Werden Aktionäre ungleich behandelt?
Der Börsengang von Sunrise steht in der Kritik

Sunrise ist Mitte November zurück an der Börse. Doch die Einführung von Aktien mit unterschiedlichen Stimmgewichten sorgt für Kritik und könnte die Kursentwicklung belasten.
Publiziert: 21.10.2024 um 12:37 Uhr
Sunrise ist hinter Swisscom das zweitgrösste Telekommunikationsunternehmen in der Schweiz. Eigentümer ist der britisch-amerikanische Telekommunikations- und Kabelnetzbetreiber Liberty Global.
Foto: Keystone
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Holger Alich
Handelszeitung

Das Datum für das Comeback steht: Am 15. November sollen die Aktien des Telekom-Anbieters Sunrise wieder kotiert werden, nachdem der US-Medienkonzern Liberty Global die Schweizer Nummer zwei 2020 von der Börse genommen hatte. Laut Schätzungen könnte Sunrise bei seinem Börsencomeback auf einen Marktwert von bis zu 4,5 Milliarden Franken kommen und damit in der Liga von Sulzer oder Clariant spielen.

Doch an dem Börsenprojekt wird Kritik laut. Denn Liberty will bei Sunrise Aktien mit verschiedenen Stimmgewichten einführen. Das könnte sich als Hypothek für die Kursentwicklung erweisen. 

B-Aktien mit zehnfachem Stimmengewicht

Sunrise gehört derzeit Liberty Global zu 100 Prozent. Der US-Riese, der vom Medienunternehmer John Malone kontrolliert wird, will den Swisscom-Herausforderer per Spin-off vollständig abspalten. Dabei bekommen die Liberty-Aktionäre die Sunrise-Aktien zugeteilt.

Artikel aus der «Handelszeitung»

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Ähnlich hatte Novartis zuvor die Augenheiltochter Alcon und den Generikaspezialisten Sandoz als eigene Firmen vom Konzern abgespalten und so mit Erfolg an die Börse gebracht. 

Doch beim Sunrise-Börsengang gibt es einen wichtigen Unterschied, der Investorinnen übel aufstösst: Liberty führt bei Sunrise zwei Klassen von Aktien ein, die unterschiedliche Stimmgewichte haben: Die B-Aktien haben zehnmal mehr Stimmrechte als die A-Aktien. Und nur die A-Aktien werden kotiert. 

Ein Kniff sichert Malone die Macht bei Sunrise

Eigentlich sind solche Aktien mit Mehrfachstimmrechten in der Schweiz unzulässig. Deshalb greift Malone zu einem Kniff: Beide Aktien haben unterschiedliche Nennwerte.

Konkret haben die A-Aktien bei Sunrise einen Nennwert von 10 Rappen und eine Stimme. Die B-Aktien haben einen Nennwert von nur 1 Rappen – aber ebenfalls eine Stimme. Auf diese Weise haben die Eigner der B-Aktien für den gleichen Nennwert zehnmal so viel Stimmen.

Was soll das? Dank der Einführung dieser B-Aktien behalten Malone und sein langjähriger CEO Michael Fries, der Verwaltungsratspräsident von Sunrise werden soll, die Kontrolle bei Sunrise. Nach Angaben der Übernahmekommission wird das Lager aus Malone und Fries auch nach der Abspaltung noch zusammen rund 30,3 Prozent der Stimmrechte bei Sunrise halten. 

Denn beide haben auch dank solcher Mehrfachstimmrechte die Kontrolle bei Liberty Global – und bekommen so entsprechend bei der Abspaltung von Sunrise auch die Aktien mit Mehrfachstimmrechten. Beim US-Riesen, der unter anderem die Formel 1 vermarktet, hält das Lager aus Malone und Fries gemeinsam 40,5 Prozent der Stimmrechte, obwohl ihr Anteil am Kapital nur rund 10 Prozent beträgt.

Investoren kritisieren die Ungleichbehandlung

Saubere Unternehmensführung sieht anders aus. «Im Sinne von ‹Good corporate governance› ist immer das Prinzip ‹One share, one vote› vorzuziehen», sagt Barbara Heller, Managing Partner beim Beratungsunternehmen Swipra, das auf Corporate-Governance-Fragen spezialisiert ist. «Es ist offensichtlich, dass mit der Einführung von Aktien mit zwei Stimmrechtskategorien eine Stimmrechtsmehrheit oder zumindest eine qualifizierte Minderheit durch die bisherigen Eigentümer gesichert werden soll.» 

Kritik an der Einführung von Aktien mit unterschiedlichem Stimmgewicht kommt auch von internationalen Grossinvestoren. «Wir fordern die Einhaltung des ‹One share, one vote›-Prinzips und sprechen uns grundsätzlich gegen Mehrfachstimmrechte oder Vorzugsaktien aus», sagt Vanda Rothacker, Governance-Expertin und Senior-ESG-Analystin beim deutschen Fondsanbieter Union Investment, der umgerechnet knapp 500 Milliarden Franken an Kundengeldern verwaltet. Ähnlich äussert sich Swisscanto, die Fondstochter der Zürcher Kantonalbank.

«Dass es zwei Aktienklassen gibt, hat historische Gründe», erklärt ein Sunrise-Sprecher. Der Mutterkonzern Liberty habe sogar drei verschiedene Aktienklassen: Aktien mit zehn Stimmen, Aktien mit einer Stimme und solche mit keiner Stimme. Beim Spin-off von Sunrise stelle daher die Reduzierung auf nur zwei Aktiengattungen eine Vereinfachung dar.

