KI fordert Gesellschaft
Künstliche Intelligenz – Allheilmittel oder die nächste Spekulationsblase?

Revolutionär und gefährlich – der Einfluss von KI wird grösser sein als die Erfindung des Internets. Und wieso Schweizer KI-Start-ups eine Spitzenposition einnehmen.
Publiziert: 15.01.2024 um 15:56 Uhr
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Aktualisiert: 17.01.2024 um 17:11 Uhr
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Künstliche Intelligenz wird in den kommenden Jahren unseren Alltag verändern.
Foto: Keystone
Max Meister
Bilanz

Künstliche Intelligenz wird die Welt so sehr verändern, dass künftige Generationen in ihren Geschichtsbüchern von einer Zeit vor und einer Zeit nach der künstlichen Intelligenz (KI) lesen werden. Oder um es mit den Worten von Bill Gates zu sagen: «Die Macht der künstlichen Intelligenz ist so unglaublich, dass sie die Gesellschaft tiefgreifend verändern wird». Kein Wunder also, dass Risikokapitalgeber im Monatstakt Milliardenbeträge in KI-Start-ups pumpen, in der Hoffnung auf den grossen Wurf. Gleichzeitig gibt es starke Anzeichen für eine Spekulationsblase.

Das Versprechen der KI

Der Einfluss von KI wird grösser sein als die Erfindung des Internets. Es braucht nicht viel Fantasie, um sich all die spannenden Anwendungen von neuronalen Netzen vorzustellen, die auf Supercomputern mit unbegrenzter Rechenkapazität und unbegrenzter Energie laufen. Okay, zugegeben: Die Nebenbedingungen der unbegrenzten Kapazität und der unbegrenzten Energie sind zugegebenermassen ziemlich schwierige Probleme, die es noch zu lösen gilt. Aber das ist wohl nur eine Frage der Zeit.

Die Weiterentwicklung der KI, der Artificial General Intelligence (AGI), wird wahrscheinlich in der Lage sein, die schwierigsten Probleme unserer Zeit zu lösen. KI wird auch die Kriegsführung dominieren und könnte das Aussterben der Menschheit bedeuten, wie OpenAI-Gründer Sam Altman vor dem US-Kongress erklärte. Im Gegensatz zu Altman sieht auch Elon Musk in der künstlichen Intelligenz eine echte Bedrohung für die Menschheit.

Ob Weltuntergang oder grösste Erfindung aller Zeiten – die weltweite Faszination für das Thema Künstliche Intelligenz und die bahnbrechenden Anwendungen, die führende Player bereits hervorgebracht haben, zeigen die Relevanz der Technologie. Das unglaubliche Potenzial der Künstlichen Intelligenz lässt auch Investoren nicht kalt, deren Mission es ist, in bahnbrechende Start-ups zu investieren, wie zum Beispiel Sequoia Capital. Mit über 70 Investments in KI-Unternehmen wie OpenAI will Sequoia nun an die Erfolge der Vergangenheit anknüpfen.

Wert vs. Preis

Ein Rückblick auf die letzten Monate zeigt, dass gängige Bewertungsmethoden auf KI-Unternehmen nicht anwendbar sind. Auf dem Sekundärmarkt werden OpenAI-Aktien derzeit für 118,5 Mrd. Dollar angeboten, Anthropic hat kürzlich 4 Mrd. Dollar von Amazon eingesammelt und sucht nun weitere 750 Mio. Dollar bei einer Bewertung von 18 Mrd. Dollar. Der Mitgründer des Pariser KI-Start-ups Mistral, Arthur Mensch, rechtfertigt eine Bewertung von 2 Mrd. Euro für sein Unternehmen mit dem Erfolg, dass die Silicon Valley-Grössen Andreessen Horowitz und General Catalyst kürzlich in die 385 Mio. Euro-Runde investiert haben, nachdem Mistral bereits 105 Mio. Euro von u.a. Lightspeed Venture Partners und dem einstigen KI-Start-up Anthropic eingesammelt hatte – notabene mit einem simplen Word-Dokument als Pitch Deck und null Umsatz.

Mensch sagte: «Es ist sehr schwierig, etwas zu bewerten, das einen fast unendlichen Nutzen bringen kann, weil es so viel in der Gesellschaft verändert, dass unsere Arbeitsplätze nie mehr dieselben sein werden». Wo er recht hat, hat er recht.

