Das Daniel Borel Innovation Center auf dem Gelände der EPFL in Lausanne ist der weltweite Hauptsitz und ein wichtiges Forschungs- und Entwicklungscenter von Logitech. Gewidmet ist es dem Firmengründer: «Wir haben die einmalige Chance, die Leistungen unseres Mitbegründers Daniel Borel zu ehren und anzuerkennen», so der damalige Europa-Chef Junien Labrousse bei der feierlichen Eröffnung 2010.
In Teilen des Daniel Borel Center ist Daniel Borel derzeit der meistgehasste Mann.
Seitdem der grösste Einzelaktionär des Tech-Konzerns am 15. September aus der Deckung kam und an der Generalversammlung die Abwahl von VR-Präsidentin Wendy Becker forderte, ist bei Logitech der Teufel los. Dass sich der Gründer und Chairman Emeritus eines SMI-Konzerns gegen die amtierende Präsidentin stellt, sie öffentlich mit wenig schmeichelhaften Attributen überschüttet und eine Kampagne für ihre Absetzung orchestriert, ist einmalig in der Schweizer Wirtschaftsgeschichte. Becker, immerhin die einzige Frau an der Spitze eines SMI-Konzerns, teile die Werte der Firma nicht, so Borel.
Sie ignoriere Ratschläge, entscheide nicht und habe das Management-Team nicht im Griff. Kurz: Borel hält Becker für völlig ungeeignet für ihren Posten. Er sieht sein Lebenswerk in Gefahr: «Sie fährt Logitech an die Wand!» Und die Aussenwelt fragt sich: Ist der einzige Technologie-Weltkonzern made in Switzerland tatsächlich in Existenznot? Oder hat der inzwischen 73-jährige Firmengründer mit noch 1,5 Prozent der Aktien die Zeichen der Zeit nicht erkannt und will mit dem Radau die Vergangenheit zurückbeschwören?
Beckers erste drei Präsidialjahre waren geprägt von der Corona-Pandemie, die die Nachfrage besonders nach Videokameras und Gaming-Zubehör explodieren liess. Die Leistung der Firma war, diese Nachfrage befriedigen zu können, während die Konkurrenz verzweifelt um Komponenten und Produktionskapazitäten kämpfte. Die Folge: In einem Jahr wuchs der Umsatz von 3 auf 5,5 Milliarden Dollar, der Börsenwert in fünf Quartalen von 5 auf 20 Milliarden Dollar. «Die Fähigkeit, eine Chance zu erkennen und sie dann zu ergreifen, war immer in der DNA von Logitech», sagt eine langjährige Kaderperson.
Aber sie sieht das als Verdienst des damaligen CEO Bracken Darrell und dessen Team. Was sie und andere Becker zugutehalten: Sie hat intern Frauen gefördert, was sich dann auch im Produktmix niederschlug. So konnte Logitech neben den bisher typischen männlichen, meist älteren Käufern vermehrt auch weibliche, jüngere Zielgruppen erschliessen. Und Becker hat in Bereiche investiert, wo Logitech bisher schwach ist, etwa die Softwareentwicklung.
«Keine Dringlichkeit»
Dass der Corona-Boom nicht ewig währen würde, war spätestens mit der Zulassung des ersten Impfstoffes im Dezember 2020 absehbar. Dies nicht erkannt zu haben, werfen Becker viele Mitarbeiter der Firma vor. Allen voran Borel, der sie im August 2021 das erste Mal und danach immer wieder warnte und drastische Einschnitte forderte. Doch die Firma hielt ein ums andere Quartal an Prognosen fest, die sich nicht bewahrheiten, bis im Januar dieses Jahres eine Gewinnwarnung nicht mehr zu vermeiden war. Im März dann ein Abbau von vergleichsweise bescheidenen 300 Stellen. «Wir haben oben nie einen Sense of Urgency gespürt», sagt jemand aus der Firma.
