Vorstellungskraft, und zwar enorm viel, benötigte, wer in Andermatt vor 15 Jahren eine schmucke Ferienwohnung kaufen wollte. Damals lag das Dorf im Dämmerschlaf. Die Bewohnerinnen und Bewohner wanderten ab. Eine Perspektive für Job und Zukunft fehlte. Heute ist Andermatt nicht wiederzuerkennen. Im Dorfteil Reuss, gleich nach der Ortseinfahrt von Norden her, wurde ein Ferienwohnungsdorf hochgezogen, mit bislang 750 neuen Wohnungen, dazu Hotels, eine Konzerthalle, diverse Restaurants, Bars und Läden, Spas und Fitnessräume.
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Wer damals eine Ferienwohnung kaufte, kann sich heute freuen: Binnen zehn Jahren sind die Preise hier um 55 Prozent gestiegen. Das ist schweizerweiter Rekord, was Ferienwohnungen angeht. In die gleiche Kategorie fällt lediglich noch Engelberg, mit einer Steigerung von 52 Prozent. Auch in anderen Touristenorten boomten die Verkäufe von Zweitwohnungen. Das zeigt eine exklusive Auswertung des Immobilienspezialisten Iazi, der für die «Handelszeitung» die Handänderungen aller Käufe und Verkäufe von Ferienwohnungen bewertet hat.
Besonders ausgeprägt war das Preiswachstum in den letzten drei Jahren. Über einen längeren Zeitraum hingegen dämpften Preisrückschläge die Aufwärtsbewegung. In Hasliberg etwa, Adelboden oder Samnaun haben die Preise über zehn Jahre hinweg ungefähr gleich stark zugelegt wie während drei Jahren. Der gesamte Anstieg geht also auf den jüngsten Preisschub zurück.
«Grund dafür ist das Überangebot zwischen 2012 und 2020», sagt Donato Scognamiglio, langjähriger Teilhaber und Verwaltungsrat von Iazi. Dieses Überangebot war eine Reaktion auf die Zweitwohnungsinitiative 2012. Gegen den Willen von Bundesrat und den bürgerlichen Parteien wurde diese am 11. März 2012 hauchdünn mit 50,6 Prozent angenommen. Nach einer Übergangsfrist von drei Jahren trat die Regelung in Kraft, den Anteil an Zweitwohnungen in Gemeinden auf 20 Prozent zu beschränken. «Bis die Regelung eingeführt wurde, fand ein regelrechter Bauboom statt», sagt Scognamiglio. Jeder versuchte, sein Bauprojekt noch auf die Schnelle zu realisieren. «Fünfmal so viele Baugesuche wie in regulären Zeiten wurden damals eingereicht.»
Covid verdreifachte die Nachfrage
Das Überangebot führte zu einer Abwärts-Preisspirale. Diese wurde jedoch durch Covid gestoppt. Ferienwohnungen waren auf einmal wieder attraktiv. «Die Preisanstiege während dieser Zeit waren exorbitant», sagt Sascha Ginesta von Ginesta Immobilien. Er ist seit über 15 Jahren Makler im Bündnerland. «Die Nachfrage hatte sich mit einem Schlag verdreifacht. Selbst periphere Lagen waren gesucht; wichtig war nur, dass es irgendwo in den Bergen ist.» Das gleiche Bild im Wallis: «Wir konnten nicht nur an A-Lagen verkaufen, das sind die besten Lagen, sondern auch an B- und C-Lagen», sagt Marieke Amacker, Geschäftsführerin von Engel & Völkers in Visp und Zermatt.
Tempi passati. Covid ist vorbei. Auch der Traum vom Homeoffice in den Bergen. Viele müssen wieder zurück ins Büro. Kein Grund jedoch für die Covid-Käuferinnen und -Käufer, jetzt zu verkaufen. Gleichzeitig gibt es in Gemeinden, die bereits einen Anteil von mehr als 20 Prozent Zweitwohnungen haben, keine Neubauprojekte mehr. Das Angebot ist damit gering. «Bei anhaltend hoher Nachfrage», weiss Ginesta. «Nur die Ansprüche heute sind andere.» Gesucht seien die touristischen Zentren, nicht mehr periphere Lagen. «Und schneesicher muss der Ort sein. Lieber Arosa als Klosters oder Flims, da der Ort höher liegt.»