Aber die Argumentation des Mistal-Mitbegründers ist natürlich ein Freifahrtschein für jedes Unternehmen, das den KI-Stempel trägt. Unendliche Renditen klingen wie etwas noch nie Dagewesenes, wie die Neuformulierung des irregeleiteten Mantras «Diesmal ist alles anders». Auch wenn der legendäre Investor Sir John Templeton sagte, dass dies die gefährlichsten Worte beim Investieren seien.

KI – beste Voraussetzungen für die nächste Spekulationsblase

Auch wenn oft unterschiedliche Faktoren zu einer Spekulationsblase führen, sind die Folgen immer die gleichen: Die Marktpreise von Vermögenswerten liegen deutlich über deren inneren, fundamentalen Werten. Die immer weiter steigenden Preise bescheren den ersten Investoren phänomenale Gewinne, die wiederum eine breite Masse weiterer Investoren anziehen. Sowohl die holländischen Tulpenhändler im Jahr 1637 als auch die Händler von immobilienbasierten Credit Default Swaps in den Jahren vor 2008 haben sich vom Anfangserfolg der frühen Investoren blenden lassen. Was zählte, war der Gewinn aus dem Weiterverkauf – bis sich keine Käufer mehr fanden und die Blase platzte. Gier, mangelnde Kompetenz und unzureichende Due Diligence der Investmentteams sind natürlich ein Rezept für Fehlinvestitionen. Kein Wunder, dass in Spekulationsblasen die Mehrheit der Start-ups scheitert und die Mehrheit der Investoren ihr Geld verliert, wenn die Blase platzt.

Ist KI eine Spekulationsblase? Glaubt man dem Gründer von Stability AI, ist KI sogar die grösste Spekulationsblase aller Zeiten. Die Höhe der Bewertungen und die Geschwindigkeit, mit der in kürzester Zeit massiv Kapital in junge Unternehmen gepumpt wird, sei historisch einmalig und lasse die Alarmglocken schrillen. Im Gegensatz zu anderen Spekulationsblasen haben KI-Anwendungen jedoch echte Substanz, denn meiner Meinung nach verkörpert KI die nächste Stufe der technologischen Evolution. Vor der Erfindung des Computers im Jahr 1942 wurden komplexe Rechenvorgänge manuell mit Hilfe von Logarithmentafeln durchgeführt. Die Entwicklung des ENIAC im Jahr 1946 beschleunigte Berechnungen bereits um das Tausendfache. Nachdem uns der Mikrochip Rechenleistung und das Internet Inhalte zugänglich gemacht haben, wird die KI kreative Prozesse und die Erstellung von Inhalten auf ein nie dagewesenes Niveau heben.

Artikel aus der «Bilanz»

Dieser Artikel wurde erstmals in der «Bilanz» publiziert. Weitere spannende Artikel findest du unter bilanz.ch.

Dieser Artikel wurde erstmals in der «Bilanz» publiziert. Weitere spannende Artikel findest du unter bilanz.ch.

Ich prognostiziere, dass einige Unternehmen in diesem Bereich grosse Marktmacht erlangen und bestimmte Subkategorien dominieren werden. Im Segment der Large Language Models (LLMs) wird es zum Beispiel dedizierte Modelle geben, die hoch spezialisiert sind, etwa für Codierung, Finanzen, Recht, Medizin oder Übersetzung. Darüber hinaus wird es eine Reihe erfolgreicher KI-bezogener Geschäftsmodelle geben, die z. B. die Prozesssicherheit, Infrastruktur oder Effizienz verbessern.

Künstliche Intelligenz in der Schweiz

Die Schweizer Universitäten nehmen im Bereich der künstlichen Intelligenz eine europäische Spitzenposition ein. Der Transfer in die Unternehmen hat längst stattgefunden. Die Giganten der Pharmaindustrie nutzen KI längst, und klassische Direktvertriebsunternehmen wie Brack setzen KI-gestützte digitale Assistenten ein, um Kunden im Onlineshop besser zu beraten. «Plötzlich ist eine Technologie, die es schon seit Jahren gibt, auch für den Durchschnittskonsumenten erschwinglich», sagt Tech-Investor Andreas Göldi: «Viele erkennen, wie nützlich KI für unser tägliches Leben sein kann.»