Was man dabei berücksichtigen muss: Becker ist anders als ihre beiden Vorgänger Borel (bis 2008) und Guerrino De Luca (2008 bis 2019) Non-Executive Chairperson. Man kann also argumentieren, eine Restrukturierung sei nicht ihre Sache, sondern jene des operativen Managements. Andererseits schreibt die Firma auf der eigenen Website: «Als Vorsitzende von Logitech überwacht Wendy Becker die Strategie und Performance des Unternehmens.» Und die Performance stimmt spätestens seit Mitte 2022 nicht mehr: Seither verzeichnet die Firma acht Quartale Umsatzrückgang in Folge. Statt einem schnellen und harten Einschnitt, wie von Borel gefordert, werden seither die Kosten jedes Quartal aufs Neue reduziert: Marketing hier, R&D da, Verwaltungskosten dort, dazu ein schleichender Stellenabbau.
«Frustriert und demoralisiert»
Die Folge: «Unsere Leute sind frustriert und demoralisiert», wie man aus dem Bauch der Firma hört. Immerhin bleibt der Konzern dadurch profitabel – einfach weniger als zuvor. Logitech verkauft die Zahlen als Erfolgsstory: Immerhin sei man ja trotz allem deutlich grösser und wertvoller als vor der Pandemie. Nur: Ist 2019 der richtige Vergleichszeitraum, zu jetzt, eineinhalb Jahre nach dem Ende der Corona-Massnahmen? Andererseits: Mit den jüngsten Quartalszahlen, als Logitech die zuvor reduzierten Jahreserwartungen wieder erhöhte, sprang der Kurs zeitweise um zehn Prozent nach oben. Damit gehört die Firma dieses Jahr zu den besten SMI-Titeln.
Auch in den entscheidenden Personalfragen wird Becker von verschiedenen Seiten Entscheidungsschwäche vorgeworfen. Bereits seit Sommer 2022 erwog der VR eine Ablösung von Darrell, nachdem dieser sich monatelang mehr mit seiner privaten Neuorientierung beschäftigt hatte als mit der Führung der Firma. Doch auch nach der Gewinnwarnung im folgenden Januar passierte nichts. Als Darrell von der Diskussion Wind bekam, schaute er sich seinerseits nach einem neuen Job um und fand ihn an der Spitze des US-Modekonzerns VF Corporation.
Innert vier Tagen räumte er sein Pult, einen Nachfolgeplan gab es nicht. Erst seither läuft die Suche, für Borel viel zu spät. «Das Board wurde völlig auf dem falschen Fuss erwischt. Dabei hätte ein Abgang nach elf Jahren im Job keine Überraschung sein dürfen», sagt ein Topkader. Zumal es ein Déjà-vu war: Im September letzten Jahres trennte sich Logitech von Finanzchef Nate Olmstead, der seiner Aufgabe nicht gewachsen war. Auch hier existierte kein Nachfolgeplan, weshalb er weitere fünf Monate ins Büro trotten musste, bis Chuck Boynton übernehmen konnte.
Stillstand
Als Übergangs-CEO wurde VR Guy Gecht installiert, zu gemeinsamen Silicon-Valley-Zeiten ein Basketball-Freund von Darrell. Obwohl der Israeli vor allem im B2B-Bereich tätig war und nicht im für Logitech so wichtigen Konsumentengeschäft, obwohl er nie eine Firma mit der Grösse und Komplexität von Logitech geleitet hatte, war er noch die beste Lösung – «aus dem Topmanagement kann das keiner», sagt einer, der es wissen muss. Intern ist Gecht beliebt, seine Leistung wird respektiert, aber von einem CEO erwartet man Klarheit und Orientierung, und die kann ein Lückenbüsser nur sehr begrenzt liefern.
Das Ergebnis: «Logitech ist gelähmt, die Leute warten darauf, dass jemand Entscheidungen trifft», hört man aus der Teppichetage. Wichtige Positionen wie jene des B2B-Chefs werden nicht besetzt, Organisationsanpassungen nicht durchgeführt. Und: Logitech sitzt auf knapp 1,2 Milliarden Cash. Angesichts der Bewertungsschwäche von Tech-Titeln wäre es eine gute Zeit für Akquisitionen. Aber derzeit trifft niemand strategische Investitionsentscheidungen. Die Folgen dieses Stillstandes spüre man nicht im nächsten oder übernächsten Quartal, sagt Borel: «Aber Logitechs langfristige Zukunft steht auf dem Spiel.»