Gekauft wird mit Eigenkapital
Ein Ausverkauf der Heimat indes findet nicht statt. In Sascha Ginestas Wirkungskreis haben 90 Prozent der Käuferinnen und Käufer einen Schweizer Wohnsitz. In Marieke Amackers Bereich sind es 70 Prozent. 20 Prozent stammen aus der EU, der Rest aus aller Welt. Und alle sind offensichtlich vermögend. «Die meisten kaufen die Wohnung ohne Fremdfinanzierung», sagt Sascha Ginesta. «Viele nutzen sie als Investitionsanlage», ergänzt Marieke Amacker, «die wenigsten vermieten die Wohnung weiter. Sie nutzen sie selbst, oft auch nur alle paar Schaltjahre.»
Die befragten Spezialisten und Spezialistinnen gehen nicht davon aus, dass die Preise in näherer Zukunft sinken werden. «Heissere Sommer und wärmere Winter sprechen dafür, dass Orte über 1400 Metern nachgefragt bleiben», sagt Scognamiglio. Ginesta rechnet mit einem Preiswachstum von 2 bis 3 Prozent im Jahr. In Andermatt gehen derweil die Ferienwohnungen weiterhin weg wie warme Semmeln. Wenn auch mit einem Bremser.
Weiteres Preiswachstum
«Während Corona mussten wir die Interessierten auf eine Warteliste setzen», sagt Stefan Kern von der Immobilienfirma Andermatt Swiss Alps, die dem Projektinitiator und Unternehmer Samih Sawiris gehört. «Heute ist der Verkauf nicht zuletzt aufgrund der Zinserhöhungen anspruchsvoller geworden.» Doch verkaufen liessen sich die Wohnungen noch immer. Der Entscheidungsprozess dauere einfach etwas länger.
Anfang März 2024 hat das Parlament die Regulierung für Zweitwohnungen gelockert. Neu soll gelten: Häuser, die vor der Annahme der Zweitwohnungsinitiative 2012 gebaut wurden, sollen bei einem Abbruch mit Ersatzneubau oder bei einer Sanierung um bis zu 30 Prozent vergrössert und uneingeschränkt genutzt werden dürfen – und damit auch als Zweitwohnungen.
Die Meinungen darüber sind geteilt. Riet Fanzun, Architekt und Sprecher des Vereins Anna Florin, sieht diesen Vorstoss als Blankocheck für Hauseigentümerinnen, um noch mehr Zweitwohnungen zu bauen. Der Verein mit 200 Mitgliedern kämpft im Engadin für bezahlbaren Wohnraum. «Schon heute finden Ortsansässige keine Mietwohnungen, die Infrastruktur zerfällt.» Fanzun erzählt von Guarda, einem Weiler der Gemeinde von Scuol. 98 Prozent der Wohnungen in Scuol sind altrechtlich und somit vor 2012 erstellt worden. Sie fallen damit alle unter die Lockerung der Regulierung. «Spätestens bei einer Erbteilung werden diese Häuser an die Meistbietenden verkauft, die lukrativere Ferienwohnungen erstellen anstatt Mietwohnungen für Ortsansässige.»
Zweitwohnungsanteil bis zu 90 Prozent
Anders ordnet es der Bündner Regierungsrat Marcus Caduff ein: «Wir sehen das als Chance», sagte der Mitte-Politiker gegenüber Radio SRF. «Wenn man mehr Wohnraum machen darf, besteht vielleicht der Anreiz, dass man bei einer Sanierung eine Wohnung zusätzlich macht und diese als Zweitwohnung verkauft. Dadurch kann man die Erstwohnung behalten.» Die Zweitwohnung soll quasi die Erstwohnung sanieren.
Aron Pfammatter, Anwalt in Brig-Glis, kritisiert ganz generell die Zweitwohnungsinitiative: «Das Ziel der Initianten und Initiantinnen, mehr Wohnraum für die einheimische Bevölkerung zu schaffen, wurde völlig verfehlt.» Er hatte damals die Ausarbeitung der Ausführungsbestimmungen zur Zweitwohnungsinitiative eng begleitet. «Die Initiative hat das Gegenteil bewirkt. Die Probleme wurden damit noch verschärft.» In der Tat zeigt sich heute, dass es Orte gibt, gerade in den Kantonen Bern, Wallis und Graubünden, in denen der Zweitwohnungsanteil bis zu 90 Prozent ausmacht.
Flims und Pontresina nehmen das Problem selbst in die Hand
Pfammatters Lösungsvorschlag: «Die stark betroffenen Gemeinden sollten auf ihre Gegebenheiten zugeschnittene Reglemente erlassen. Den peripheren, weniger touristischen Gemeinden sollten mehr Freiheiten zugestanden werden.» Bereits vor der Zweitwohnungsinitiative hatten viele Gemeinden eigene Reglemente für Zweitwohnungen, haben diese jedoch aufgrund der bundesweiten Regulierung aufgehoben.