Das wackelige Argument des Ankeraktionärs

Zudem führe die Beschränkung auf nur zwei Aktiengattungen zu einer Verwässerung der Grossaktionäre. So bekommen John Malone und Mike Fries nur 30 Prozent der Stimmrechte, statt 40 Prozent wie bei Liberty. «Für Sunrise bietet diese Struktur den Vorteil, dass die Kontinuität mit klar positionierten Ankeraktionärinnen gewährleistet ist», so der Sunrise-Sprecher.

Das Argument des Ankeraktionärs, der Stabilität bringen würde, ist eine beliebte Rechtfertigung für die Ungleichbehandlung der Aktionäre und Aktionärinnen. Doch diese Argumentationslinie hat durch den Sika-Fall einen herben Rückschlag erlebt.

2014 wollte die Erbenfamilie Burkard ihr Aktienpaket am Bauchemiekonzern Sika für 2,75 Milliarden Franken an den französischen Konzern Saint-Gobain verkaufen. Die Familie hielt nur 16 Prozent des Kapitals, doch ihre vinkulierten Namensaktien hatten ein sechsmal höheres Stimmrecht, daher kontrollierte die Familie 52 Prozent der Stimmen.

Da das Familienunternehmen zudem eine Opting-out-Klausel in den Statuten hatte, sollten die Minderheitsaktionäre leer ausgehen und von Saint-Gobain kein Gebot bekommen. Ein epischer Streit entbrannte, der 2018 mit einer Einigung endete und Sikas Unabhängigkeit bewahrte. Seit dieser Episode hat auch Sika die Einheitsaktie.

Im Falle von Sunrise gilt nur eine partielle Opting-out-Klausel. Das Opting-out, also die Befreiung von der Pflicht eines Angebots an die Minderheitsaktionäre, gilt lediglich für den Fall, dass sich Malone und Fries Aktien hin und her schieben oder sie ihren Anteil an Sunrise erhöhen, es gilt aber nicht in Bezug auf Dritte. Sprich, wenn die Ankeraktionäre ihr Paket zum Beispiel an die Deutsche Telekom verkaufen wollten, müssten die Deutschen ein Übernahmeangebot an alle Sunrise-Aktionäre und -Aktionärinnen machen.

Dennoch macht die Einführung von Mehrfachaktien Sunrise für Investoren unattraktiver. «Die vorgesehene Kapitalstruktur dürfte neben einem bereits eingeschränkten Free Float das mögliche Universum an institutionellen Aktionären mit hohen Ansprüchen an ESG einschränken und die Governance des Unternehmens im Interesse der Grossaktionäre auch in Zukunft prägen», erklärt Expertin Heller. Sie warnt: «Dies kann den Wert des Unternehmens negativ beeinflussen.» 

Der Partizipationsschein ist auf dem Rückzug

Die Ungleichbehandlung von Aktionären und Aktionärinnen mit zwei unterschiedlichen Aktiengattungen gibt es in der Schweiz aber auch an anderer Stelle. Die prominentesten Beispiele sind Lindt & Sprüngli und der Lifthersteller Schindler, die beide stimmrechtslose Partizipationsscheine an der Börse kotiert haben. Auch der Pharmakonzern Roche hat stimmrechtslose Genussscheine emittiert, die knapp 87 Prozent des Kapitals ausmachen.

Die stimmrechtsberechtigten Inhaberaktien machen nur 13 Prozent des Kapitals bei Roche aus. Und die gehören zu über zwei Dritteln dem Pool der Erbenfamilien Hoffmann und Oeri, die so ihre Macht bei Roche zementiert haben.

Solche stimmrechtslosen Papiere haben familiengeführte Firmen viele Jahre als bequemen Weg angesehen, frisches Kapital an der Börse aufzunehmen und gleichzeitig die Kontrolle zu behalten. Den Anfang machte 1963 die Winterthurer Firma Sulzer, welche die ersten stimmrechtslosen Partizipationsscheine ausgab. 

Lücke im Schweizer Corporate-Governance-Kodex

Doch die Ungleichbehandlung der Aktionärinnen und Aktionäre kommt je länger, desto stärker unter Druck. Und ist auch international zunehmend verpönt. Auch der grösste Vermögensverwalter der Welt, Blackrock, setzt sich für die Gleichbehandlung aller Aktionäre und Aktionärinnen ein und kritisiert Mehrfachstimmrechte.

Deshalb hat auch Sulzer schon vor Jahren auf Namensaktien umgestellt. Dennoch hat das Prinzip «One share, one vote» bis heute nicht Einzug in den «Swiss Code of Best Practice for Corporate Governance» gehalten. 

Einer der Hauptautoren des Werkes ist Karl Hofstetter, Titularprofessor an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Uni Zürich. Er war langjähriger Chefjurist bei Schindler und auch dort Verwaltungsrat – einem der wenigen Schweizer Konzerne, bei dem es noch stimmrechtslose Partizipationsscheine gibt. 

Auf die Frage, warum das Prinzip «One share, one vote» keinen Einzug in die Schweizer Leitlinien für gute Unternehmensführung gehalten hat, schreibt Hofstetter per Mail: «Ich empfehle Ihnen mein neuestes Buch, das sich im Kapitel ‹Kontrollaktionäre› ausgiebig mit der Thematik befasst.»

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