Logitech ist ein Zwitter
Becker, so sieht er es, aber so sehen es auch intern einige, habe auf ganzer Linie versagt. Primär vier Aufgaben hat ein VR-Präsident. Erstens den CEO zu kontrollieren. Zweitens Nachfolgepläne für die Schlüsselpositionen zu entwickeln. Drittens beim Führungswechsel für einen glatten Übergang zu sorgen. Und viertens die Strategie anzupassen bei einer Zeitenwende wie dem Ende der Pandemie. All das, so ihre Kritiker, sei nicht geschehen. Zwar hatte Becker im Sommer 2022 ihre Ex-Kollegen von McKinsey mit einem Strategiemandat betraut. Doch deren Vorschläge wurden vom Board nach kurzer Besprechung nicht mehr weiterverfolgt. Klar, es gibt den transatlantischen Unterschied: In europäischen Firmen ist die Strategie Sache des VR, in US-Firmen Sache des Managements. Logitech als schweizerisch-amerikanischer Konzern ist ein Zwitter. Doch wenn der CEO erst seine Führungsrolle nicht wahrnimmt und dann geht, muss das Board in die Lücke springen, allen voran der Chair. Das ist nicht geschehen. Becker sagt selber: «Ich bin bei Logitech nicht der strategische Visionär.»
Die 57-Jährige gilt als machtbewusst, und sie ist mächtig: In ihrer zusätzlichen Rolle als Vorsitzende des Nominationskomitees kann sie Leute anheuern, die ihre Ideen später im Board absegnen. Diese Doppelfunktion gibt es in der Schweiz häufiger, neben Logitech pflegen sie sechs andere SMI-Konzerne von ABB bis Zurich. Was aber ungewöhnlich ist in dieser Konstellation: Neben Becker sitzen nur noch zwei andere Personen im Nominationskomitee. Und weil sie zwei Stimmen hat, kann sie dort nicht überstimmt werden. So einflussreich ist die Präsidentin, dass sich von den aktuellen und ehemaligen Mitarbeitern und Verwaltungsräten nur einer on the record äussern will: «Bis zu meinem Ausscheiden aus dem Board vor drei Jahren war sie eine ausgezeichnete Vorsitzende, klug, engagiert, eine gute Zuhörerin, die Diskussionen erleichterte», sagt Didier Hirsch, der Wert legt auf die Feststellung, dass er «Daniel Borel und Wendy Becker gleichermassen schätzt».
Eine andere Person, die regelmässig mit ihr zu tun hat, beschreibt sie als pragmatisch, gut vorbereitet und meinungsstark. Andere Stimmen sind weniger gnädig. Becker sei sehr gut im Zusammenfassen, aber nicht in der Exekution, sie sei entscheidungsschwach, politisch, legalistisch und formalistisch: Was nicht auf der Tagesordnung steht, werde in Sitzungen nicht diskutiert. «Sie ist schlau, aber unglaublich risikoscheu», nennt es jemand aus ihrem Umfeld: «Sie schützt sich und ihre Position. Sie spielt nicht, um zu gewinnen, sie spielt, um nicht zu verlieren.» Schwierig in einer Firma, die jahrzehntelang vom Erfolgshunger getrieben war. Ein potenzieller Kandidat, der gleich von zwei Headhuntern angefragt wurde für das Amt des Logitech-CEO, wurde von beiden vorgewarnt: «Die Präsidentin ist das Problem», so der eine. «Sie denkt, sie sei wichtiger als die Firma», so der andere.
«Wesentliche Störungen»
Dabei kann Becker auf eine illustre Karriere zurückblicken: Nach dem MBA an der Edeluniversität Stanford begann die gebürtige Amerikanerin mit englischem und italienischem Pass bei McKinsey, wurde schnell zum Partner gewählt, kümmerte sich erst in den USA um das Konsumgütergeschäft, später in London um die Rekrutierung und Förderung interner Talente. Über 14 Jahre arbeitete sie bei der Beratungsfirma. In den ersten beiden operativen Jobs danach, in den Konzernleitungen der Telcos Talktalk und Vodafone, blieb sie nie länger als zwei Jahre – zu wenig, um wirklich Fussspuren zu hinterlassen. Danach wechselte sie zum Kleiderhändler Jack Wills, erst als COO, dann als CEO.
