Was mit 170 Filialen verloren geht
Deshalb hängen wir Schweizer so sehr an der Post

Mit dem Postschalter sind wir aufgewachsen – als Kind spielten wir Pöstler. Jetzt nehmen sie uns unser liebstes Spielzeug weg. Eine Ode an einen Ort, der weit mehr ist als eine Abgabestelle für Briefe und Pakete.
Publiziert: 04.06.2024 um 18:10 Uhr
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Aktualisiert: 04.06.2024 um 20:04 Uhr
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Seit 1940 gibt es in der Schweiz die «Kinderpost».
Foto: ackermann.ch
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Daniel ArnetRedaktor Gesellschaft / Magazin

Warum sind es nicht gleich 175? Das hätte zur perfekten Schlagzeile gereicht: «Die Schweizer Post schliesst zu ihrem 175-Jahre-Jubiläum 175 Poststellen.» Ein Schalter pro Jahr. Aber wahrscheinlich wollten die Verantwortlichen keine direkte Verbindung zwischen Freudenfest und Hiobsbotschaft schaffen. Und so sind es «bloss» 170 eigenbetriebene Filialen, die die Post bis 2028 schliessen will.

Wir Schweizerinnen und Schweizer haben ein inniges Verhältnis zur Post. Bereits im frühesten Alter bekommen wir vom Götti eine «Kinderpost» geschenkt. Zwar haben sich seit den 1940er-Jahren Gestaltung und Inhalt des Spiels laufend verändert. Aber immer noch gehören Kartonschalter, Minibriefmarken und Spielgeld zur Grundausstattung – auf dass jedes Kind spielerisch das Postgeschäft lernt.

Postgebäude wie Paläste aus der Renaissance

So gestaltet sich der erste Gang zur Dorfpost an der Hand von Vater oder Mutter «bubieinfach». Heute hat die Schalterhalle zwar den Charme eines Gemischtwarenladens, aber es ist immer noch unsere Post. Vielleicht will uns der Bundesbetrieb durch diese Vermengung daran gewöhnen, dass es seine Dienste über die Jahre tatsächlich immer mehr an Gemischtwarenläden auslagerte.

Allein in den vergangen gut zwölf Jahren schloss die Schweizer Post landesweit über 1000 eigene Filialen und betreibt heute ungefähr so viele Poststellen mit externen Partnern. Zum Teil ergeben sich dadurch kuriose Verbindungen: In Kastanienbaum LU gibt die Kundschaft Päckli im Seehotel auf, in Ambri TI beim Eishockeyclub und in Môtier NE an der Bar der Maison de l'Absinth – Prost Post!

Die alten Postgebäude zeugen vom verflogenen Stolz des Gelben Riesen: Um das Jahr 1900 erstellte er landesweit repräsentative Häuser im Stil der klassischen Antike oder der italienischen Renaissance, die manchenorts Rathäusern und Kirchen Konkurrenz machen – vom 1892 eröffneten Hôtel des Postes in Genf bis zur 1915 fertiggestellten Hauptpost in St. Gallen.

Während sich in der Hauptpost St. Gallen neben der Brief- und Paket-Annahmestelle die Kantons- und Stadtbibliothek einnistete, stellte die in Basel 2021 ihren ursprünglichen Zweck ganz ein. Der markante Bau unweit des Marktplatzes ist aus demselben roten Sandstein wie das Münster. 1853 errichtet, entstand mit der Erweiterung 1881 die grosse neogotische, von Gusseisensäulen gestützte Schalterhalle.

Post stärkte Vertrauen in jungen Bundesstaat

Bis zuletzt versuchte der Basler Regierungsrat, die Hauptpost zu erhalten – vergeblich. Ihre Lage mitten in der Altstadt und die grosse Entfernung zum Transportnetz des Bahnhofs war wohl ihr Verhängnis. Die Hauptpost St. Gallen liegt gleich neben den Gleisen; und auch in Zürich übernahm die 1929 vollendete Sihlpost beim HB letztlich die Hauptfunktion der Fraumünsterpost in der Altstadt.

«Wo früher eine Poststelle war, soll ein neuer Begegnungs- und Arbeitsort entstehen, wo sich Menschen wohlfühlen – und sich Geschichte und Gegenwart die Hand reichen», heisst es auf der Website der Hauptpost Basel. Das ortsansässige Architekturbüro Herzog & de Meuron baut den denkmalgeschützten Bau bis Sommer 2025 um. Dann erinnert nur noch die Fassadenanschrift «Post, Telegraph & Telephon» bei der Rüdengasse an früher.

Die Zeiten ändern sich, und die Post muss sich anpassen – kein Zweifel. Aber sie sollte sich auch ihrer 175-jährigen Geschichte bewusst sein: Nach der Bundesverfassung von 1848 repräsentierte die eidgenössische Post ab 1849 als erste Institution den neuen Bundesstaat und stärkte so das Vertrauen in eine zentrale Verwaltung. Zuvor hatten 17 Postorganisationen die Schweiz unter sich aufgeteilt – kompliziert und kostenintensiv.

Bis vor genau hundert Jahren gab es über 4000 Poststellen und noch eine Sonntagszustellung. Heute läutet der Pöstler kaum mehr zweimal, deponiert das Paket vor der Tür und hetzt gleich weiter. Und wer kennt heute noch seinen Briefträger persönlich? Da ziehen manche gerne eine Nummer in einer Schalterhalle, um mit einem oder einer Postangestellten sprechen zu können.

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