Der Lockdown ist vorbei. Das heisst: Zurück an den Arbeitsplatz, am Feierabend in die Beiz und am Wochenende mit den Kindern zum Grosi!
Bloss: Das Coronavirus ist nicht weg. Um trotzdem wieder ein normales Leben zu führen, brauchen wir Gewissheit: Sind wir gefährdet? Oder ansteckend? Haben wir die Krankheit vielleicht schon hinter uns, ohne es bemerkt zu haben?
Schnelltests versprechen Antworten. Und die Auswahl ist gross. Vom Gesundheitsberater über den Discounter bis zum Erotikunternehmen – aus allen erdenklichen Ecken kommen die Angebote: Antikörper-Tests, die anzeigen, ob jemand in der Vergangenheit eine Infektion durchgemacht und Antikörper gegen das Virus gebildet hat. Für die Anbieter ein lukratives Geschäft – für Gewissheit suchende Kunden eine Falle. Denn die meisten Schnelltests sind unzuverlässig und deshalb gefährlich.
Langsam, aber zuverlässig
Doch seit Anfang Mai gibt es auch qualitativ hochstehende Lösungen. Der neue Antikörper-Test des Pharmariesen Roche erreicht Spitzenwerte bei der Zuverlässigkeit. Wirklich schnell ist er allerdings nicht: Er kann nur in Labors ausgewertet werden – mit Automaten aus dem Roche-Haus zum Stückpreis von zwei Millionen Franken. Mit der Waadtländer Firma Quotient gab am letzten Mittwoch ein weiteres Schweizer Unternehmen bekannt, ins Testgeschäft einzusteigen. Aber auch der Quotient-Test funktioniert nur auf firmeneigenen Apparaten.
Jetzt kündigt das Start-up Convirm DX aus Rorschacherberg SG einen neuen Antikörper-Test für die Schweiz an. «Seine Zuverlässigkeit bewegt sich auf dem Niveau von Roche», sagt CEO Christoph Huser (52). «Er benötigt keine weiteren Apparate. Die Durchführung dauert weniger als drei Minuten.»
Kanadischer Test für Europa
Der Test wird vom kanadischen Medtech-Unternehmen Medmira in Halifax hergestellt. Die Firma entwickelt seit 20 Jahren Schnelltests für HIV, Syphilis und Hepatitis. Nun hat sie für ihren neuen Sars-CoV-2-Test die Zertifizierung für den europäischen Markt erhalten. In den nächsten Tagen erwartet sie die Autorisierung durch die amerikanische Food and Drug Administration (FDA). Das Convirm-Team bringt das Produkt nach Europa und in die Schweiz.
Der Test ist mobil und kann vor Ort eingesetzt werden. «Er siebt im Feld aus, dann folgt die Behandlung des Einzelfalls», sagt Convirm-CEO Huser. «Wir können schnell grosse Gruppen auf Antikörper testen und eine Triage machen: in Asylunterkünften, grossen Betrieben, im Pflege- und Spitalbereich, in der Feuerwehr oder in der Armee.» Huser ist überzeugt: «Solche Massnahmen sind zentral, um die Ausbreitung der Pandemie einschätzen und kontrollieren zu können.» Wie für andere Tests gelte auch für diesen: «Er sollte von Fachleuten durchgeführt werden.»
Test beweisen Immunität nicht
Und wenn der Test eine überstandene Infektion anzeigt? Sind wir dann immun? «Der Antikörper-Test zeigt, ob man Kontakt mit dem Virus hatte», sagt der Epidemiologe Marcel Tanner (67) vom Schweizer Tropen- und Public-Health-Institut Basel. «Er zeigt nicht, ob man immun gegen eine erneute Ansteckung ist.» Dazu muss überprüft werden, ob die Antikörper das Virus auch neutralisieren können. Jetzt liegen mehrere internationale Studien vor, die zeigen, bei welchen Patienten das der Fall ist. Das Ergebnis: «Nur Schwererkrankte scheinen wirklich immun», so Tanner. Wer also eine Erkrankung mit leichten oder gar keinen Symptomen hinter sich hat, ist vor einer erneuten Ansteckung nicht geschützt.
Das ändert aber nichts an der Bedeutung des Testens. «Es wird keine flächendeckende zweite Welle geben», sagt Tanner. «Aber Übertragungsnester wird es immer wieder geben. Die müssen wir erwischen – mit Contact Tracing, Testen und entsprechender Quarantäne.»
Seit dem 11. Mai ist das Contact Tracing in allen Kantonen wieder aktiviert. Der Bund ruft alle Personen mit Symptomen auf, sich testen zu lassen. Doch an diesem Vorgehen gibt es Kritik. So wirft der Zürcher Wirtschaftsprofessor Ernst Fehr (63) dem Bundesrat amateurhaftes Verhalten vor. Es brauche repräsentative Zufallsstichproben in der Bevölkerung, fordert er im Interview mit SonntagsBlick. «Der Vorschlag ist sehr gut», sagt Andreas Cerny, (64), Virologe am Corona-Referenzspital Moncucco in Lugano TI. Auf regionaler Ebene werden solche Stichproben bereits durchgeführt. Eine Studie im Kanton Tessin mit 4700 Beschäftigten im Gesundheitswesen lässt aufhorchen: Fast zehn Prozent der Getesteten hatten demnach Kontakt mit dem Virus.
Verzicht auf Test wegen hoher Franchisen
Wer soll die Tests bezahlen? Ende April entschied der Bundesrat: Die Kantone tragen die Kosten für Tests, die aufgrund von Symptomen durchgeführt werden. Für Patienten, die sich im Spital testen und behandeln lassen, bezahlen die Krankenkassen. Ist die Franchise nicht ausgeschöpft, wird der Patient zur Kasse gebeten. Damit ist SP-Nationalrätin Barbara Gysi (56) nicht einverstanden: «Viele Leute haben hohe Franchisen, weil die Prämien zu hoch sind. Wenn sie sich deshalb nicht testen lassen, kann das schlimme Folgen haben.» Für die Gesundheitspolitikerin ist klar: «Sämtliche Testkosten müssen von der öffentlichen Hand übernommen werden.»
Auch der baselstädtische Regierungsrat Lukas Engelberger (45) übt Kritik: «Wir riskieren damit, dass sich potenziell infizierte Personen aus Kostengründen vom Testen zurückhalten.» Anders als Gysi will der neue Präsident der kantonalen Gesundheitsdirektoren die Kosten allerdings komplett den Krankenkassen übertragen – mit einer Franchisenbefreiung zugunsten der Versicherten.