«Wir haben die Nase voll», beginnt Larry Sanger (51) seinen kurzen Vortrag am Worldwebforum in Zürich. «Wir wollen nicht mehr von den grossen Tech-Firmen ausgenutzt werden.» Der Co-Gründer von Wikipedia ist ein Web-Pionier – und ein scharfer Kritiker des aktuellen Zustands des World Wide Webs, der auch Wikipedia nicht schont.
Larry Sanger (51) gründete nach seinem Philosophie-Studium gemeinsam mit Jimmy Wales die Online-Enzyklopädie Wikipedia. Aufgrund einiger Differenzen mit Wales verliess Sanger das Projekt 2003. Seitdem ist er ein scharfer Kritiker von Wikipedia: Die Plattform sei elitär und in wenigen Händen zentralisiert. Darum wirkt er seit über zehn Jahren bei zahlreichen alternativen Online-Enzyklopädien mit.
Er setzt sich für digitale Rechte ein und fordert, Big-Tech-Firmen wie Facebook, Google und Twitter zu entmachten. Den grössten Faktor für Veränderung sieht er in den Handlungen eines jeden einzelnen Internet-Users. Das Bedürfnis für einen Wandel ist für ihn klar erkennbar – daher besteht für ihn Grund zur Hoffnung.
Larry Sanger (51) gründete nach seinem Philosophie-Studium gemeinsam mit Jimmy Wales die Online-Enzyklopädie Wikipedia. Aufgrund einiger Differenzen mit Wales verliess Sanger das Projekt 2003. Seitdem ist er ein scharfer Kritiker von Wikipedia: Die Plattform sei elitär und in wenigen Händen zentralisiert. Darum wirkt er seit über zehn Jahren bei zahlreichen alternativen Online-Enzyklopädien mit.
Er setzt sich für digitale Rechte ein und fordert, Big-Tech-Firmen wie Facebook, Google und Twitter zu entmachten. Den grössten Faktor für Veränderung sieht er in den Handlungen eines jeden einzelnen Internet-Users. Das Bedürfnis für einen Wandel ist für ihn klar erkennbar – daher besteht für ihn Grund zur Hoffnung.
Was war Ihre Vision, als Sie Wikipedia mitbegründeten?
Ich wollte eine Enzyklopädie, auf der jeder und jede Artikel mitverfassen kann, neutral und für die Öffentlichkeit. Diese Absicht hat Wikipedia heute verloren.
Wieso?
Oft wird nur eine Sichtweise dargestellt – meist die des Establishments. Alternative Sichtweisen sind oft systematisch ausgeschlossen. Es ist schwierig, Artikel zu ändern, wenn sie dem zuwiderlaufen.
Woher kommt das?
Es gibt heute eine allgemeine Tendenz hin zur Ideologisierung. Das betrifft die öffentliche Meinung, den Journalismus – und Wikipedia.
Erklären Sie das an einem Beispiel. Was haben Sie zum Beispiel am Wikipedia-Artikel über Sie auszusetzen?
Früher habe ich bei meinem Eintrag noch Änderungen vorgenommen. Jetzt interessiert es mich nicht mehr so, was dort steht. Es wurde mir zu blöd, die Informationen ständig zu prüfen. Es gibt heute leider viele sogenannte Experten, die denken: Wir müssen für die Menschen entscheiden, was wichtig und richtig ist. Doch damit verabschiedet sich eine Enzyklopädie wie Wikipedia von den Ideen der Objektivität und der Neutralität. Bürger sollten selbst entscheiden, wie sie die Welt sehen.
Wir nutzen Wikipedia täglich. Werden wir dadurch schlauer?
Phu (lacht und zögert). Wikipedia verbreitet Allgemeinwissen. Dank dieser Seite ist es so einfach wie nie zuvor, Dinge nachzuschauen. Aber es gibt ein Problem: Fakten stehen einfach so da – ohne Kontext.
Wieso ist das ein Problem?
Die Menschen lesen Artikel, fragen sich aber nicht, ob sie stimmen, und lassen sich so beeinflussen. Um demokratische Rechte auszuüben, müssen sie gut informiert sein und sich gegen eine solche Beeinflussung wehren. Tun sie das nicht, ist ihnen die Demokratie nicht wichtig.
Wikipedia wurde 2001 von Jimmy Wales und Larry Sanger gegründet. Die Webseite sollte alles Wissen der Welt bündeln, für alle frei zugänglich.
Seit dem Start häufen sich aber die Probleme. Nebst der Finanzierung und dem verzerrten Geschlechterverhältnis (90 Prozent der Autoren sind männlich) ist die Zahl der Autoren rückläufig. Diejenigen, die bleiben, streiten sich um die Deutungshoheit. Sogenannte Edit Wars erschweren die Diskussion und schaden der Glaubwürdigkeit der Enzyklopädie.
Wikipedia wurde 2001 von Jimmy Wales und Larry Sanger gegründet. Die Webseite sollte alles Wissen der Welt bündeln, für alle frei zugänglich.
Seit dem Start häufen sich aber die Probleme. Nebst der Finanzierung und dem verzerrten Geschlechterverhältnis (90 Prozent der Autoren sind männlich) ist die Zahl der Autoren rückläufig. Diejenigen, die bleiben, streiten sich um die Deutungshoheit. Sogenannte Edit Wars erschweren die Diskussion und schaden der Glaubwürdigkeit der Enzyklopädie.
Und diese Beeinflussung geschieht durch Wikipedia?