Die Schweiz könne sich durchaus als europäisches Zentrum für KI etablieren, meint auch Karim Saleh, Gründer und CEO des KI-Start-ups Cerrion, das in den renommierten Accelerator Y Combinator aufgenommen wurde. «Die Dichte an Talenten hat entscheidend dazu beigetragen, dass Cerrion seine hochmoderne KI für die Fertigungsindustrie entwickeln konnte. Ich denke, Zürich ist derzeit eine der Top-5-Städte, wenn es um KI-Talente geht.» Und Gründerin Paulina Grnarova fügt hinzu: «Bei DeepJudge haben wir aus erster Hand die Fülle an KI-Talenten und das unterstützende Umfeld erlebt, das das Engagement der Schweiz für Spitzenleistungen widerspiegelt.»

Und auch Investoren sind vom herausragenden Potenzial der Schweiz überzeugt, wie Edoardo Ermotti, Gründer und Managing General Partner von 14 Peaks Capital, bestätigt: «Die Schweiz verfügt über alle Ressourcen, um zu einem Hub für die Entstehung von Start-ups im Bereich der KI zu werden.» Ermotti erwähnt im Gespräch einerseits die beiden weltweit anerkannten Bildungs- und Forschungsinstitutionen ETH Zürich und EPFL als Pool hochqualifizierter Talente in KI-relevanten Bereichen, andererseits das innovative Ökosystem und die globale Konnektivität. Die grosszügige Schenkung der Dieter Schwarz Stiftung vom Dezember 2023 zur Schaffung von 20 neuen Professuren in Zürich und Heilbronn in Zusammenarbeit mit der ETH Zürich wird die Schweizer KI-Stärke weiter beflügeln.

Wir stehen noch am Anfang der KI-Durchdringung, aber es ist bereits klar, dass die meisten Anwendungen in den Bereichen Finanzdienstleistungen und Gesundheit zu finden sein werden, zwei Branchen, die den Schweizer Markt dominieren. Es wäre daher nicht überraschend, wenn globale KI-Start-ups in den kommenden Jahren die Schweiz als Standort wählen würden.

Schon heute sind Schweizer KI-Start-ups dabei, sich dank der hochtechnologischen Bildungsstandorte Zürich, Lausanne und St. Gallen eine Nische zu erobern. ETH-Spin-offs wie Cerrion, dessen visuelle KI Anomalien in Produktionsprozessen frühzeitig erkennt, Tuneinsight, dessen Lösung verschlüsselte Datenverarbeitung im Bereich Machine Learning bietet, Lakera, dessen Geschäftsmodell der Schutz von LLM ist, oder deepjudge, dessen KI die juristische Analyse von Sachverhalten erleichtert, konnten bereits früh eine beträchtliche Anzahl von Kunden überzeugen.

KI-nahe Technologien, z.B. im Bereich der Automatisierung, profitieren massiv von der technologischen Entwicklung. Ecorobotix, ein Start-up im Bereich Präzisionsspritzen von Unkrautvernichtungsmitteln und Dünger, sicherte sich im vergangenen September 46 Millionen Franken frisches Kapital. Anybotics, Hersteller von autonomen Inspektionsrobotern, sammelte in seiner Series B-Runde 50 Millionen US-Dollar ein.

Als Innovationsweltmeisterin darf die Schweiz im Bereich der KI nicht unterschätzt werden. Solange Unternehmer und Investoren die Fundamentaldaten der Unternehmen in Bezug auf Kundenbegeisterung, Umsatzwachstum, Kosten, Rentabilität und realisiertes Potenzial nicht aus den Augen verlieren, sollten sie von der sich entwickelnden globalen Spekulationsblase rund um die KI nicht allzu hart getroffen werden. Auch die international beobachteten Anzeichen einer Blasenbildung sind bei Schweizer KI-Unternehmen noch nicht sichtbar.

Deepjudge-Gründerin Grnarova: «Um ihren globalen Einfluss zu wahren, sollte die Schweiz weiterhin stark in ihre vielversprechenden KI-Startups investieren.»

Dem stimme ich zu 100 Prozent zu.

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