WEF-Gründer Klaus Schwab (82) über das Coronavirus und seine Folgen
«Wir müssen das als Warnschuss der Natur verstehen»

WEF-Gründer Klaus Schwab (82) nutzt seine Beziehungen zu Staatschefs, Wirtschaftsführern und Wissenschaftlern weltweit und hat die grösste Zusammenarbeitsplattform gegen das Coronavirus gegründet. Was hört er von ihnen?
Publiziert: 14.04.2020 um 23:01 Uhr
|
Aktualisiert: 16.04.2020 um 15:08 Uhr
  • «Gesundheit hat immer einen höheren Stellenwert als materielles Wohlsein.»
  • «Unternehmen, die auf maximalen Profit aus sind und diesen an die Aktionäre ausschütten, haben jetzt weniger Lebenskraft.»
  • «Die Krise macht uns bewusst, wie fragil und zerbrechlich wir sind.»
  • «Es wird erst einen Sieg über das Virus geben, wenn wir einen Impfstoff haben.»
  • «Meine Frau und ich hatten vor vier Wochen alle Symptome.»
1/8
Klaus Schwab, Gründer und Direktor des WEF, 2017 in seinem Büro in Genf. Das BLICK-Interview wurde per Telefon geführt.
Foto: Steeve Iuncker / Agence VU / Laif
Christian Dorer

Klaus Schwabs Homeoffice liegt gleich neben seinem normalen Office. Der WEF-Gründer und seine Gattin wohnen neben dem WEF-Hauptsitz im Genfer Vorort Cologny. Schwab ist der am besten vernetzte Mensch in der Schweiz – wenn es sein muss, kriegt er auch den US-Präsidenten ans Telefon. In den vergangenen Wochen hat er die grösste Zusammenarbeitsplattform im Kampf gegen das Coronavirus geschaffen. Die Chefs der 500 weltweit grössten Firmen sind dabei, es gibt wöchentliche Videokonferenzen zum Erfahrungsaustausch, kürzlich berichteten Zentralbank-Chefin Christine Lagarde (64) und Österreichs Kanzler Sebastian Kurz (33). BLICK sprach Schwab am Telefon.

BLICK: Wie sieht Ihr Alltag im Moment aus?
Klaus Schwab: Anstrengend und busy wie immer! Gestern hatte ich 47 Telefongespräche und fünf Videokonferenzen.

Sind Ihre Gesprächspartner derzeit einfacher erreichbar?
Das war vor etwa vier Wochen der Fall. Inzwischen arbeiten die Führungskräfte zu Hause und sind wieder gleich beansprucht wie vor der Krise.

Mit 82 Jahren gehören Sie zur Risikogruppe. Haben Sie Angst vor dem Virus?
Meine Frau und ich hatten vor vier Wochen alle Symptome, die man bei einer Corona-Erkrankung hat. Allerdings in einer sehr milden Form. Es war trotzdem eine angsteinflössende Episode. Jetzt sind wir beide wieder in bester Form.

Haben Sie sich testen lassen?
Zu dieser Zeit war das Testen Menschen mit schwerwiegenden Problemen vorbehalten. Jetzt möchte ich den Antikörper-Test machen, um zu sehen, ob ich Immunität entwickelt habe.

Ende Januar waren am WEF in Davos die wichtigsten Politiker, Wirtschaftsführer und Wissenschaftler versammelt. Warum hat niemand die Corona-Krise kommen sehen?
Wir haben bereits 2017 auf die Gefahren einer Vireninfektion hingewiesen und dazu in Davos eine Koalition namens CEPI gegründet. Sie ist jetzt eine der führenden Organisationen bei der Entwicklung von Impfstoffen.

Trotzdem hat niemand erkannt, dass ein fast weltweiter Shutdown bevorsteht.
Wir konnten uns tatsächlich nicht vorstellen, dass dieses Virus mit dieser Geschwindigkeit von Wuhan über die ganze Welt hereinrollen wird. Wir haben uns vielleicht zu sehr auf die Erfahrungen mit Epidemien wie Sars und Schweinegrippe gestützt. Diese blieben regional begrenzt.

