«Nur Schwererkrankte scheinen wirklich immun»
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Wettlauf um Corona-Tests
«Nur Schwererkrankte scheinen wirklich immun»

Schnelltests florieren. Doch wer eine Corona-Erkrankung hinter sich hat, ist nicht immun. Neue Studien zeigen: Das trifft wohl nur auf Schwererkrankte zu.
Publiziert: 23.05.2020 um 23:48 Uhr
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Aktualisiert: 08.07.2020 um 10:44 Uhr
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Um trotz Corona wieder ein normales Leben zu führen, brauchen wir Gewissheit: Sind wir gefährdet? Oder ansteckend? Schnelltests versprechen Antworten. Doch viele sind unzuverlässig.
Foto: imago stock&people
Danny Schlumpf

Der Lockdown ist vorbei. Das heisst: Zurück an den Arbeitsplatz, am Feierabend in die Beiz und am Wochenende mit den Kindern zum Grosi!

Bloss: Das Coronavirus ist nicht weg. Um trotzdem wieder ein normales Leben zu führen, brauchen wir Gewissheit: Sind wir gefährdet? Oder ansteckend? Haben wir die Krankheit vielleicht schon ­hinter uns, ohne es bemerkt zu ­haben?

Schnelltests versprechen Antworten. Und die Auswahl ist gross. Vom Gesundheitsberater über den Discounter bis zum Erotikunter­nehmen – aus allen erdenklichen Ecken kommen die Angebote: Antikörper-Tests, die anzeigen, ob jemand in der Vergangenheit eine ­Infektion durchgemacht und Antikörper gegen das Virus gebildet hat. Für die Anbieter ein lukratives Geschäft – für Gewissheit suchende Kunden eine Falle. Denn die meisten Schnelltests sind unzuverlässig und deshalb gefährlich.

Langsam, aber zuverlässig

Doch seit Anfang Mai gibt es auch qualitativ hochstehende ­Lösungen. Der neue Antikörper-Test des Pharmariesen Roche ­erreicht Spitzenwerte bei der Zuverlässigkeit. Wirklich schnell ist er allerdings nicht: Er kann nur in Labors ausgewertet werden – mit Auto­maten aus dem Roche-Haus zum Stückpreis von zwei Millionen Franken. Mit der Waadtländer ­Firma Quotient gab am letzten Mittwoch ein weiteres Schweizer Unternehmen bekannt, ins Testgeschäft einzusteigen. Aber auch der Quotient-Test funktioniert nur auf firmeneigenen Apparaten.

Jetzt kündigt das Start-up Convirm DX aus Rorschacherberg SG einen neuen Antikörper-Test für die Schweiz an. «Seine Zuverlässigkeit bewegt sich auf dem Niveau von Roche», sagt CEO Christoph Huser (52). «Er benötigt keine weiteren Apparate. Die Durchführung dauert weniger als drei Minuten.»

Kanadischer Test für Europa

Der Test wird vom kanadischen Medtech-Unternehmen Medmira in Halifax hergestellt. Die Firma entwickelt seit 20 Jahren Schnelltests für HIV, Syphilis und Hepa­titis. Nun hat sie für ihren neuen Sars-CoV-2-Test die Zertifizierung für den europäischen Markt er­halten. In den nächsten Tagen erwartet sie die Autorisierung durch die amerikanische Food and Drug Administration (FDA). Das Convirm-Team bringt das Produkt nach Europa und in die Schweiz.

Der Test ist mobil und kann vor Ort eingesetzt werden. «Er siebt im Feld aus, dann folgt die Behandlung des Einzelfalls», sagt Convirm-CEO Huser. «Wir können schnell grosse Gruppen auf Antikörper ­testen und eine Triage machen: in Asylunterkünften, grossen Betrieben, im Pflege- und Spitalbereich, in der Feuerwehr oder in der ­Armee.» Huser ist überzeugt: «Solche Massnahmen sind zentral, um die Ausbreitung der Pandemie einschätzen und kontrollieren zu ­können.» Wie für andere Tests ­gelte auch für diesen: «Er sollte von Fachleuten durchgeführt ­werden.»

Test beweisen Immunität nicht

Und wenn der Test eine über­standene Infektion anzeigt? Sind wir dann immun? «Der Antikörper-Test zeigt, ob man Kontakt mit dem Virus hatte», sagt der Epidemio­loge Marcel Tanner (67) vom Schweizer Tropen- und Public-Health-Institut Basel. «Er zeigt nicht, ob man immun gegen eine erneute An­steckung ist.» Dazu muss überprüft werden, ob die Antikörper das ­Virus auch neutralisieren können. Jetzt liegen mehrere internatio­nale Studien vor, die zeigen, bei welchen Patienten das der Fall ist. Das Ergebnis: «Nur Schwererkrankte scheinen wirklich immun», so Tanner. Wer also eine Erkrankung mit leichten oder gar keinen Symp­tomen hinter sich hat, ist vor einer erneuten Ansteckung nicht geschützt.

Das ändert aber nichts an der ­Bedeutung des Testens. «Es wird keine flächendeckende zweite Welle geben», sagt Tanner. «Aber Übertragungsnester wird es immer wieder geben. Die müssen wir erwischen – mit Contact Tracing, Testen und entsprechender Quarantäne.»

Seit dem 11. Mai ist das Contact Tracing in allen Kantonen wieder aktiviert. Der Bund ruft alle Personen mit Symptomen auf, sich testen zu lassen. Doch an diesem Vorgehen gibt es Kritik. So wirft der Zürcher Wirtschaftsprofessor Ernst Fehr (63) dem Bundesrat amateurhaftes Verhalten vor. Es brauche repräsen­tative Zufallsstichproben in der Bevölkerung, fordert er im Interview mit SonntagsBlick. «Der Vorschlag ist sehr gut», sagt Andreas Cerny, (64), Virologe am Corona-Referenzspital Moncucco in Lugano TI. Auf regionaler Ebene werden solche Stichproben bereits durchgeführt. Eine Studie im Kanton Tessin mit 4700 Beschäftigten im Gesundheitswesen lässt aufhorchen: Fast zehn Prozent der Getesteten hatten demnach Kontakt mit dem Virus.

Verzicht auf Test wegen hoher Franchisen

Wer soll die Tests bezahlen? Ende April entschied der Bundesrat: Die Kantone tragen die Kosten für Tests, die aufgrund von Symptomen durchgeführt werden. Für Patienten, die sich im Spital testen und behandeln lassen, bezahlen die Krankenkassen. Ist die Franchise nicht ausgeschöpft, wird der Patient zur Kasse gebeten. Damit ist SP-Nationalrätin Barbara Gysi (56) nicht einverstanden: «Viele Leute haben hohe Franchisen, weil die Prämien zu hoch sind. Wenn sie sich deshalb nicht testen lassen, kann das schlimme Folgen haben.» Für die Gesundheitspolitikerin ist klar: «Sämtliche Testkosten müssen von der öffentlichen Hand übernommen werden.»

Auch der baselstädtische Regierungsrat Lukas Engelberger (45) übt Kritik: «Wir riskieren damit, dass sich poten­ziell infizierte Personen aus Kostengründen vom Testen zurückhalten.» Anders als Gysi will der neue Präsident der kantonalen Gesundheitsdirektoren die Kosten allerdings komplett den Krankenkassen übertragen – mit ­einer Franchisenbefreiung zugunsten der Versicherten.

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