In ihrem LinkedIn-Profil zählt sie ihre dortigen Erfolge auf: den Umsatz um sieben Prozent gesteigert, den Gewinn mehr als verdoppelt etc. Der renommierte englische «Standard» zeichnet ein anderes Bild: Becker übergab die Lagerbewirtschaftung an eine Drittfirma, direkt vor dem so wichtigen Weihnachtsgeschäft – ein hochriskantes Unterfangen. Das Ergebnis waren «wesentliche Betriebsstörungen»: Die Waren konnten nicht in die Läden gebracht, Kundenaufträge nicht ausgeführt werden. «Ich wurde wahnsinnig», wird Firmengründer Peter Williams zitiert. Im Sommer, keine drei Jahre nach Amtsantritt, war Becker wieder weg.
Lücke im Lebenslauf
Für die nächsten zwei Jahre klafft – ausser zwei kleinen VR-Mandaten – eine Lücke in ihrem Lebenslauf. 2017 holten sie die Headhunter von Spencer Stuart auf Anregung von Logitech-VR und Ex-EPFL-Präsident Patrick Aebischer ins Board des Mäusekonzerns. Ihre Karriere als Profi-VR hob 2019 endgültig ab, als sie im Juni ins Board des japanischen Unterhaltungselektronikmultis Sony berufen wurde und im September das Präsidium von Logitech übernahm. Intern, so hört man, wollte niemand anders den Posten übernehmen, externe Kandidaten gab es nicht. Heute sitzt Becker zudem im VR der börsenkotierten Medizinaltechnikfirma Oxford Nanopore Technologies, dazu kommen gleich drei verschiedene Ehrenämter an der Universität Oxford. Diesen Monat zog sie auch noch ins Board des britischen Pharmariesen GlaxoSmithKline (GSK) ein. «15 bis 25 Prozent ihrer Zeit» setze sie für Logitech ein, sagte sie vor zwei Jahren (siehe BILANZ 12/2021). Unwahrscheinlich, dass sie heute der Firma noch genauso viel Aufmerksamkeit widmen kann.
Logitech weist darauf hin, dass Becker für das GSK-Mandat den Sitz beim Londoner Immobilienentwickler Great Portland Estates und das Kuratorium der Britischen Herzstiftung aufgegeben hat. Doch um die Perspektive zu wahren: Great Portland macht 100 Millionen Pfund Umsatz, die Herzstiftung 144 Millionen. GSK erwirtschaftet mit ihren 70'000 Mitarbeitern in über 80 Ländern 29 Milliarden Umsatz. Mit ihren Mandaten ist Becker an der obersten Grenze, bei Nestlé etwa wäre eine solche Ämterballung nicht möglich.
Dass Becker ihre Posten nicht aus Liebe zu den Firmen, sondern rein aus Karrieregründen ausübt, werfen ihr verschiedene Seiten vor. Die Vielfliegerin ist mit einem italienischen Mathematiker verheiratet, der elf Sprachen spricht, und hat drei erwachsene Kinder. Neben ihrem Wohnsitz in London-Kensington besitzt das Paar auch eine Bleibe nahe Mailand. Die Schweiz, hört man, interessiere sie nicht gross, mit der Geschichte von Logitech, so Borels Vorwurf, habe sie sich bis heute nie befasst. Die EPFL, immerhin eine der renommiertesten technischen Hochschulen Europas, war ihr vor Amtsantritt kein Begriff.