Sie schreiben in einem Gastbeitrag, dass Covid-19 in den vergangenen hundert Jahren nur mit der Spanischen Grippe vergleichbar sei. Damals starben 50 Millionen Menschen, und es folgte eine Depression. Kommt es jetzt auch so schlimm?
Ich bin erstaunt, wie wenig wir noch immer über dieses Virus wissen. Es gibt zu viele Propheten, die irgendwelche Zahlen in die Welt hinausposaunen. Wissenschaftler sagen, dass die Möglichkeit bestehe, dass etwa ein Fünftel der Menschheit infiziert werde. Das entspricht etwa 1,5 Milliarden Menschen.

Was sagen Sie zur Theorie, man solle die Menschheit durchseuchen, und dann seien alle immun?
Ich halte das für menschenunwürdig. Wir müssen dafür sorgen, dass jeder in Würde sterben kann. So aber gäbe es einen Überhang von Kranken, der auch von einem guten Gesundheitssystem wie dem schweizerischen nicht bewältigt werden könnte. Wir müssen Zustände wie in Italien oder Spanien verhindern.

Sie stehen in Kontakt mit den wichtigsten CEOs weltweit. Was hören Sie da: Wie schlimm wird die Rezession?
Das wird vor allem davon abhängen, wie schnell es geht, bis ein Impfstoff dieses Virus endgültig aus dem Weg räumt. Natürlich sind Unternehmensführer heute eher pessimistisch für 2020. Sie hoffen aber auf eine Wiederbelebung der Wirtschaft 2021. Ich sprach mit dem Chef eines grossen Unternehmens, das in China Läden für Luxusgüter betreibt. Die sind seit drei, vier Wochen wieder offen, und die Nachfrage hat sich schnell erholt. Das ist ein Lichtblick!

Welche Folgen hat die jetzt noch grössere Staatsverschuldung?
Bereits Anfang dieses Jahres bestand eine globale Schuld vom Dreifachen der Weltwirtschaftsleistung! Dieser Schulden-Rucksack wird jetzt noch schwerer beladen. Die gute Nachricht ist, dass Länder wie die Schweiz das Richtige getan haben.

Weil die Schweiz in guten Zeiten Schulden abgebaut hat?
Ja. Wenn wir die Gesamtschulden vergleichen, stehen wir im internationalen Vergleich sehr gut da, auch wenn die private Verschuldung wegen der Hypothekenlast hoch ist.

Sie vertreten die Ansicht, dass es Firmen jetzt schwerer haben, die in der Vergangenheit nur auf maximalen Profit aus waren, als Firmen, die auch für ihre Mitarbeiter, die Umwelt, die Gesellschaft da waren. Wie kommen Sie zu diesem Schluss?
Unternehmen, die auf maximalen Profit aus sind und diesen an die Aktionäre ausschütten, haben weniger Lebenskraft als Unternehmen, die in die Zukunft investieren. Sie haben jetzt nicht die Reserven, die es braucht, um eine Krise zu überleben. Sie haben ihre eigene Lebenskraft vernachlässigt!

Zum Beispiel?
Die grössten US-Fluggesellschaften haben in den vergangenen zehn Jahren 96 Prozent ihres Gewinns für den Rückkauf von Aktien ausgegeben!

Sollen Firmen aktuell auf Boni und Dividendenausschüttungen verzichten?
Es ist besser, wenn bedrohte Unternehmen ihre Reserven füllen. Auch jeder Bürger legt etwas auf die hohe Kante, um sich für die Zukunft zu rüsten, und gibt das Geld nicht vor einer Krise noch schnell aus, um ein schönes Leben zu haben.

Sind die drastischen Einschränkungen der Regierungen richtig? Oder besteht die Gefahr, dass der Schaden dadurch grösser wird als der Schaden durch das Virus?
Natürlich werden diese Einschränkungen einen grossen Schaden zur Folge haben. Aber wir dürfen nicht nur auf die materielle Seite abzielen. Denn es geht um Menschenleben! Gesundheit hat immer einen höheren Stellenwert als materielles Wohlsein. Zumal in einem reichen Land wie der Schweiz: Wir können uns Einschränkungen leisten, damit nicht alte Menschen – die unseren Wohlstand aufgebaut haben – in einer Turnhalle notdürftig versorgt werden.