Die Autorität über das Wissen liegt unter anderem bei Wikipedia, in den Händen weniger. Das ist besorgniserregend: So werden die öffentliche Meinung und die Demokratie von diesen wenigen beeinflusst. Verstehen Sie mich richtig: Wikipedia an sich ist keine Gefahr für die Demokratie. Gefährlich ist die Tendenz, Fakten anzunehmen, ohne Grundlage, ohne zu hinterfragen. Das betrifft nicht nur Wikipedia.
Wikipedia hat ein weiteres Problem: Frauen sind stark unterrepräsentiert.
Das ist ein Problem, aber nicht nur von Wikipedia, sondern des gesamten Internets. Frauen mögen dieses System nicht.
Wie das?
Bei Wikipedia geht es sehr aggressiv zu und her: Es ist ein von Testosteron getriebenes Spiel! Frauen haben manchmal Mühe damit. Aber Frauen sind ja nicht komplett abwesend. Sie sind nur nicht sehr zahlreich. Wenige, die schreiben, und darum wenige, zu denen es Artikel gibt.
Immerhin: Es bestehen weltweit Absichten, das zu ändern.
Aber das ist schwierig!
In der Schweiz wurden letzten November im Rahmen des Editathons an einem Tag mehr als 80 neue Wikipedia-Einträge über Frauen verfasst.
Das ist lobenswert. Aber einzelne Artikel werden das System nicht einfach ändern können. Wikipedia ist sehr statisch und konservativ.
Sie sagten einmal, Wikipedia sei eine arrogante, kontrollierende Oligarchie. Was meinen Sie damit?
Ja, Wikipedia ist ein Spiel. Wenn Sie darin etwas zu sagen haben wollen, müssen Sie Regeln befolgen. Narzisstische Soziopathen beherrschen diese Regeln besonders gut (lacht).
Das müssen Sie erklären.
Menschen, die über anderen Menschen stehen wollen, keine Skrupel haben, rechthaberisch sind. Auf Wikipedia gibt es immer wieder Bearbeitungskriege, bei denen Benutzer einander gegenseitig ihre Einträge löschen. In diesen Edit-Wars gibt es viele Pöbeleien. Es braucht dicke Haut, sich zu behaupten – und die Regeln sind komplex. Es gibt Menschen, die mehr zu sagen haben, weil sie diese besser beherrschen. Das sind wenige, darum: eine Oligarchie.
Sie sagten auch, Wikipedia sei schlimmer als Facebook und Co. Doch dort tummeln sich doch Trolle und Fake News!
Es geht um die Struktur. Bei Facebook können Sie immerhin die User-Experience gestalten: Beiträge verbergen, bewerten, liken. Bei Wikipedia gilt: Sie machen mit, oder Sie lassen es sein. Mitbestimmen können Sie nicht viel. Das ist schade. Um ehrlich zu sein: Ich fühle mich schuldig, Wikipedia gegründet zu haben (lacht). Ich glaube, es ist eine verschenkte Möglichkeit. Wikipedia ist verdammt nützlich. Aber es sollte neutral sein. So, wie es früher war …
Das klingt nun nostalgisch.
Das Internet ist heute anders als früher. Früher war es dezentral und weniger mächtig. Heute kontrollieren es eine Handvoll milliardenschwerer Firmen. Das dürfte nicht sein.
Wollen Sie das Web revolutionieren?
Es braucht Veränderungen! Das Internet sollte von neutralen Standards geregelt werden, die es allen ermöglichen, selbst über ihre Daten zu entscheiden. Die Daten gehören uns, nicht Google und Co. Das heisst, wir sollten damit machen können, was wir wollen, unter Bedingungen, die wir setzen.
Welche Verantwortung haben wir selbst?
Wir bewegen uns zu leichtsinnig im Netz. Wir haben mit den Big-Tech-Firmen einen Vertrag geschlossen: Wir nehmen die Services in Anspruch, erlauben den Firmen aber, unsere Daten zu besitzen.
Aber wir wussten nichts von dieser Vereinbarung?
Exakt. Die Menschen sind erst in den letzten Jahren aufgewacht und haben das Ausmass erkannt. Die Probleme von Big Tech sind relativ neu. Die grosse Sorge um unsere Privatsphäre kam erst in den letzten Jahren.
Wie können wir das Internet zu einem besseren Ort machen?
(lacht) Das ist schwierig.
Was wäre Ihr Rat?
Ich kann sagen, was ich mache: Wenn etwas wirklich nervt, dann blockiere ich die Inhalte. Das Leben ist zu kurz, um sich mit all dem Müll zu beschäftigen (lacht).
Also ist es eine individuelle Frage?
Ja, aber ich würde die Leute auch motivieren, andere Services zu verwenden, um das Monopol der Big-Tech-Firmen zu brechen. Verwenden Sie kein Google! Alternativen gibt es genug.
Sie zeichnen ein düsteres Bild des Internets. Sind Sie zuversichtlich für die Zukunft?
Ja! Letzten Juli habe ich für ein paar Tage auf Social Media verzichtet. Diese Idee findet mehr Anhänger – ein gutes Zeichen! Ich habe auch eine Declaration of Digital Independence verfasst. Darin forderte ich: Unsere Daten gehören uns und sollten nicht von den Big-Tech-Firmen analysiert und verwaltet werden. Auch darauf war das Echo positiv. Das Bedürfnis, das Internet zu dezentralisieren, ist da. Letztlich muss der Druck aber von den Usern kommen.
Sie müssten sagen: Ich habe die Nase voll!
Ja genau (lacht). Wir müssen selbst über unsere Daten entscheiden. Dezentral. Das wird nicht einfach, aber langfristig ist es nötig.