Ein Problem ist auch die Kommunikation. Becker verfährt nach dem Motto ihres letzten Jahres verstorbenen Staatsoberhauptes Queen Elizabeth II: «Never explain, never complain.» Zahllose Male, sagt Borel, habe er Becker gemailt, aber nie eine Reaktion erhalten. Beim persönlichen Gespräch, das es immerhin vier Mal gab, habe sie ihm wort- und reaktionslos zugehört: «Ein Roboter hätte mehr Emotionen.» Spricht man mit ihm über die Präsidentin, sieht man förmlich seinen Blutdruck um gleich mehrere Hektopascal ansteigen. Seinen Aufruf zur Revolte an der GV liess Becker – machiavellistisch perfekt – abperlen: «Es ist immer schön, von unserem Co-Gründer zu hören.» Dass aber bei der Veranstaltung Medien nicht zugelassen waren, ist unfassbar für einen SMI-Konzern und aktienrechtlich mindestens fragwürdig. Auch danach schwieg Becker, mit Verweis auf die Quiet Period.
«Daniel ist wie der Kanarienvogel in der Kohlenmine»
42 Jahre nach der Gründung zeigt Borel noch immer grösste Leidenschaft und Emotionen für seine Firma. Dass Becker ihn ignoriert, empfindet er als persönliche Beleidigung – zumal er mehr Aktien besitzt als das ganze Board zusammen. «Ich kann nicht verstehen, warum sie mich so behandelt …», lässt er wissen und schickt gleich drei Fragezeichen hinterher. Dabei ist seine Erfahrung ja unbestritten: Als Logitech 1994 in eine schwere Krise geriet, stellte Borel – damals CEO und Chairman – die Firma auf den Kopf, schmiss 21'300 Angestellte raus und verlagerte die Produktion von Irland nach China. Bei der nächsten Krise 2011 konnte er als damals nur noch einfacher VR zwar noch die Absetzung von CEO Jerry Quindlen durchsetzen, aber keine härteren Massnahmen: Es folgte eine Gewinnwarnung nach der anderen.
«Wenn man als Mitbegründer, dessen Leben Logitech gewidmet war, ein Remake desselben Films sieht und das traurige Ende nur zu gut kennt, ist es schwer, nichts dagegen tun zu können», so Borel: «Noch schwieriger ist es, wenn sich am Ende zeigt, dass man absolut richtig lag.» Ein Wegbegleiter formuliert es so: «Daniel ist wie der Kanarienvogel in der Kohlenmine: Er merkt zuerst, wenn etwas nicht stimmt.» Dass er nun alles richtig vorausgesagt hat, weiss man auch bei Logitech.
Das Problem von Borel ist die hemdsärmelige Art seiner Kampagne. An der GV sprach er erst, als Becker bereits mit 96 Prozent der Stimmen wiedergewählt war («Ich wollte einen Stein in den Teich werfen, um dieses wichtige Thema zu lancieren», rechtfertigt er sich). Doch sein Ton ist nicht überall gut angekommen. Borel ist ein Einzelkämpfer ohne professionelle PR-Beratung. Seine Forderung erschöpft sich in der Ablösung Beckers, er verlangt keine Strategieänderung, hat keinen konkreten operativen Vorschlag, er hat keinen Gegenkandidaten präsentiert. Bisher. Jetzt nennt er erstmals zwei Namen: «In der Schweiz hätten wir international sehr erfahrene Leute wie Sascha Zahnd oder Patrice Bula.»
Aber beide sind unwahrscheinlich: Logitech-VR Zahnd, langjähriger globaler Leiter Supply Chain und Europa-Chef von Tesla, gab seinen Mörderjob vor drei Jahren auf, um mehr Zeit mit der Familie verbringen zu können. Und die 500'000 Franken Vergütung für das Logitech-Präsidium werden ihn, der mit Tesla-Aktien reich geworden ist, kaum reizen. Bula, Ex-Generaldirektor, Deutschland- und China-Chef bei Nestlé, war bereits einmal von Aebischer für das Logitech-Board angefragt worden, Becker lehnte ihn aber zu seiner und Borels Überraschung ab. Heute ist er mit Mandaten mehr als genug ausgelastet: Als Lead Independent Director bei Novartis etwa, als Vize bei Schindler und als Präsident des weltweit zweitgrössten Eiscreme-Herstellers Froneri.