Wie lange dauert die Krise?
Es wird erst einen Sieg über das Virus geben, wenn wir einen Impfstoff haben. Und dieser wird wahrscheinlich in 12 bis 18 Monaten vorliegen. Dann braucht es die Kapazitäten, um rasch fünf bis acht Milliarden Dosen für die Weltbevölkerung bereitzustellen.

Ist das realistisch?
Es gibt Initiativen, um das zu beschleunigen. Derzeit sind gut zehn erfolgversprechende Impfstoffe in der Entwicklung. Normalerweise dauert die Marktzulassung drei bis fünf Jahre. Um das zu beschleunigen, müssen wir Abstriche bei den klinischen Tests tolerieren. Das könnte dazu führen, dass ein Impfstoff mit Nebenwirkungen auf den Markt kommt, was Haftungsfragen aufwirft.

Wird die Corona-Krise langfristige Folgen haben, oder werden wir in unser gewohntes Leben zurückkehren?
Im ersten Szenario ist die Krise relativ kurz, die wirtschaftlichen Folgen sind nicht so drastisch, und wir kehren wieder zum alten Leben zurück. Im zweiten Szenario macht die Krise uns als Menschen, aber auch die Nationen egoistischer, was zum Zusammenbruch der EU führen würde. Im dritten Szenario fragen wir uns, was wir aus der Krise für die Zukunft lernen können – daran arbeitet ein Grossteil meines Teams.

Bei allem Schaden, der jetzt entsteht: Tut Entschleunigung unserer Gesellschaft auch gut?
Menschen verlieren ihre Arbeit, Unternehmer bangen um ihr Businessmodell, Ärzte, Krankenschwestern und viele andere in lebensnotwendigen Bereichen arbeiten bis an ihre Leistungsgrenze. Das ist enormer Stress und nicht Entschleunigung.

Was ist das Ziel der Zusammenarbeitsplattform, die Sie gegründet haben?
Es sind drei Ziele. Erstens wahrheitsgetreue Information, denn es gibt in der Corona-Krise viel Fake News. Zweitens der Austausch unter den besten Wissenschaftlern. Drittens stellen wir eine Börse zur Verfügung, bei der Unternehmen ihre Produkte und Dienstleistungen zur Verfügung stellen, um das Virus zu bekämpfen. Maersk, eines der grössten Logistikunternehmen der Welt, bietet zum Beispiel an, Schutzmasken und Schutzkleidung zu transportieren.

Sie haben letzte Woche bekräftigt, dass das WEF im Januar 2021 in Davos stattfinde. Was macht Sie so sicher, dass dies möglich sein wird?
Wir wissen natürlich nicht, wie dann die Situation sein wird, vor allem im Hinblick auf Reiseeinschränkungen. Das Bedürfnis nach einem Treffen auf höchster Ebene aber wird grösser sein denn je. Es braucht nach der Corona-Krise eine Art Bretton Woods wie nach dem Zweiten Weltkrieg, wo wir aus den Erfahrungen lernen und die Strukturen für die Post-Corona-Zeit entwickeln. Die Krise macht uns bewusst, wie fragil und zerbrechlich wir sind. Wir müssen das als Warnschuss der Natur verstehen.

Zur Person

Klaus Schwab (82) studierte u. a. Maschinenbau an der ETH Zürich und erwarb insgesamt fünf akademische Grade. 1971 führte er zusammen mit seiner Frau Hilde das erste Weltwirtschaftsforum in Davos GR durch. Im Januar fand die 50. Ausgabe statt – das hochkarätigste Treffen der Welt! Das World Economic Forum (WEF) mit Sitz in Cologny bei Genf beschäftigt fast 1000 Personen.

Klaus Schwab (82) studierte u. a. Maschinenbau an der ETH Zürich und erwarb insgesamt fünf akademische Grade. 1971 führte er zusammen mit seiner Frau Hilde das erste Weltwirtschaftsforum in Davos GR durch. Im Januar fand die 50. Ausgabe statt – das hochkarätigste Treffen der Welt! Das World Economic Forum (WEF) mit Sitz in Cologny bei Genf beschäftigt fast 1000 Personen.

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?
Externe Inhalte
Möchtest du diesen ergänzenden Inhalt (Tweet, Instagram etc.) sehen? Falls du damit einverstanden bist, dass Cookies gesetzt und dadurch Daten an externe Anbieter übermittelt werden, kannst du alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen lassen.