Krise, Restrukturierung, Job weg. Das hatte Monika Seiler* (51) schon einige Male erlebt. Immer wieder fand die Controllerin eine Stelle, manchmal früher, manchmal später. «Einmal war ich neun Monate ohne Arbeit», sagt sie. «Bei Kaderfunktionen ist das nicht ungewöhnlich.»
Doch diesmal ist alles anders. Seiler bleiben noch vier Wochen, dann ist sie ausgesteuert. 120 Bewerbungen verschickte sie in den letzten zwei Jahren. Dreimal wurde sie zu einem Gespräch eingeladen. Seiler: «Ab 45 ist man für die meisten Personalabteilungen nur noch Luft.»
Bei Urs Scherrer* (58) – Familienvater, drei Kinder, zwei Master-Abschlüsse – waren es sogar mehr als 200 Bewerbungen. «Sicher, einige habe ich nur geschrieben, weil es das RAV verlangte», sagt er. «Doch bei zwei Dritteln steckte ich mein ganzes Herzblut rein.» Genützt hat es wenig. Sechsmal durfte er sich vorstellen.
«Ab 50 kannst du noch so gute Qualifikationen haben», sagt Scherrer. «Bei den regulär ausgeschriebenen Stellen hast du schlechte Karten.»
Das tönt wenig ermutigend. Denn die Zeichen am Arbeitsmarkt stehen auf Sturm, negative Meldungen häufen sich. Erst am Donnerstag folgte die letzte Hiobsbotschaft: Der Ostschweizer Industriekonzern AFG macht drei Schweizer Werke dicht und verlagert die Fensterproduktion nach Osteuropa. 400 Jobs verschwinden.
Noch steht die Arbeitslosigkeit bei 3,1 Prozent. Das scheint wenig spektakulär. «Doch die Zahlen täuschen», sagt Daniel Lampart (47), Chefökonom des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes (SGB). «Sie sind nur so tief, weil es im Sommer immer mehr Arbeit hat.» Lampart rechnet bis Ende Jahr mit einem Anstieg der Arbeitslosigkeit gegen vier Prozent. Rund 40'000 Menschen wären dann zusätzlich ohne Job.
Valentin Vogt (54), als Arbeitgeberpräsident sonst meist Gegenspieler Lamparts, teilt für einmal dessen Einschätzung. «Was wir heute erleben, ist kein ‹Frankenschöckli›, sondern ein ausgewachsener Frankenschock», sagt er. Nach seiner Prognose wird die Arbeitslosigkeit Ende Jahr zwischen 3,5 und vier Prozent liegen.
Welche Jobs sind gefährdet? In einer Umfrage der ETH-Konjunkturforschungsstelle KOF meldete knapp ein Fünftel der Unternehmen, dass sie im zweiten Halbjahr einen Stellenabbau planen. «Besonders verbreitet sind Abbaupläne in der Industrie, dem Gastgewerbe und im Handel», so KOF-Ökonom Klaus Abberger (47).
In einzelnen Branchen ist die Krise schon da. Etwa in der Uhrenindustrie, wie die Juli-Statistik des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) zeigt. Kamen die Uhrmacher noch vor kurzem kaum nach mit Produzieren, sind heute acht Prozent von ihnen ohne Job – das ist Schweizer Rekord. Im Gastgewerbe beträgt die Arbeitslosenquote 7,8 Prozent. Auch in der Metall- und Elektroindustrie liegt sie über dem Durchschnitt.
Die Situation dürfte sich bald verschärfen, glaubt KOF-Ökonom Abberger: «Viele Industrieunternehmen haben auf Kosten der Erträge die Preise reduziert.» Ewig könnten sie die Billig-Strategie nicht durchhalten. «Bleibt der Franken so stark wie im ersten Halbjahr, sind sie zu Verlagerungen und Stellenabbau gezwungen», sagt Abberger.
Weitgehend krisenresistent sind dagegen Jobs im Bau. «Handwerk hat einen goldenen Boden», sagt Manpower-Chef Patrick Maier (43). Auch wer im Gesundheits- und Sozialwesen tätig ist, hat wenig zu befürchten. Der Staat gehört zu den wichtigsten Arbeitsplatzschaffern des Landes.
Für Leute über 45, die ihre Karriere in der Privatwirtschaft verbrachten, ist dies ein schwacher Trost. Dass es für sie schwieriger ist, eine neue Stelle zu finden, anerkennt auch Arbeitgeberpräsident Vogt. «Sie müssen im Durchschnitt deutlich länger warten und brauchen mehr Geduld», sagt er.
Vogt betätigt sich deshalb nach Feierabend selber als Stellenvermittler. Er coacht ältere Arbeitslose, gibt ihnen Tipps, lässt seine Beziehungen spielen, öffnet Türen zu Firmen. Auch Urs Scherrer gehörte zu seinen Schützlingen.
Dank Vogts Vermittlung erhielt er sogar ein Stellenangebot. Gleichzeitig flatterten ihm noch weitere Angebote ins Haus. Nach langer Durststrecke hatte er plötzlich eine Glückssträhne. «Am Schluss konnte ich zwischen drei Angeboten auswählen», sagt Scherrer.
«Nie aufgeben, einfach nie aufgeben, egal, was kommt», lautet seine Erkenntnis nach anderthalb Jahren Arbeitslosigkeit. Das will er allen zurufen, die sich in derselben Situation befinden. Auch wenn er weiss: «Heute ist die Lage noch schwieriger als in den letzten Jahren.»
Monika Seiler hat aus den Absagen eine andere Lehre gezogen. Sie hat sich selbständig gemacht. Die Wochen bis zur Aussteuerung nutzt sie, um Kunden zu gewinnen. Denn leben kann sie von ihrem eigenen Geschäft noch lange nicht.