Die Lungenliga Schweiz verschickt einen Kugelschreiber für 15 Rappen und will dafür 70 Franken. Die Aids-Hilfe Schweiz legt ihren Bettelbriefen Karten mit Herbstmotiven und Einzahlungsscheine über 60 Franken bei. Das Arbeiterhilfswerk Solidar Suisse verschenkt ein Lineal und hätte gern eine Spende von 75 Franken.
Die Beispiele zeigen: Den Hilfsorganisationen reichen Bilder mit Kranken, Armen und Hungernden nicht mehr, um die Leute spendenwillig zu stimmen. Sie ködern ihre Kundschaft mit kleinen Geschenken.
Adressen werden gekauft
Wer einmal zahlt, wird bald zugemüllt mit Plastikzeug, Briefpapier, Kalendern und Schlüsselanhängern. Denn die Hilfswerke kaufen die Adressen von Dritten ein. So hat man bald auch einen Stoffbernhardiner der Fondation Barry im Briefkasten. Oder Trauerkarten einer obskuren Gesellschaft für Lebenshilfe, einem Verbund von Gegnern der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde.
Mit den kleinen Präsenten machen die Hilfswerke ein Milliardengeschäft. Letztes Jahr flossen ihnen Spenden von 1,8 Milliarden Franken zu, wie die Statistik der Zertifizierungsstelle Zewo zeigt. Seit 2005 stiegen die Spendeneinnahmen um 69 Prozent. Das ist mehr als drei Mal so hoch wie das Wirtschaftswachstum.
Der Grossteil der Spenden stammt von Privaten über 50. Die Präsente ziehen ihnen das Geld aus der Tasche: «Unsere Erfahrung zeigt, dass Mailings mit Give-aways deutlich höhere Einnahmen generieren als ohne», sagt Eva Geel von Solidar Suisse. Bei anderen Organisationen tönt es ähnlich: «Unsere Spender schätzen kleine Geschenke wie Stifte oder Blöcke», so die Sprecherin der Lungenliga.
Warum fallen wir auf solche Tricks herein? Warum unterstützen wir Organisationen, die uns Ramsch in den Briefkasten stecken, und nicht jene, die uns mit guten Projekten überzeugen?
Urmenschliches Bedürfnis
Weil die Organisationen ein urmenschliches Bedürfnis ausnutzen: «Wenn uns jemand einen Gefallen tut, wollen wir ihm auch einen Gefallen erweisen», sagt Anne Herrmann, Dozentin für Wirtschaftspsychologie an der FHNW in Olten SO. Das Bedürfnis nach Gegenseitigkeit sei tief verwurzelt in der menschlichen Psyche. «Die Spendenorganisationen nutzen dies.»
Ob die Rechnung auch langfristig aufgeht, ist eine andere Frage. Denn zum einen verstossen die Hilfswerke mit dem Massenversand von Plastikschrott gegen die eigenen Ziele. So empört sich Solidar Suisse auf der Homepage über die Klimapolitik des Bundesrats. Dass die verschickten Plastiklineale zum Grossteil im Müll landen und eine miserable Klimabilanz haben, ist offenbar egal. Auch die Stifte der Lungenliga dürften schnell den Weg in die Kehrichtverbrennung finden. Zur Verbesserung der Luftqualität tragen sie nicht bei.
Zudem verschlingt der Geschenkversand eine Menge Geld. «Die Spender wollen, dass das Geld den Bedürftigen zugutekommt», sagt Wirtschaftspsychologin Herrmann. «Wenn sie den Eindruck erhalten, sie finanzierten damit auch aufwendige Marketingaktionen, spenden sie eventuell nicht mehr.»
Laut der Zewo gehen von jedem Spendenfranken 21 Rappen für Werbung weg. Die Lungenliga wendet sogar «ungefähr ein Drittel der Spenden» für die Akquise auf. Bei den Tessiner Dörfern und Talschaften, die Kalender und Schlüsselanhänger verschicken, dürfte das Verhältnis zwischen Aufwand und Ertrag noch schlechter sein.
So schützen Sie sich
Was tun, wenn der Briefkasten vor Ramsch überquillt? «Legen Sie Sammlungsaufrufe von Hilfswerken, denen Sie noch nie gespendet haben und die Sie auch in Zukunft nicht berücksichtigen möchten, ins Altpapier», empfiehlt Martina Ziegerer, Geschäftsführerin der Zertifizierungsstelle Zewo. Niemand müsse sich wegen Geschenken zu einer Spende gedrängt fühlen.
Wer keine Zusendungen mehr wolle, könne dies als Spender einem Hilfswerk mit Zewo-Siegel mitteilen. Vor Bettelbriefen anderer Hilfswerke schützt das aber nicht. Ziegerer rät, die Spenden auf «wenige, aber sorgfältig ausgewählte Organisationen» zu konzentrieren.