Wenn sich am kommenden Donnerstag die globale Währungselite in Jackson Hole im US-Bundesstaat Wyoming die Klinke in die Hand gibt, wird ein Diskussionspapier aus der Feder des ehemaligen Nationalbankpräsidenten, Philipp Hildebrand (56), bei manchen Notenbankern – gelinde gesagt – für Irritation sorgen.
Hildebrand, Vizepräsident des weltgrössten Vermögensverwalters Blackrock, will nichts Geringeres als das Ende der Finanzwelt, wie wir sie kennen, einläuten. In einem Interview mit Bloomberg sagte Hildebrand jüngst, der Euroraum werde wohl bald ziemlich «radikale Massnahmen» sehen.
Nachdem die Möglichkeiten der lockeren Geldpolitik weitgehend ausgeschöpft sind und niedrige Zinsen mehr schaden als helfen, soll eine völlig neue Geldpolitik die Welt beruhigen, so das Ansinnen Hildebrands.
Es soll Geld regnen
Und zwar, indem die Währungshüter ohne Umweg private und öffentliche Investitionen mit der Notenpresse finanzieren. Hildebrand und die Mitautoren des Blackrock-Diskussionspapiers fordern ein direktes Eingreifen. Die Notenbanken müssten einen Weg finden, damit Geld direkt in die Taschen von Konsumenten oder Unternehmen fliesst, so Hildebrand. Gratis-Geld für alle!
Es soll also Geld regnen – diesmal nicht aus der Giesskanne, sondern aus dem Helikopter. Alter Wein in neuen Schläuchen. Das sogenannte Helikoptergeld – und genau daran erinnert Hildebrands Vorschlag – geht auf die Empfehlungen des 2006 verstorbenen US-Ökonomen und Nobelpreisträgers für Wirtschaft, Milton Friedman, zurück.
Die schon in den 1970er-Jahren in den Lehrbüchern bemühte Metapher, wonach ein Helikopter Geld auf die Wirtschaft hinunter «regnen» lässt, ist eng mit seinem Namen verbunden. Die Idee dahinter ist, dass das neu geschaffene Geld nicht in Vermögenswerte, sondern direkt in Investitionen gesteckt werden soll – via Staatsausgaben, Steuersenkungen oder den Konsum.
Eine «akademische Übung»
Die Wirkung auf die Konjunktur wäre vermutlich direkter als die der bisherigen Anleihenkaufprogramme, glaubt UBS-Chefökonom Daniel Kalt (49). Allerdings seien die Risiken mittelfristig auch grösser. «Denn es könnte so auch zu einem zügigen Anstieg der Teuerung kommen, was wiederum einen abrupten Zinsanstieg und einen Entzug der enormen Liquidität notwendig machten.»
Laut Kalt ist das Ansinnen von Hildebrand und Co. nur ein weiterer Versuch, «die möglicherweise schmerzhaften Anpassungsprozesse kurzfristig zu mildern, dabei aber längerfristig ein viel grösseres Potenzial für Verwerfungen zu riskieren».
Martin Neff (58), Chefökonom von Raiffeisen, spricht von einer «akademischen Übung». «Geld direkt an Haushalte auszuschütten, hätte vielleicht einen einmaligen Effekt. Das wird jedoch weder die Inflationsrate beeinflussen, noch einen Wirtschaftsboom auslösen», so Neff.
Vertrauensverlust befürchtet
Es sei naiv, zu glauben, dass die Wirtschaftspolitik die Konjunktur vollständig kontrollieren könne, sagt der renommierte Ökonom Klaus Wellershoff (55) zu Hildebrands Idee. «Die Geldpolitik der letzten Jahre hat bewiesen, dass sie das nicht kann.»
Und weil die Notenbanken ihre Unabhängigkeit fast komplett aufgeben würden, bräuchte es zwangsläufig neue Verantwortlichkeiten. Blackrock sieht deshalb vor, eine Art Expertengremium einzurichten, das darüber wacht, wohin das Geld fliesst.
Trotzdem würden die Grenzen zwischen Geld- und Fiskalpolitik, die in den vergangenen Jahren seit der Finanzkrise schon deutlich durchlässiger geworden sind, weiter verschwimmen. Wellershoff warnt: «Wenn man in der Vergangenheit Geld- und Fiskalpolitik miteinander vermischt hat, war im Lauf der Zeit ein kompletter Vertrauensverlust der Bürger in staatliche Institutionen die Folge.»