüss ist promovierter Geophysiker und leitete von 2011 bis 2014 Meteo Schweiz, bevor er zum Stromkonzern Alpiq wechselte, wo er die Geschäftseinheit Hydro Power Generation leitete. Zuvor war er CEO von Erdgas Ostschweiz, und bei den SBB leitete er die Planungsabteilung für den nationalen und grenzüberschreitenden Regionalverkehr.
Christian Plüss (56) ist seit November 2018 Chef der Postauto Schweiz AG. Er übernahm die Führung von Thomas Baur, der das Unternehmen seit Februar 2018 interimistisch leitete. Plüss ist promovierter Geophysiker und leitete von 2011 bis 2014 Meteo Schweiz, bevor er zum Stromkonzern Alpiq wechselte, wo er die Geschäftseinheit Hydro Power Generation leitete. Zuvor war er CEO von Erdgas Ostschweiz, und bei den SBB leitete er die Planungsabteilung für den nationalen und grenzüberschreitenden Regionalverkehr.