Flims hat bereits reagiert. Dort wurde kürzlich eine Erstwohnungsanteilspflicht von 50 Prozent eingeführt. Das heisst: Werden altrechtliche Wohnungen abgebrochen und wieder aufgebaut, müssen 50 Prozent der Hauptnutzfläche als Erstwohnung zur Verfügung gestellt werden. Dasselbe gilt bei neubauähnlichen oder wesentlichen Umbauten. In Pontresina hingegen will man eine Zweitwohnungssteuer einführen. Dort werden zwei von drei Wohnungen als Feriendomizil benutzt. Zudem soll eine höhere Ausnützungsziffer Erstwohnungen fördern.
Anfang März 2024 hat das Parlament die Regulierung für Zweitwohnungen gelockert. Neu soll gelten: Häuser, die vor der Annahme der Zweitwohnungsinitiative 2012 gebaut wurden, sollen bei einem Abbruch mit Ersatzneubau oder bei einer Sanierung um bis zu 30 Prozent vergrössert und uneingeschränkt genutzt werden dürfen – und damit auch als Zweitwohnungen.
Die Meinungen darüber sind geteilt. Riet Fanzun, Architekt und Sprecher des Vereins Anna Florin, sieht diesen Vorstoss als Blankocheck für Hauseigentümerinnen, um noch mehr Zweitwohnungen zu bauen. Der Verein mit 200 Mitgliedern kämpft im Engadin für bezahlbaren Wohnraum. «Schon heute finden Ortsansässige keine Mietwohnungen, die Infrastruktur zerfällt.» Fanzun erzählt von Guarda, einem Weiler der Gemeinde von Scuol. 98 Prozent der Wohnungen in Scuol sind altrechtlich und somit vor 2012 erstellt worden. Sie fallen damit alle unter die Lockerung der Regulierung. «Spätestens bei einer Erbteilung werden diese Häuser an die Meistbietenden verkauft, die lukrativere Ferienwohnungen erstellen anstatt Mietwohnungen für Ortsansässige.»
Zweitwohnungsanteil bis zu 90 Prozent
Anders ordnet es der Bündner Regierungsrat Marcus Caduff ein: «Wir sehen das als Chance», sagte der Mitte-Politiker gegenüber Radio SRF. «Wenn man mehr Wohnraum machen darf, besteht vielleicht der Anreiz, dass man bei einer Sanierung eine Wohnung zusätzlich macht und diese als Zweitwohnung verkauft. Dadurch kann man die Erstwohnung behalten.» Die Zweitwohnung soll quasi die Erstwohnung sanieren.
Aron Pfammatter, Anwalt in Brig-Glis, kritisiert ganz generell die Zweitwohnungsinitiative: «Das Ziel der Initianten und Initiantinnen, mehr Wohnraum für die einheimische Bevölkerung zu schaffen, wurde völlig verfehlt.» Er hatte damals die Ausarbeitung der Ausführungsbestimmungen zur Zweitwohnungsinitiative eng begleitet. «Die Initiative hat das Gegenteil bewirkt. Die Probleme wurden damit noch verschärft.» In der Tat zeigt sich heute, dass es Orte gibt, gerade in den Kantonen Bern, Wallis und Graubünden, in denen der Zweitwohnungsanteil bis zu 90 Prozent ausmacht.
Flims und Pontresina nehmen das Problem selbst in die Hand
Pfammatters Lösungsvorschlag: «Die stark betroffenen Gemeinden sollten auf ihre Gegebenheiten zugeschnittene Reglemente erlassen. Den peripheren, weniger touristischen Gemeinden sollten mehr Freiheiten zugestanden werden.» Bereits vor der Zweitwohnungsinitiative hatten viele Gemeinden eigene Reglemente für Zweitwohnungen, haben diese jedoch aufgrund der bundesweiten Regulierung aufgehoben.
Flims hat bereits reagiert. Dort wurde kürzlich eine Erstwohnungsanteilspflicht von 50 Prozent eingeführt. Das heisst: Werden altrechtliche Wohnungen abgebrochen und wieder aufgebaut, müssen 50 Prozent der Hauptnutzfläche als Erstwohnung zur Verfügung gestellt werden. Dasselbe gilt bei neubauähnlichen oder wesentlichen Umbauten. In Pontresina hingegen will man eine Zweitwohnungssteuer einführen. Dort werden zwei von drei Wohnungen als Feriendomizil benutzt. Zudem soll eine höhere Ausnützungsziffer Erstwohnungen fördern.