Wer auch immer in Zukunft die Logitech-Chairperson sein wird, genug zu tun gäbe es allemal: Sie muss die Firma richtig aufstellen für das KI-Zeitalter, die üppigen Barmittel in sinnvolle Akquisitionen investieren, die jahrelangen Spannungen zwischen dem B2B- und dem B2C-Bereich glätten. Auch die Geografie ist langfristig ein Thema: Mit dem Hauptquartier in Lausanne, wichtigen Operations im Silicon Valley, Produktionsstätten in China und der Präsidentin in London ist Logitech zwar wirklich global, aber in ihren Strukturen und Abläufen eben auch zersplittert. Und die alte Kämpferkultur muss wiederhergestellt werden: «Logitech ist zu selbstgefällig geworden», sagt einer, der es miterlebt.
Kommts zum Befreiungsschlag?
Zunächst aber braucht es einen neuen CEO. Nach Bilanz-Informationen steht dessen Ankündigung unmittelbar bevor. Auch wenn er bei seinem bisherigen Arbeitgeber nicht die ganze Kündigungsfrist absitzen muss, wird es sechs bis zwölf Monate dauern, bis er sich eingearbeitet hat, und noch länger, bis er seine Vertrauten an Bord gebracht hat. Kein Problem bei einer Firma, in der alles gut läuft, aber ein Problem für eine Firma in der Situation von Logitech. Und danach muss endlich Ruhe in die Firma kommen: Neben dem CEO und dem CFO gingen dieses Jahr auch B2B-Chef Scott Wharton, die Spartenleiter Rory Dooley und Charlotte Johs sowie Schweiz-Chef Turan Ercin; mit Prakash Arunkundrum wurde erstmals ein COO installiert. Und im VR gab es in den vier Jahren unter Becker gleich fünf Wechsel.
Dennoch wäre die zeitnahe Berufung des neuen CEO ein Befreiungsschlag für Becker. Und so ist nicht anzunehmen, dass sie klein beigeben wird. Zum einen ist Logitech ihr einziges Präsidium, und wie wichtig ihr diese Position ist, zeigt sich schon daran, dass «Chair» das erste Wort in ihrem LinkedIn-Profil ist. Zum anderen: Gibt Becker den Forderungen eines 1,5-Prozent-Aktionärs nach (auch wenn es der Firmengründer und Chairman Emeritus ist), disqualifiziert sie sich für weitere Mandate. Der Königsweg wäre, wenn sie ein Angebot für ein noch bedeutenderes VR-Präsidium erhielte und so mit einer guten Begründung wechseln könnte. Damit ist freilich derzeit nicht zu rechnen.
Keine mächtigen Verbündeten für eine Abwahl
Borels Optionen sind beschränkt. Mächtige Verbündete für eine Abwahl an der nächsten GV zu finden, wird schwierig, zu zersplittert ist das Aktionariat: Die grössten zehn Anteilseigner nach Logitech (5,1 Prozent) halten inklusive Borel zusammen lediglich 27,3 Prozent. Und bisher hat er mit der Suche noch nicht einmal angefangen. Borel könnte auch den Druck auf Becker weiter erhöhen: Noch ist die Diskussion weitgehend auf die Schweiz beschränkt. Dass internationale Wirtschaftsmedien wie «Wall Street Journal» und «Financial Times» die Story auswalzen, dürfte die karrierebewusste Präsidentin um jeden Preis vermeiden wollen. Zum Wohle der Firma aber wäre es, wenn beide zurückbuchstabieren würden: Borel in seinen Emotionen, Becker in ihrem Stolz. Dann wäre – vielleicht unter Vermittlung des neuen CEO – eventuell eine vernünftige Zusammenarbeit möglich. Borel macht die Tür ein Stück weit auf: «Wenn es mir gestattet wird, werde ich den neuen CEO sehr gerne schnellstmöglich persönlich begrüssen», sagt er, und betont immer wieder, dass es ihm nicht um die Präsidentin gehe, sondern um die Firma.
Wie auch immer aber der Machtkampf endet, eins ist klar: Ein Wendy Becker Innovation Center dürfte es in Lausanne so schnell nicht geben.